Immunreaktion

„DON’T THINK OF IT AS DYING“, said Death. „JUST THINK OF IT AS LEAVING EARLY TO AVOID THE RUSH.“
Terry Pratchett, Ein gutes Omen

Wundervolles Wetter. In blühenden Seehäfen wie Venedig werden Schiffe entladen. In Genua und Mailand blüht der Handel. Banken verleihen Geld an Händler und Kaufleute. Schiffe bringen die Waren dieser Händler über das Rote Meer nach Europa. Über die Seidenstraße. Gewürze. Seide. Edelmetalle.
Sie liefern den Tod gleich mit. Der Tod ist ein Meister aus Asien.
Die Pest des Jahres 1347 fegt das Land leer wie das Höllenfeuer, von dem die Kleriker auf ihren Kanzeln gerne sprechen, um die Gläubigen der Gnade Gottes zu versichern. Die sterben trotzdem. Der stäbchenförmige, gram-negative Gott, der bis etwa 1352 über Europa hinwegzieht, wird 1894 in Indien vom französischen Arzt Alexandre Émile Jean Yersin entdeckt, als er das dortige erneute Aufflackern der bis dahin furchtbarsten Seuche untersucht, die die Menschheit je heimgesucht hatte.
Der Erreger Yersinia pestis ist gefunden, einer der großen Triumphe moderner medizinischer Wissenschaften. Erst jetzt sterben empört die letzten Vertreter mittelalterlicher Schamanenüberzeugungen aus, die noch immer nicht recht glauben wollen, daß klitzekleine Dingsbumse, die zu Millionen in Wassertröpfchen leben, irgendwelche Auswirkungen auf menschliches Leben haben sollen.

Im Italien des 14. Jahrhunderts, dem damaligen Resteuropa an kultureller Finesse und Wirtschaftskraft bei Weitem überlegen, kommt der Handel völlig zum Erliegen. Wer nicht an der Pest erkrankt, wird von besseren Hexendoktoren mit Kuhdung eingerieben und stirbt daran, falls er nicht vorher verhungert. Flagellanten ziehen durch die Straßen, religiös verwirrte SM-Anhänger, die sich mit stachelbewehrten Peitschen ihr Fleisch blutig geißeln und barfüßig durch Pfützen laufen, die mindestens zur Hälfte aus Exkrementen bestehen. Denn weder Wasserversorgung noch Kanalisation sind in den blühenden Städten Italiens höher entwickelt als die Hygienestandards heutiger Billigfleischfabrikanten. Umhergewirbelte Tröpfchen aus Schweiß und Blut erweisen sich als hervorragende Methode, um die Seuche weiter zu verbreiten.
Selbst dem Papst wird diese schon immer umstrittene Praktik seiner Glaubensgenossen zuviel. Mit einer Bulle verbietet Clemens VI. im Oktober 1349 die Praxis der öffentlichen Selbstgeißelung als Häresie.
Bereits vorher, im Juli 1348, hatte er in einer anderen Bulle die Juden in Europa vom Verdacht der Brunnenvergiftung freigesprochen, der zu einigen Pogromen und Auslöschung jüdischer Gemeinden geführt hatte. Die Flagellanten waren besonders eifrige Verbreiter dieser Idee gewesen.
Clemens führte als Argumente an, daß auch die Juden an der Pest starben und diese zudem in Gegenden auftrat, in denen gar keine Juden lebten. Seine Anweisungen wurden nicht befolgt. Mit der Bulle Quamvis perfidiam vom September 1349 drohte daraufhin der Papst allen Judenverfolgern die  Exkommunikation an.
Clemens VI. geht auch in die Geschichte ein als der Papst, der den Sommer 1347 in Avignon zwischen zwei gut gefeuerten Kaminen verbringt. Seine Ärzte hatten ihm dazu geraten, denn sie sind der festen Überzeugung, daß Krankheiten durch μίασμα, durch schlechte Luft voller Verunreinigungen, übertragen werden. Die Feuer reinigen die Luft und halten somit Krankheiten fern. Der zur damaligen Zeit in Frankreich residierende Papst folgt dem Rat und überlebt. Vermutlich, weil die Hitze Ratten von ihm fernhält und seine Kleidung keine Läuse enthielt. Immerhin war der Kerl Papst.

An exakt dieser Vorstellung, bereits im 5. Jahrhundert vdZ von einem alten Griechen namens Hippokrates von Kos in die Welt gesetzt, halten noch Zeitgenossen von Yersin fest. Ja, es ist der Hippokrates. Deswegen hielt sich die Vorstellung des antiken Hellenen auch so hartnäckig über die Jahrhunderte. Immerhin hatte der Mann die Grundlagen moderner Medizin erfunden.
Außerdem paßten die Ideen des Hippokrates durchaus zur Beobachtung. Menschen, die im selben Raum mit Kranken waren, wurden krank. Andere nicht. Ergo mußte etwas in der Luft sein, das krank macht. Wenn jetzt im Bus ein Corona-Kranker niest, sind alle anderen sofort tot. Stimmt also. Es liegt was in der Luft.
Hippokrates empfahl auch das Verbrennen von Bekleidung und die Isolation von Kranken von der Öffentlichkeit. Die Pestärzte des 14. Jahrhunderts kennen wir heute noch für ihre Schnabelmasken, unter denen sie einen mit Essig getränkten Schwamm trugen oder irgendwelche duftenden Kräuter, um die eingeatmete Luft zu reinigen.
Dieses Äquivalent der heutigen FFP3-Filtermaske beruhte zwar auf falschen Vorstellungen der Realität, trotzdem verhinderten die Maßnahmen der Quarantäne, die Hippokrates formuliert hatte, in einigen Gegenden den Ausbruch der Pest oder den Tod weiterer Teile der Bevölkerung. Ebenso  führte die Trockenlegung von Sümpfen in Süditalien zum Verschwinden der Malaria. Mal’aria bedeutet nichts anderes als „schlechte Luft“.
In Wirklichkeit führte es natürlich zum Verschwinden der Brutgelegenheiten für Stechmücken, die den Malaria-Erreger Plasmodium mit sich herum- und an Menschen übertragen. Aber vor Erfindung des Lichtmikroskops durch einen Mann namens Antoni van Leeuwenhoek, der aufgrund dessen unschwer als Niederländer zu erkennen ist, konnte niemand in die Welt des Mikrokosmos wirklich hineinsehen. Van Leeuwenhoek war es auch, der 1674 die erste korrekte Beschreibung roter Blutkörperchen lieferte, weil seine mikroskopischen Linsen allem überlegen waren, was man davor oder 150 Jahre danach jemals hergestellt hat.
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Last Christmas

