Das Versprechen der Maschine

„Recyclingunternehmen: Die Auffanggesellschaft der Wegwerfgesellschaft.“
Peter E. Schumacher

Maschinen können uns Arbeit ersparen. Allerdings nur, wenn sie stillstehen, sobald genug von dem produziert worden ist, was so gebraucht wird. Das Angebot der Maschine, quasi seit Beginn der Industrie 2.0, lautete: „Arbeite weniger, Mensch.“
Doch dazu kam es dann nicht. Ganz im Gegenteil.
Arbeit und noch mehr Arbeit ist heute das akzeptierte Maß der Dinge. Aus irgendeinem Grund hat sich die menschliche Gesellschaft entschlossen, den Weg zu mehr Freizeit nicht zu beschreiten. Da scheint was schiefgegangen zu sein.
Wobei sofort die Frage aufkommen sollte, ob das stimmt. Hat die Gesellschaft sich wirklich dafür entschieden, einfach immer mehr zu arbeiten und mehr zu produzieren? Und wie soll das möglich sein, wenn wir doch nur die Dinge produzieren, die wir brauchen?

Die Antwort ist eben so simpel wie komplex, wie so viele andere Dinge. Nicht die Gesellschaft als Ganzes hatte etwas entschieden, das ihre Zukunft maßgeblich mitbestimmen würde. Oder zumindest ein hinreichend großer Teil der Gesellschaft, daß man sie als „überwiegende Mehrheit“ bezeichnen könnte.
Über die Zukunft wurde entschieden von den Maschinenbesitzern. Niemand hatte ihnen erlaubt, zu definieren, wofür die Maschinen eingesetzt werden sollten. Sie nahmen sich dieses Recht einfach, denn schließlich hatte ihr Geld diese Maschinen bezahlt. Wobei auch das streng genommen nicht wirklich korrekt ist.
Die Maschnisten der modernen Gesellschaft entschieden sich nicht für die Option „mehr Freizeit“. Sie wählten, wenig überraschend, die Option „mehr Produktivität“.
Was nicht anderes bedeutet, als mehr Güter zu produzieren. Diese wiederum muß aber auch jemand kaufen, ansonsten verkommt Produktion zum reinen Selbstzweck. An dieser Stelle komme ich zurück auf das Bild mehr oder weniger leerer Produktionshallen moderner Industriekonzerne. Denn mehr Produktivität bedeutet nicht etwa mehr Arbeitsplätze. Es bedeutet längst mehr Maschinenarbeit und somit weniger Bedarf an Menschen. Irgendwie hat die Maschine also ihr Versprechen von mehr Freizeit für den Menschen doch erfüllt, könnte man so sagen. Continue reading →

Heisere Sirenen

„There are no great limits to growth because there
are no limits of human intelligence,
imagination, and wonder.“
Ronald Reagan

Die Informationen, die wir erhalten, sind fortgesetzt widersprüchlich. Die Aktienkurse eilen von Höchststand zu Höchststand. Direkt darunter finden sich die Meldungen, die von sinkender Arbeitslosigkeit erzählen.
Und direkt darunter befinden sich die Verlinkungen auf Artikel, die darüber diskutieren, daß sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet. In solchen Artikeln findet sich dann gerne die Stimme eines Wirtschaftsexperten, der solche Dinge wie Armut in Deutschland dann als „gefühlte Realität“ bezeichnet. Überhaupt ist in Deutschland niemand arm. Das hat unser Bundesgesundheitsminister erst neulich selber festgestellt.
Armut ist nur dann Armut, wenn sie den persönlichen Ansprüchen einer zunehmend elitären Kaste aus Politik und Reichtum auch genügt. Es reicht nicht, für indische Kinder zu spenden. Charity-Veranstaltungen, wie so etwas auf neudeutsch heißt, müssen schon mindestens für einbeinige blinde Kinder in Indien Geld sammeln. Mit Lepra. Nur dann ist der eigenen Mildtätigkeit genüge getan.

