Tortillas am Rubikon

Nun ist es also soweit. Nach dem schönsten, längsten und vermutlich auch teuersten Shutdown der US-Geschichte hatte sich der Kongreß nach längerem Hin und Her endlich auf einen Haushaltsentwurf geeinigt. Dieser sieht knappe 1,4 Milliarden Dollar mehr vor als der Entwurf, den Donald Trump, immer noch Präsident der Uneinigen Staaten von Amerika, im Dezember abgelehnt hatte. Weil seine Mauer nicht drin vorkommt.
Das dumme ist, die kommt immer noch nicht im Haushalt vor. Zu den 1,9 Milliarden im Dezember kommt jetzt der besagte Aufschlag. Bezahlt werden sollen damit etwa 55 Meilen „neuer Grenzzäune“. So ist das eben: wenn Donald Trump 230 Meilen neuer Betonwände oder Stahlbarrieren verspricht, kriegt man hinterher einen Maschendrahtzaun. Einen kleinen.
Die etwas weitschweifige Widmung eines solchen Etatpostens hat eben den Sinn, das entsprechende Geld recht breit gestreut einsetzen zu können.  Das wiederum bedeutet, man kann damit neues Personal anstellen. Wobei das ja eine staatliche Stelle wäre und ich bin mir nicht sicher, daß diese Ausschreibungen im Moment besonders großen Zulauf fänden.
Man kann das Geld für mehr Kameras ausgeben. Einen zusätzlichen Hubschrauber. Solche Sachen. Man kann damit sogar den einen oder anderen Kilometer Zaun erneuern, erhöhen oder ihn durch transparentes Aluminium ersetzen lassen, denn exakt das ist es, was Donald Trump seinen getreuen Jubelpersern mehr oder weniger zugesichert hatte. Damals, als America noch nicht great war und er deshalb Präsident werden mußte.

Allerdings hat er auch gesagt, daß Mexiko für die wunderschöne, neue, tolle und phantastische Grenzmauer zahlen würde. Scheinbar hat Mexiko das aber vergessen, deswegen benötigt der Präsident jetzt Geld. Wobei er das auch schon vor zwei Jahren hätte beantragen können. Denn schließlich gab es da eine Mehrheit für die Republikaner in beiden Kammern des Kongresses. Die existiert seit November nicht mehr.
Genau einen Tag später begann der Twitterer-in-Chief dann, irgendwelche Fieberphantasien von einer mittelamerikanischen Invasion zu verbreiten. Das ist der nationale Notstand, auf den der DOTUS sich jetzt berufen möchte, um das Parlament zu entmachten. Denn genau das ist der Kernpunkt. In jeder Demokratie der Erde liegt das Budgetrecht ausschließlich beim Parlament. Getreu dem Motto, daß derjenige dich am Arsch hat, der entscheiden kann, welches Geld wohin fließt.
Es ist nicht so, daß es noch nie Notstände in den USA gegeben hätte. Barack Obama beispielsweise rief einen aus, um den Angestellten des Bundes ihr Gehalt nicht erhöhen zu müssen. Sanktionen gegen den Erzfeind der USA, nämlich Iran, sind seit 40 Jahren per nationalem Notstand in Kraft. Im Koreakrieg ging ein Präsident Truman so weit, für gewisse Produkte sogar Preiskontrollen einzuführen. Übermäßige Gewinne der Rüstungsindustrie wurden durch eine Sondersteuer bis zu 77 Prozent abgeschöpft, während in Asien die ersten Artilleriesalven rollten. Nach heutigen Maßstäben hat der sozialistische Präsident also damals in den USA den Kommunismus ausgerufen. Nur hat bisher noch nie ein Präsident es gewagt, in die Gewaltenteilung einzugreifen. Continue reading →

Die unerträgliche Nachhaltigkeit des Seins

– IV –

Zahlen, bitte!

„Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie denken.“
Heinz Erhardt

Trotz aller zur Schau getragenen Modernität und Aufgeschlossenheit gegenüber einer irgendwie anderen, freundlicheren, grüneren Zukunft verbirgt sich hinter all diesen Konzepten noch immer dieselbe hirnlose Annahme wie schon seit Jahrzehnten: Das Mensch eine Spezies ist, die von ihren Handlungen keinerlei Konsequenzen zu befürchten hat.
Wir wollen nicht, daß unser Handeln Konsequenzen hat. Obwohl das ein Punkt ist, den unsere Eltern meiner Generation noch beibrachten.
„Aus Fehlern wird man klug“, sagte Mutter, als das Kind auf der drei Meter hohen Mauer balancierte. Heute würden atemlose Bruterzeuger sofort zum Smartphone greifen, um die Armee anzufordern, damit sie Matratzen abwirft und danach eine Bürgerinitiative gründen, um die brandgefährliche Steinmauer auf der Stelle mit Seilen, Brücken und Polstern an allen Ecken und Kanten ausstatten zu lassen. Natürlich von öffentlichen Geldern.
Wir sind damals auf die Fresse gefallen, wenn wir nicht aufgepaßt haben. Was einen nicht davon abhielt, nochmal auf der Mauerkrone zu balancieren. Nur hat man beim zweiten Mal eben besser darauf geachtet, wo man gerade hintritt. Handlungen haben Konsequenzen. Lernen ist eine davon.

Menschen als Individuen sind zu Lernprozessen durchaus fähig. Im Grunde genommen sind sie nur dann lebensfähig, wenn das der Fall ist. Es gibt eine Handvoll Ausnahmen, aber die werden dann amerikanische Präsidenten, Standard-Ökonomen oder Alexander Dobrindt, fallen also für die kulturelle und intellektuelle Entwicklung der Zukunft der industriellen Zivilisation nicht ins Gewicht.
Das ist eines der Mißverständnisse, mit denen unsere untergehende Kultur im zunehmenden Maße ringt. In heutigen Schulen und an heutigen Universitäten werden Lebewesen mit mehr oder weniger menschlichen Ansätzen in recht effektive Prüfungsbestehmaschinen verwandelt. Denn die nächste Barcelona-Prüfung, der nächste PISA-Test, sie kommen bestimmt.
Macht das jeweilige Lerninstitut nicht genug Punkte, streicht es die Bundesregierung womöglich von der Liste seiner Exzellenz-Unis, was weniger Geld bedeutet. Also müssen Klausuren per Ankreuzverfahren bestanden werden und so austariert, daß nicht zu viele durchfallen. Aber auch nicht zu wenige, denn man hat ja nur begrenzt Platz. Sorgfältig wird hier der universitäre Lernprozeß angepaßt an die ökonomischen Notwendigkeiten, die erfüllt sein müssen, damit die jeweilige Bildungseinrichtung auch im nächsten Haushaltsjahr kraftvoll zubeißen…nein, mit beiden Händen tief in den aufgestellten Topf mit Regierungsgold greifen kann. Continue reading →

Das wahre Morgen

– VI –

Smoothies und Prosecco

„Unzurechnungsfähigkeit: Immer wieder dasselbe zu tun in der Hoffnung, damit ein anderes Ergebnis als zuvor zu erzielen.“
unbekannter Verfasser

Durch meine Hände gehen Kinderbücher. Die ganz kleinen. Bunte Bilder und etwas Text auf zehn bis zwölf Seiten.
Geschichten für Drei- und Vierjährige und solche, die gerade Lesen lernen.
Da gibt es Pu den Bären. Die Biene Maja. Die Biene Maja meiner Kindheit, wohlgemerkt. Es sind ältere Kinderbücher. Immer mehr von denen werden aus dem Verkehr gezogen, da die Rechtschreibung ja nicht mehr stimmt. Diese Biene ist also die etwas pummelige Klugscheißerin, die mit ihrem faulen – und noch dickeren – Kumpel Willy unterwegs ist, um neue Wiesen zu entdecken, neue Blumen und…obwohl, nein. Falscher Text.
Heute ist diese Biene ein Produkt von CGI, das ist die Abkürzung von „computer generated image“. Die heutige Maja ist deutlich schlanker und wirkt in ihrer computerisierten Sterilität bei weitem nicht so sympathisch wie die noch auf Folien gezeichneten Vorlagen der Erschaffer vor fünfunddreißig Jahren. Ich weiß nicht, ob Willy auch abgenommen hat oder heute ein Sportzentrum für Drohnen betreibt. Aber ich halte es für sehr gut möglich.
Ein Kinderbuch erzählt die Geschichte von Krankheit, Krankenhaus und – natürlich – Heilung. Es sind Kinderbücher, da sind Happy Ends natürlich vorgeschrieben, in mehrfacher Bedeutung des Wortes. Dieses Buch hier ist von Stada.
Ein anderes erzählt die Geschichte von Benni dem Schaumdrachen. Auf der Rückseite prangt das Logo des Pharmakonzerns Bayer, zusammen mit einem kleinen Text, der die Vorzüge eines schmerzstillenden Schaumpräparats beschreibt. Bayer ist der Konzern, der vor einer Weile Monsanto gekauft hat, diesen Gentechnikladen, der angeblich seit vierzig Jahren den Welthunger bekämpfen will.
Seltsamerweise scheint das nie zu funktionieren, obwohl Monsanto seine Tentakel inzwischen bis aufs letzte Baumwollfeld Indiens oder Sojafeld Südamerikas ausgestreckt hat, wobei der Konzern auf die Umwelt im allgemeinen und Menschenrechte im Besonderen nicht viel gibt. Zumindest bekommt man den Eindruck. Ist halt so eine Sache, der Welthunger.

