Nach 47 Jahren der Sklaverei hat die britische Nation es endlich hinbekommen. In einem demokratischen Rundumschlag, einer Revolution des Volkswillens, hat sie das Joch der Unterdrückung abgeschüttelt. Ab sofort ist Großbritannien tatsächlich wieder groß. Es kann souverän über seine Grenzen bestimmen und was an diesen passiert. Oder wer diese passiert. Es kann seine eigenen Regeln aufstellen bezüglich Arbeitnehmerrechten. Oder Sozialstaat. Oder Außenpolitik.
Der Brexit ist endlich done. Gefühlt mehrere Millionen befreiter Briten sammelten sich vorgestern auf dem Parliament Square und zählten den Countdown eines politischen Entscheids herunter, als sei es Silvester. Viele dieser Befreiten hatten eine britische Flagge um den Hals hängen. Ein wahrhaft symbolisches Bild. Denn die meisten dieser Leute waren Engländer, keine Briten.
Noch bevor der Countdown abgelaufen war, konnte man als einer der Nicht-Befürworter des britischen EU-Ausstiegs schon sehen, wohin die von Boris Johnson angekündigte „Heilung nach dem Brexit“ in der Gesellschaft der Insulaner führen wird. Es gab Plakate mit Aufschriften wie „Lock up the traitors!“
Wer also nicht für uns war, ist gegen uns. Wer in einem Referendum nicht an derselben Stelle das Kreuz macht wie ich, ist ein Verräter. Was immer da irgendwer verraten haben soll. Eine Gesellschaft, in der derartig hirnkranke Individuuen frei herumlaufen und sogar den Premierminister stellen, ist weit jenseits irgendeiner Heilung. Eine derartige Gesellschaft liegt im Sterben.
Das bisherige Crescendo dieser „Oper des politischen Idiotismus“ waren die Parlamentswahlen, bei denen Boris Johnson so richtig abgeräumt hat. Nach dreieinhalb Jahren völliger Unfähigkeit, sich darüber zu einigen, was man eigentlich wollen soll, hatten die Wähler diesmal die Schnauze voll. Wir Deutschen kennen das. Gerhard Schröder wurde 1998 nicht etwa Kanzler, weil er so unfaßbar überzeugend gewesen wäre, wie er das immer geglaubt hat. Er wurde Kanzler, weil Deutschland nach 16 Jahren Kohl auch einen Ficus zum Kanzler gewählt hätte, solange der halt nicht Mitglied der CDU gewesen wäre. Mit einem Katzenbaby hätte man die absolute Mehrheit geholt.
Schröder, diese Zimmerpalme des exzessiven Neoliberalismus, wurde schlicht mangels Alternativen erster FDP-Kanzler der Berliner Republik, dann Gasableser für Putin. Heute nörgelt er gelegentlich aus dem Off an der Politiksimulation seiner Partei herum, so wie ehemalige SPD-Granden das bei ihrer ehemaligen Partei gerne tun. Das jemand wie Schröder niemals in eine Partei hätte eintreten dürfen, die das Wort „Sozialdemokratie“ im Namen trägt, war schon damals ein klar erkennbares Zeichen des bevorstehenden Untergangs. Continue reading →