Menschen mit fünfstelligen Monatsgehältern, die behaupten, von vierhundert Euro Hartz IV pro Monat könne man ja gut leben und wäre keinesfalls arm. Und wenn es kein Politiker ist, der diese Dinge in der Öffentlichkeit verkündet, dann wird es zumindest von denen beklatscht, die sich dann demnächst ihre falsch betitelten Diäten um 850 Euro erhöhen. Pro Monat und pro Nase.
Überall finden sich in den letzten Monaten wieder Jubelartikel über den gerade angesagten technologischen Durchbruch. Die Worte „Raumfahrt“, „Mars“ und „Mond“ tauchen gerne auf. Auch von der „Industrie 4.0″ ist in Artikeln gerne mal etwas zu lesen. Gerade erst hat Elon Musk, der elektronische Mönch aller Zukunftsgläubigen, eines seiner eAutos ins All geschossen, um somit die Überlegenheit menschlichen Fortschritts über die Naturgesetze zu demonstrieren. Die Naturgesetze haben sich bislang dazu nicht geäußert.

Als Mensch, der in einem anderen Leben beruflich einmal etwas mit Netzwerken, Computern und Software zu tun hatte, taucht sofort die Frage in meinem Kopf auf, was denn mit den Versionen 1.0 bis 3.0 der Industrialisierung so passiert ist.
Mehr Roboter werden mehr Arbeit übernehmen. In diesem Falle ist „Arbeit“ nicht etwa das Stanzen oder Formen von Stahlblechen oder das Ziehen einer Schweißnaht im Autobau.
Arbeit ist hier das Schreiben von Artikeln in Online-News oder -Magazinen. Zum Beispiel über die aktuellen Statistiken des Bundesamts für Arbeitslosenverwaltung. Oder den Quartalsbericht der Fluglinie. Oder einer Firma, die Elektroautos herstellt und ins All schießt.
Kurze, sachliche Häppchen mit aufbereiteten und sparsam erläuterten Zahlen. Eine perfekte Vorlage zur Verarbeitung durch künstlich intelligente Algorithmen. Continue reading →

Das wahre Morgen

 

– X –

Fahrenheit 284

„Humankind cannot stand too much reality.“
T. S. Eliot

Der bereits erwähnte Ray Bradbury hat außer seinen Mars-Chroniken eine weitere, sehr berühmte Geschichte erfunden. Es ist die von Montag.
Nicht der Wochentag, der sich allgemein großer Unbeliebtheit erfreut. Montag ist der Name eines Feuerwehrmannes und des Protagonisten des Romans „Fahrenheit 451″. Ein weiterer Klassiker der Science Fiction, ausnahmsweise auch angemessen verfilmt.
Bradbury nannte den Roman so, weil die Temperatur 233 Grad Celsius entspricht. Denn das ist die Temperatur, bei der gewöhnliches Papier Feuer fängt. Montag ist nämlich Feuerwehrmann. Der Unterschied ist, daß die Feuerwehr in seiner Zeit keine Brände mehr löscht. Sie legt sie. Der Job des Feuerwehrmannes Montag ist es, Bücher zu verbrennen.

Denn Bücher, so hat man in dieser Zukunft beschlossen, sind gefährlich. Sie können Menschen seltsame Dinge erzählen. Oder andere Dinge, mit denen diese Menschen nicht einverstanden sind. Oder womöglich Dinge, von denen manche Menschen sich in ihren Gefühlen verletzt fühlen könnten.
Natürlich enthalten sie auch Ideen und Ideen sind etwas ohnehin sehr Gefährliches.
Und so hat die Gesellschaft, in der der Feuerwehrmann Guy Montag seinem Beruf nachgeht, eines Tages unter andauernder Medienenbeschallung beschlossen, daß zuviel Nachdenken über zu viele Dinge einfach zu sehr anstrengt. Es ist schwierig und erfordert Fachkenntnisse und persönliches Interesse, um in dieser Situation einen Konsens herbeizuführen.