Wir haben längst die Kontrolle abgegeben über Dinge, die uns eigentlich sehr am Herzen liegen sollten. Um die man sich selbst kümmern muß, auch wenn das nicht immer einfach ist. In diesem Fall darüber, was unsere Kinder lernen. Was sie lernen sollten. Und vor allem, wie sie es lernen.
In meiner Hand habe ich eine Packung mit einem etwas seltsamen Gegenstand. Eine Art Pad, eine Plattform mit rutschfesten Noppen aus einem flexiblen Kunststoffzeug. Damit sollen Kinder ihr Gleichgewicht besser kontrollieren lernen.
Mein Stirnrunzeln wird aber besonders durch die Verpackung ausgelöst. Spielende Kinder balancieren über die Reste eines Holzzauns an einer Wiese, im Hintergrund glückliche Kühe, Wiese und Sonnenschein.
Stimmt. So haben wir als Kinder gelernt, wie man über schmale Dinge wandert, ohne dabei auf die Fresse zu fallen. Und nicht, indem unsere Eltern uns auf ein wabbeliges Gelkissen gestellt haben, auf dem Teppich im Wohnzimmer. Irgendwo entdecke ich eine massive Diskrepanz zwischen dem, was der Aufdruck hier zeigt und dem, was in der Packung tatsächlich drin ist. Keine einzige Kuh, glücklich oder nicht. Wiesen auch nicht. Sprich einer von Mogelpackungen.
Überhaupt stolpert man im Internet, freiwillig oder nicht, immer wieder über dieses ganze Zeug. Soll mein Kind mit einem Jahr schon laufen? Mit acht Monaten sitzen? Wie stille ich richtig? Was ist mit Stillen in der Öffentlichkeit?
In geradezu hysterischer Akribie werden hier Menschen, die Eltern werden oder geworden snd, jede Menge Dinge um die Ohren gehauen, die unbedingt zu beachten sein sollen. Wenn man – oder besser, frau – bei der Geburt nicht richtig atmet, wird das nichts mit dem späteren Nobelpreis für Literatur für Malte-Torben. Leider verschissen, von Anfang an. Continue reading →

We never had Paris

Das kleine pelzige Alien, das auf dem Kopf – und offenbar auch im Kopf – von Donald Trump lebt und die USA regiert, hat es wieder getan: In tiefer Verzweiflung, das die Weltpresse seinen ab-so-lut grrrrrrrrroßartigen Besuch in Europa und beim G7-Gipfel nicht mit dem gebührenden Lob überschüttete und diese lächerlichen Rußland-Vorwürfe endlich mal ruhen ließ, hat das Trumpeltier das Pariser Klimaabkommen gekündigt.
Oder besser, es hat gesagt, es will einen besseren Deal haben. Das wäre dann in Trumps Welt eine Vereinbarung, in der die USA alles kriegen und alle anderen es bezahlen müssen. Und noch dafür dankbar sein, versteht sich.
Seitdem dieser Typ, für mich ja wenig überraschend, die Herrschaft über die bröckelnden Reste des amerikanischen Imperiums übernommen hat, sehe ich seinem Treiben zu. Mit einer Mischung, die irgendwo zwischen angeekelt und fasziniert liegt, versuche ich zu verstehen, welche Art dementen Wahnsinns das eigentlich ist, die sich da vor aller Augen im Oval Office covfefe.