Es ist nicht die Regierung, die das Bücherverbot erfindet in dieser Gesellschaft. Es ist die Bevölkerung selbst. Zufrieden mit dem Konsum seichter Unterhaltungsberieselung ohne intellektuellen Tiefgang und in einer Sehnsucht nach Konsens, oder besser, nach Konformität, ist es die Bevölkerung, die von der Regierung verlangt, Bücher für illegal zu erklären.
Die Kernaussage von Bradburys Roman richtet sich nicht gegen eine zensurwütige Staatsmacht, sondern gegen eine Bevölkerung, die sich nicht länger bemühen will, ihre eigene Welt zu hinterfragen.
Natürlich folgt die Regierung dem Wunsch ihrer Bevölkerung durchaus nicht unwillig. Die bestellte Dystopie wird nur zu gern von denen umgesetzt, die die Fäden der Macht und Information in den Händen halten.
Der Feuerwehrmann Montag wehrt mit seinem Feuer Gefahren für die Gesellschaft ab, die gar keine sind, sondern nur als solche empfunden werden. Oder empfunden werden könnten, von wie wenigen Menschen auch immer. Continue reading →

Deprimierte Daleks

Kassandra hat Urlaub. Ein bißchen. Und dabei so viel zu tun, daß es diese Woche eventuell keinen vollen Beitrag geben wird. Wir entschuldigen uns für die Strapazen.

Dafür gibt es ein Easteregg. Eines auf Beinen. Oder Rollen, wie auch immer. Das Ding ist etwa 1,50 Meter groß und ein Überwachungsroboter. Automatisierung, fuck yeah! Das sind bestimmt diese ganzen Jobs, die der Trump neu schaffen will.
Jedenfalls hat Kollege RobbiTobbiFliwaTüt jede Menge Sensoren. Er kann die Luft analysieren – für Brände, nehme ich an. Obwohl es interessant wäre, so ein Ding mal in L.A. auf die Straße zu stellen.
Hören kann es auch ganz prima. Schüsse zum Beispiel. Wäre auch mal interessant für South Central L.A. Es hat eine Rundumkamera, ein Radar und ein Lidar. Das ist dasselbe wie ein Radar, nur mit Laserlicht, darum das L.

Und was macht so ein Ding? Ein Roboter mit einem Gehirn von der Größe eines Planeten, der Streife laufen soll?
Er begeht Selbstmord. Aus Langeweile, nehme ich an. Oder weil er zu doof ist, die Stufen zu erkennen, die in ein Wasserbecken führen.

Der Knightscope K-5. Wer jetzt sofort an „Eliminiiiiieren“ denkt, liegt absolut richtig. Wenn die Daleks kommen, sollte man wohl am besten einen Brunnen in der Nähe haben.

Ja, das Superei hat sich in ein Wasserbecken gestürzt und ist dort elendig…nun…ertrunken. Könnte man sagen. Elimi-niiiieee-ren!
Man kann sich hier und da des Eindrucks nicht erwehren, daß über den Fehltritt des Killer…ähmmm…Schutzandroiden eine gewisse Schadenfreude herrscht.

Die Zukunft wird total toll. Spannend finde ich die Frage, ob die auch alle Kollektivselbstmord begehen können, wenn die Daleks Knightscopes erst mal über das Internet der Dinge vernetzt sein werden. Denn bestimmt wird dieses Feature noch eingebaut. Peace and Love 😀

Mythopolis

– III –

Das technologische Dogma

„My friend asked me to use a USB port to charge his cigarette, but I was needing it to charge my book. The future is stupid.“
some guy on the Internet

Ich mag Zugfahrten. Ich habe schon vor mehr als einem Jahrzehnt mein letztes Benzinvehikel verkauft und seitdem bewege ich mich mit Rad, Füßen und eben Zügen durch den Alltag. Klar kommen Züge mal zu spät, ab und an liegt eine Kuh auf dem Gleis oder ein Baum. Aber im Großen und Ganzen muß ich persönlich dem deutschen ÖPNV-System doch eine gewisse Brauchbarkeit attestieren. Kein Vergleich zur Schweiz, aber von englischen Verhältnissen eindeutig so weit entfernt wie ein Sigmar Gabriel von sozialdemokratischer Politik. Es ist auch nicht der Fernverkehr, in dem die Bahn ständig versagt. Über den läßt sich nur spektakulärer berichten. Es ist der Nah- und Regionalverkehr, der unglaublich gruselig sein kann und oft auch ist. Trotzdem mag ich Zugfahrten. Wenn mehrere hundert Tonnen Stahl über die Schiene gleiten, das Rheinpanorama rechter Hand neben mir, Sonnenlicht über dem Flußtal, während ich von dem Buch in meiner Hand aufblicke – das ist mit einer Autofahrt einfach nicht vergleichbar.

Ich habe schon immer davon geträumt, die manchmal durchaus bequeme Nutzung eines Autos mit der angenehmen Seite von Eisenbahnen zu verbinden.
Wenn selbstfahrende Autos existierten, könnte man ich davon eines im örtlichen Pool der Stadt bestellen, wenn ich denn dringend irgendwohin fahren muß. Ich sage dem Zentralrechner der Stadt Bescheid und fünf Minuten später steht das Fahrzeug vor der eigenen Tür. Ich steige in die Kiste und weise mich gegenüber dem Bordrechner aus. Mit Stimmabdruck, Handlinien, Retinascan – die Möglichkeiten sind vielfältig.
Dann sage ich dem elenden Navigationssystem, wo ich hin will, und die Möhre fährt los, um mich meinem Ziel entgegenzutragen. Dort angekommen, steige ich aus und das Fahrzeug bewegt sich zurück in den Pool oder eben zum nächsten Kunden, der es soeben angefordert hat.
Während dieser Fahrt scannt das Fahrzeug sein Inneres, stellt fest, das alles soweit in Ordnung ist, und schickt einen Satz Daten an den Zentralrechner der Stadt, der daraufhin die entsprechende Gebühr von meinem Konto einzieht. Das wird mir entsprechend mitgeteilt, der freundliche Muttercomputer sendet eine Botschaft und die Rechnung an mein Smartphone, mein Tablet, mein Fitnessarmband oder an irgendein anderes digitales Gadget, das man eben so mit sich herumträgt.
Gleichzeitig mit dieser Mitteilung verwandelt sich der bisher gespeicherte, persönliche Datensatz in den Computern in einen statistischen Datensatz.
Konnte man eben noch lesen „Person X von A nach B transportiert“ ist nun in den Datenbänken nur noch ein „Fahrt von A nach B“ zu finden.
Denn den ersten Datensatz brauchten die Computer nur bis zur Bezahlung der Gebühren und die ist ja gerade erfolgt. Die statistischen Daten brauchen sie, um den einzelnen Mietmodulen die entsprechenden Wartungsintervalle zuzuweisen. Die anfängliche Identifizierung dient natürlich auch dem Zweck, Vandalismus zu verhindern. Immerhin wissen wir alle, wie viele junge Menschen heute ihren Bildungsstand gerne damit ausdrücken, daß sie ihren Namen in die Scheiben und Sitze öffentlicher Verkehrsmittel kratzen.

Denn Hohepriestern des Fortschritts würde diese Vorstellung meinerseits sicherlich gefallen. Ganz besonders, wenn ich jetzt noch sage, daß ich dieses Szenario schon seit zwanzig Jahren in meinem Kopf herumtrage. Und jetzt beginnt es tatsächlich, Wirklichkeit zu werden. Nichts von dem, was ich gerade beschrieben habe, ist unmöglich, zu teuer, zu gefährlich oder aus technischen Gründen nicht machbar. Da sage noch einer, es gäbe keinen Fortschritt mehr. Oder womöglich, daß Fortschritt an sich bald nicht mehr existieren wird. Lächerliche Vorstellung!
Nein, Technologie wird immer einen Lösungsweg finden.

An dieser Stelle ist es dann meine Aufgabe, die Hand zu heben, zu lächeln, und eine weitere Frage zu stellen: Was ist eigentlich diese „Technologie“ von der die Apologeten des unendlichen Fortschritts immer wieder reden?
Oder, um mal die unsterblichen Worte des Lehrers in einem irgendwie zum Kultfilm mutierten Uralt-Streifen zu zitieren: Wat is’n Dampfmaschin‘?

Meine Behauptung sieht folgendermaßen aus: Technologie in dem Sinne, in dem das Wort von den Wissenschaftlern und Ingenieuren der heutigen Zeit benutzt wird, existiert ebensowenig wie es den linearen, unendlichen Fortschritt gibt, der heute längst zur nicht-theistischen Basisreligion unserer Gesellschaft mutiert ist. Continue reading →