Jetzt will er also das Klima nicht mehr retten, der Donald. Was ich wenig verwunderlich finde, hat er doch aus seiner geistigen Unfähigkeit keinerlei Hehl gemacht im Wahlkampf. Und außerdem liegt er mit seiner antiwissenschaftlichen Vollignoranz ja völlig auf der Linie der Partei, der er offiziell angehört und die sich immer mehr fragt, wie sie diesen Sith-Lord der Verblödung wieder loswerden könnte, ohne selbst dabei draufzugehen. Kassandra sagt: Vergeßt es, Jungs. Das wird nicht klappen.
Was bedeutet, der nächste Präsident könnte einer wie Mike Pence sein, der dann vermutlich direkt nach seinem Amtseid zu einem neuen Kreuzzug ins Heilige Land aufrufen würde. Was dann in der Besetzung Saudi-Arabiens endet oder so in der Art. Der Vizepräsident ist nämlich ein noch viel gefährlicherer Spinner als das Alien. Auch ein Typ wie Ted Cruz und andere christlich-fundamentalistische Vollspinner sind nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Ich bin also ausdrücklich dafür, den aktuellen Präsidenten weder zu erschießen noch per Impeachment aus dem Amt zu jagen. Die Alternativen sind einfach noch furchtbarer, selbst wenn man die eigene Vorstellungskraft dazu schon stark strapazieren muß.

Die Begründung des prototypischen Idioten ist ebenfalls sehr schön geeignet, diese Art des Nicht-Denkens zu illustrieren, die uns erst in die Situation gebracht hat, in der so etwas wie das Pariser Abkommen COP21 überhaupt notwendig geworden ist.
Donald Trump wirft unter anderem China und Indien vor, daß die ihre CO2-Emissionen weiterhin steigern dürften, die USA ihre aber senken müßten. Das sei „ein schlechter Deal und schlecht für Amerika“.
Das ein Land wie die USA diverse Jahrzehnte lang der einzige fette CO2-Verschmutzer gewesen ist und daher eben einiges an Vorsprung hat, was die emittierte Menge in Tonnen angeht, besonders pro Kopf der Bevölkerung, ist natürlich für jemanden wie Trump völlig unerheblich. Außerdem kommt in dem Satz nur einmal sein Name vor, deswegen liest er das vermutlich nicht, selbst wenn es ihm jemand aufschreiben würde. Wie – das wußte keiner? Continue reading →

Neue Cäsaren

„We are governed, our minds are molded, our tastes formed, our ideas suggested, largely by men we have never heard of.“
Edward Bernays

Vor zwei Jahrtausenden, in einer Stadt namens Rom, galten die Tugenden eines Kriegers als so wichtig, daß sie unabdingbarer Bestandteil der Gesellschaft waren und von jedem erwartet wurden, der sich später um ein öffentliches Amt bewerben wollte.
Man setzte voraus, daß der jeweilige Römer seinen Teil zur Verteidigung des Gemeinwesens geleistet hatte, also den Militärdienst, der damals wohl so etwa zehn Jahre betrug. Das mögliche erste Amt, das dann üblicherweise ausgeführt wurde, war das einen Militärtribuns, was in etwa einem heutigen Stabsoffizier entspricht. Dieser Tätigkeit konnte sich eine Quästur anschließen, wobei ein Quästor heute so etwas wie ein Regierungsinspektor in der Finanzverwaltung wäre. Steuern und andere Gebühren einzutreiben war wohl die Haupttätigkeit eines Quästors. Auch als Untersuchungsbeamte waren sie tätig.
Wie jeder Asterix-Leser weiß, wurde dem korrupten Statthalter Agrippus Virus, der in Condate (Rennes) sein Unwesen trieb, der tapfere Quästor Claudius Incorruptus auf den Hals geschickt, um dessen verdächtig niedrige Überweisungen an die römische Staatskasse zu überprüfen. Was wiederum auf verschlungenen Pfaden die beiden Gallier nach Helvetien führt, also die Schweiz. Die übrigens sehr flach ist.

Im weiteren Verlauf des römischen cursus honorum, der Ämterlaufbahn, gab es dann noch die Ädilen, die Prätoren und schließlich – das Ziel aller Mühen – das Konsulat. Um einmal Agrippus Virus zu zitieren: „Ich bin gewählt auf ein Jahr. Ein Jahr, um reich zu werden!“
Denn tatsächlich wurden die römischen Ämter gewählt für die Dauer eines Jahres. Alle Ämter wurden mehrfach besetzt, damit sich die Kollegen gegenseitig bewachen konnten und deshalb durfte auch jeder den anderen beeinflussen. Also ihm in seine Entscheidungen reinquatschen. Was zur Folge hatte, daß man zu Zeiten eines Julius Cäsar bereits alle Amtsinhaber bestechen mußte, um irgendwas zu erreichen.
Außerdem durften keine zwei Ämter gleichzeitig ausgeführt werden und es mußte eine Pause zwischen den Ämtern geben, die mindestens zwei Jahre dauerte. Seltsamerweise gelten trotzdem die Griechen als Erfinder der Demokratie und nicht etwa die Römer, die ein wesentlich ausgeklügelteres System des Wählens und Verwaltens erschaffen haben. Im Athen eines Perikles durfte sich eine Handvoll besitzender Männer an einem Ort versammeln, um die Probleme der Allgemeinheit zu bequatschen und über irgendwas zu entscheiden. Wobei dieses „irgendwas“ natürlich sehr oft mit den besitzenden Männern zu tun hatte und nicht mit dem Rest der Bevölkerung, der weder männlich war noch besitzend. Oder überhaupt Bevölkerung, sofern es sich um Sklaven handelte.

Zu Cäsars Zeiten waren sämtliche Vorschriften über Ämterhäufung und -abfolge bereits längst Makulatur – das ist römisch für „keine Sau interessierte sich noch dafür“. Da wurde gebündelt und hintereinander gewählt, daß es nur so eine Freude war. Eines der Ämter, die in Rom ebenfalls gewählt wurden, war das des Diktators. Wir stellen uns da heute immer etwas anderes vor, aber vor zweitausend Jahren war ein Diktator ein offiziell beauftragter Typ, der üblicherweise für Rom die Kastanien aus dem Feuer holen mußte, das Rom vermutlich selbst angezündet hatte. Damals war ein Diktator sozusagen Teil des demokratischen Prozesses. Zumindest diese Sitte scheint sich heute wieder einzubürgern in der westlichen Welt. Überall tauchen neue Diktatoren auf und wollen die Demokratie retten, indem sie sie abschaffen. Ganz aktuell in der Türkei.
Kaum war dieser etwas seltsame Putsch im letzten Jahr vorbei, war hinterher jeder ein verdächtiger Putschist, dessen Nase Erdogan nicht gefiel. Wie sich herausstellte, sind das ziemlich viele Menschen, die gerne auch mal Journalisten, Universitätsprofessoren oder Justizbeamte sind. Inzwischen sind Dutzende Journalisten in Haft, der türkische Außenminister redet davon, daß ein Land wie Deutschland sich gefälligst mal seiner total tollen Supernation gegenüber respektvoller zu benehmen habe und Erdogan hat amtlich – also selber morgens beim Frühstück – festgestellt, daß natürlich Muslime Amerika entdeckt haben und überhaupt dem Islam wesentlich mehr Gewicht zukommen sollte in Europa und der säkularen Türkei. Sensationelle Geschichte, im wahrsten Sinn des Wortes. Ich wußte gar nicht, daß die Wikinger, die im neunten Jahrhundert bei Neufundland an Land gingen, Muslime waren. Die norwegische und dänische Regierung übrigens auch nicht. Continue reading →

Bestimmung der Fallgeschwindigkeit

„It’s the end of the world as we know it
and I feel fine.“

R.E.M.

Großer Gott, was war das eine furchtbare Wahlnacht im November. Der Kandidat, von dem alle sich seit Monaten gefragt hatten, wie er überhaupt Kandidat für irgendwas werden konnte außer womöglich für Werbung für Zahnpasta oder Selbstbräuner, ging auf die Bühne, um seinen überwältigenden Wahlsieg gebührend zu feiern. Ausgerechnet dieser Typ, dem die meisten Kommentatoren jegliche Eignung für sein Amt abgesprochen hatten, stand als Sieger auf dem Treppchen des Präsidentenrennens.
Er hatte nicht gewonnen, weil er das bessere Programm hatte. Sein Sieg war vor allem auch Folge von sehr schwachem und wenig überzeugendem Auftreten seines Gegenspielers. Im Angebot des Gewinners befanden sich eigentlich nur Platitüden ohne Inhalt, reine Schlagworte. Irgendwas mit den Russen war gerne dabei. Und natürlich immer wieder dieses Gerede von Amerika als großer Nation, die unbedingt wieder ihrem Auftrag gerecht werden müsse, die freie Welt zu führen. Ob die freie Welt das will oder nicht, war dabei völlig egal. Und wohin genau man die führen solle, die freie Welt, das ließ der Kandidat auch offen und widersprach sich bei dieser Frage gerne selbst. Nach dem, was er so von sich gab, notfalls auch in den Abgrund.

Ein grinsender Schwachmat mit platten Sprüchen und eher mäßigem politischem Hintergrund hatte die Wahl gewonnen. Die Medien weltweit überschlugen sich vor Entsetzen. Wie hatte das nur passieren können? Dieser Mann sollte Amerika regieren? Und diese Frisur!
Niemand wußte, was sich daraus ergeben sollte. Auf keinen Fall etwas Gutes, denn der Kerl hatte einfach nichts drauf. Weder intelligent noch gebildet, im Grunde ein Typ vom Lande, der seine eigene Ignoranz gegenüber so ziemlich allem wie eine Monstranz vor sich her trug. Außerdem auch noch siebzig Jahre alt, nicht gerade ein junger und dynamischer Verwalter des einflußreichsten politischen Amtes des Planeten.
Ja, dieser 20. Januar 1980, an dem ein Mann namens Ronald Reagan seinen Amtseid ablegte auf den Stufen des Kapitols, war kein guter Tag für die weitere Entwicklung der Zivilisation.

Da sage noch einer, Geschichte wiederholt sich nicht. Wie bereits schon mehrfach festgestellt innerhalb dieser Blogzeilen: Doch, tut sie.
Ein Kreis ist ein nahezu perfektes Symbol für die Gesamtheit der menschlichen Historie. Oder eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt, die Welt umgibt und sie somit zusammenhält.

Menschen sind gefangen in Narrativen. In Geschichten, die sie sich darüber erzählen, wie die Welt beschaffen ist. Wobei sie in Wahrheit sehr oft Geschichten darüber erzählen, wie die Welt beschaffen sein sollte, was einen Unterschied ausmacht.
Das ist die Art und Weise, wie Mensch die Welt begreift. Ihr Sinn verleiht, den sie oft im flüchtigen Hinsehen nicht zu haben scheint. Im Grunde genommen besteht menschliche Zivilisation aus Geschichten.
Das Narrativ von Fortschritt und Innovation hatte ich bereits ausführlich erwähnt. Dieses realitätsresistente Beharren auf der Überzeugung, daß irgendein sogenannter Fortschritt erstens ewig ist und zweitens immer Ergebnisse hervorbringt – und natürlich hervorbringen wird – die ausschließlich zu einer Verbesserung unserer Lebensumstände führen.
Unsere Eigenart, immer wieder von „Technologie“ zu reden, obwohl wir doch so etwas gar nicht besitzen. Wir sind Bewohner der Technosphäre. Wir sind Einwohner von Mythopolis. Kein technologisch wirklich nützliches Dingsbums steht ohne ein Fundament aus anderen Dingen einfach so im Raum herum. Überall greifen Dinge ineinander, wie Zahnräder einer großen Maschine.
Ein Mann namens Lewis Mumford hat einmal ein Buch darüber geschrieben. Es heißt Mythos der Maschine. Das, was ich die Technosphäre getauft habe, und das, wovon diese wiederum nur ein Teil ist, nämlich unsere industrielle Zivilisation, hat Mumford in seinem Buch die Megamaschine genannt. Continue reading →

Weimar Amerika

„Wenn wir Gewalt ausüben, dann weil wir die Vereinigten Staaten von Amerika sind.
Wir sind die unersetzliche Nation. Wir stehen über anderen und haben einen weiteren Blick auf die Zukunft als andere Nationen.“

Madeleine Albright

Es war eine mehr als seltsame Woche.
Die Elbphilharmonie in Hamburg wurde offiziell fertiggestellt. Also, fertig. So richtig. Im Sinne von: „Da kommen jetzt keine Bauarbeiter mehr“.
Gut, die kamen vorher auch mal nicht, aber da konnte man den Bau halt nicht nutzen, um darin Konzerte abzuhalten, was nun ja eigentlich erklärter Sinn eines medialen Hauses dieser Sorte ist.
Nein, diesmal kommen die Bauarbeiter nicht mehr, weil es nichts mehr zu tun gibt. Licht brennt. Akustik ist installiert. Alles töfte in Deutschlands teuerstem Theater. Schlappe 786 Millionen Euro hat das gekostet. Derartig viel Steuergelder verbrennen für einen schweinehäßlichen Glasaufsatz auf einem optisch wenig ansprechenden Ziegelbau – Respekt!
Überall in der deutschen Presse wird der grottenhäßliche Bau jetzt mit geradezu brechreizerregender Prosa schöngejubelt, damit einem die um 1000 Prozent gestiegenen Baukosten nicht mehr so auffallen. Der häßliche Glaskasten galt als architektonisches Debakel – und das bleibt er auch, nur ist er jetzt eben ein fertiges architektonisches Debakel.
Kassandra sagt: In spätestens zehn Jahren wird es in die Hütte reinregnen oder sie wird von innen rosten im Hamburger Hafenklima. Denn die „organisch geschwungenen Fenster“, die irgendein koksender Architekt da entworfen hat, schließen nicht dicht. Aber tolle Akustik.
Mit Spannung harre ich nunmehr der endgültigen Rechnung für das „bestkalkulierte Großprojekt aller Zeiten“ in Deutschland, Stuttgart21. Mein Tip war immer, daß damit der Preis gemeint ist, also 21 Milliarden. De-Em natürlich, denn das Bahnhofsprojekt ist ja planungstechnisch nun schon etwas älter als die Elbphilharmonie, zumindest, was deren Glasteil betrifft. Das wären dann Pi mal Fensterkreuz so um die 10,5 Milliarden Euronen. Ist immer noch mein Tip. Wir schaffen das.

Dann – ja, dann haben sich Youtube und die GEMA geeinigt. Und zwar darauf, daß die GEMA endlich ihre Klappe hält, mit dem widerlichen Rumgewinsel aufhört und man in Deutschland die Videos gucken kann, die der Rest der Welt auch gucken konnte bis jetzt. Also beispielsweise in Burkina Faso oder Andorra. In Nordkorea nicht, denn in dem Land gibt es ganze 1024 IP-Adressen, das reicht nicht fürs Videostreaming. Und eben in Deutschland auch nicht. Nicht etwa, weil wir uns keine IP-Adressen leisten konnten. Nein, weil wir diese lächerliche „Verwertungsgesellschaft“ haben, diese peinlichen Parasiten im kreativen Pelz der Gesellschaft, die es bisher in ihrer unnachahmlichen Arroganz für geboten hielten, deutschen Usern selbst die Videos vorzuenthalten, die von sehr hörenswerten Bands auf ihren eigenen Webseiten präsentiert worden sind.
Wie kommen derartige Kulturterroristen auch nur auf die Idee, sie dürften auf ihrer Webseite Videos zeigen, die sie selber gemacht haben und selber dort hochgeladen und in denen diese Bands – Hölle! – ihre eigene Musik einem Publikum präsentieren? Völlig absurde Vorstellung natürlich.
Aber da hat die GEMA ja zum Glück den Alleinvertretungsanspruch. Ich kannte das bisher nur aus der politischen Geschichte der beiden deutschen Staaten, daß da irgendwer einen solchen Anspruch erhebt. Aber nein, die GEMA nimmt tatsächlich für sich in Anspruch, jeden Künstler in Deutschland zu vertreten, ob der das will oder nicht. Continue reading →

Das Zerbrechen der Welt

„Jetzt bin ich der Tod geworden, der
Zerstörer von Welten.“
Bhagavad Gita

Strahlender Sonnenschein. Blauer Himmel. Um die 20 Grad. Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs an diesem Tag. Dutzende Menschen stehen Schlange vor den Eisdielen. Morgen ist ein Feiertag, viele haben über die Brückentage freigenommen. Ein prächtiges langes Wochenende steht bevor. Deutschland im Frühling. Die Bonner Republik im Frühling, um exakt zu sein, denn es ist das Jahr 1986.

Vier Tage zuvor
Morgens gegen 01:20 befiehlt Chefingenieur Anatoli Stepanowitsch Djatlow, in dieser Nacht in einem Atomkraftwerk in der Sowjetunion der Oberbefehlshaber im Kontrollraum, seinem Schichtleiter, einem Mann namens Alexander Fjodorowitsch Akimow, den seit einiger Zeit angesetzten Sicherheitstest im Block 4 des Kraftwerks programmgemäß durchzuführen. Akimow hat bis dahin bereits mehrfach Bedenken aufgrund des Reaktorzustandes geäußert, der unerklärlich niedrige Leistungswerte aufweist. Djatlow will davon nichts wissen, mit der ihm wohl eigenen Bissigkeit verteidigt er seine Position. Eingebunden in das politische System der Sowjetunion, hat er sich von einem Niemand, der von Daheim weglief, zu einem Nuklearingenieur in angesehener Stellung hochgearbeitet.

Schon die ganze Zeit läuft bei den Vorbereitungen nichts wirklich rund. Erst die niedrige Reaktorleistung, dann sinkt auch noch der Wasserstand in den Dampfabscheidern gefährlich ab, was einen Alarm auslöst. Doch bereits das Anfahren des Tests hätte nicht stattfinden dürfen. Denn dafür ist die Leistungsabgabe zu niedrig und dieser Reaktortyp hat bei unterwertigem Energieausstoß einige Tücken. All das steht irgendwo in den Handbüchern, die aber ignoriert werden. Um mehr Energie zu erzeugen, machen die Ingenieure das, was jede andere Mannschaft auch tut in einem Kernkraftwerk: die Steuerstäbe werden herausgezogen, es fließen mehr Neutronen, die Kettenreaktionen nehmen an Zahl zu. Der Reaktor erhöht seinen Ausstoß.

Was die Bediener im Kontrollzentrum nicht wissen: Der Reaktor leidet in diesem Moment unter dem, was in der Fachsprache Xenonvergiftung heißt. Im Normalbetrieb eines Reaktors entsteht das Produkt 135Iod. Dieses wiederum zerfällt mit einer Halbwertszeit von etwa sieben Stunden in ein anderes radioaktives Isotop, eben 135Xenon. Xenon ist ein Neutronengift, was bedeutet, daß es freie Neutronen einfängt und somit die Reaktionsrate in einem nuklearen Spaltprozeß senkt. Exakt das ist im Vorfeld passiert. Die vorhergehenden Schichten haben den Reaktor weit unter seiner zulässigen Leistung gefahren, im Reaktorkern hat sich zuviel Xenon angesammelt. Bei einem normalen Betrieb hätten sich Erzeugungs- und Zerfallsrate etwa die Waage gehalten, aber das ist nicht der Fall. Eigentlich müßte der Reaktor abgeschaltet werden, bis das überschüssige 135Xenon zerfallen ist.
Stattdessen werden die Steuerstäbe herausgezogen, um die Leistung hochzufahren. Trotzdem sackt die Leistung weiter ab, bis auf etwa 200 Megawatt. Für den geplanten Versuch sind mindestens 700 Megawatt vorgeschrieben.

Djatlow erteilt Anweisung, etwas gegen den Alarm wegen des niedrigen Wasserstands zu unternehmen und ignoriert Akimovs fortgesetzte Bedenken aufgrund der Leistung. Es ist der letzte falsche Befehl, der in dieser Nacht gegeben wird. Akimow und ein Kollege folgen der Anweisung und drehen den Hahn weiter auf, der Reaktorkern wird besser bewässert. Er erreicht aber trotzdem nur zwei Drittel des vorgeschriebenen Pegels. Der Alarm stoppt aber, denn das liegt oberhalb der Warnschwelle.
Dann beginnt der eigentliche Test. Die Bedienmannschaft unterbricht die Wärmeabfuhr aus dem Reaktorkern, die Kühlmitteltemperatur beginnt zu steigen, die Zerfallsrate des überschüssigen Xenons erhöht sich.
Die Katastrophe im Inneren der von Menschengeist erdachten und von  Menschenhand gebauten Maschine nimmt ihren Lauf. Die automatische Steuerung versucht, den Leistungsanstieg mit dem Einfahren der Steuerstäbe zu drosseln, ganz nach Programm. Aber sie fährt die Stäbe nur langsam ein, was auch seinen Grund hat.
Doch das reicht nicht. Der Neutronenfluß im Reaktor wird stärker, die Leistung steigt unkontrolliert. Hierdurch erhöht sich die Zerfallsrate des 135Xenon im Reaktorkern weiter, wodurch die bisherige Dämpfung der Reaktion massiv abgebaut wird. Der starke Energieanstieg erzeugt immer mehr Dampfblasen, was wiederum die Kühlung verschlechtert und ebenfalls die Leistungsabgabe erhöht. In diesem Moment ist aus dem Sicherheitstest für den eigentlich recht neuwertigen Kernreaktor bereits eine Katastrophe geworden. Die gezähmte Atomenergie hat sich in ein Monstrum verwandelt, das längst außer Kontrolle ist. Continue reading →