„Falls wir heute Abend noch irgendwas versauen können, gebt mir Bescheid.“
Captain Kirk

Es gibt keinen Grund zur Besorgnis. Bitte gehen Sie weiter. Es gibt nichts zu sehen. Es ist alles vorbei, das Jahr geht zu Ende, genießen Sie die Feiertage.
Eigentlich wollte ich noch einen Beitrag schreiben. Aber warum, so kurz vor Weihnachten?
Selbst die aktivste 16jährige des Planeten ist wieder nach Hause zurückgefahren. Mit der deutschen Bahn unter anderem. Schade nur, daß die Bahn nicht fuhr, in der Ms Thunberg, soeben erst zur Person des Jahres auf dem Cover von TIME gekürt, ihren Platz in der 1. Klasse gebucht hatte.
Im Ersatzzug beging Greta dann die unverzeihliche Selbstinszenierung, fotografiert zu werden. Auf dem Boden sitzend. Irgendwer griff das Bild auf und sagte: „Die Bahn ist wieder mal scheiße“.
Ein Urteil, dem Kassandra sich so pauschal nicht anschließen möchte. Nach meiner Erfahrung sind oft Menschen scheiße, die mit der Bahn fahren und dann glauben, sie hätten den ganzen Laden exklusiv für sich gepachtet. Das macht die Sache nicht einfacher.
Greta Thunberg sagte das auch nicht. Sie sagte in ihrem Tweet, es sei ganz cool, daß der Zug so voll sei. Denn das bedeute wohl doch hohe Nachfrage nach Zugreisen. Eigentlich bedeutet es wieder einmal mieses Material, chaotische Unplanung und zu wenig Personal bei der Deutschen Bahn, aber wir wollen nicht übermäßig kritisch sein. Immerhin kommt die Dame aus Schweden.
Eine Politikerin der ehemaligen spd, Franziska Giffey, sah das jedenfalls anders und warf der schwedischen Dame die eben erwähnte Selbstinszenierung vor.
Politik. SPD. Selbstinszenierung. Man finde den Fehler. Schade. Franziska Giffey hätte verhindern können, ihrerseits für eine aufgeblasene Wichtigtuerin gehalten zu werden, indem sie schlicht Thunbergs Twitteraccount gelesen hätte. Woher wissen wir, daß die spd-Trulla den Tweet nicht einmal selber gelesen hat?
Ganz einfach: Frau G. behauptete schlicht, Greta T. habe gelogen und bezüglich Zugausfall nur die halbe Wahrheit erzählt, da sie ab Göttingen einen Sitzplatz hatte.

Einen derartig schwachhirnigen Spruch zu bringen, das Ganze auch noch bei einem Interview mit Deutschlands Volksverhetzerblatt Nr. 1, führt die gemachte Aussage schon durch das Bühnenbild extrem ad absurdum.
Erstens ändert sich dadurch nichts an der Tatsache, daß die Kundin trotzdem nicht erst ab Göttingen erster Klasse gebucht hat. Zweitens ist es schlicht falsch, denn Greta Thunberg hat all ihren Widersachern, Möchtegernbelehrern, Trittbrettfahrern und Schlammwerfern aus Politik und Presse eines voraus: sie schildert Dinge gerne wahrheitsgemäß und sachlich, weswegen sie in unserer Welt als „behindert“ gilt.

Die Bahn hätte das positiv für sich nutzen können. Eine Person mit großer Reichweite hatte es geschafft, aus einem fahrenden Zug heraus zu twittern! Dafür benötigt man Internet! Stattdessen entschlossen sich die Verantwortlichen, aus der eigentlich recht guten Vorlage für positives Feedback im Sinne des Schienenverkehrs ein Lehrstück zu basteln, das da heißt: How to make yourself a PR disaster in two easy lessons.
1. Sei die deutsche Bahn
2. Veröffentliche persönliche Daten deiner Kundin auf Twitter, während du auf den Premium-Service hinweist, für den die Kundin auch Premium-Preise bezahlt hat (1. Klasse!) und der schon deswegen nicht stattfindet, weil eben der gesamte Zug einschließlich der zugehörigen ersten Klasse, in dem die Kundin gebucht hat, gar nicht erst auftauchte.
Man könnte sich jetzt als Unternehmen mal dafür entschuldigen. Für den ausgefallenen Zug. Für die beleidigten Leberwürste im eigenen Team, bei denen der Kunde schuld ist, wenn man es selbst wieder mit Schwung verbockt hat. Muß man aber nicht. Man kann sich auch so zartfühlend daneben benehmen wie ein onanierender Metzger mit Kettensäge beim Jahresgipfel der Veganer-Senioren. Die Bahn, die SPD der Konzerne. Ich ahne bereits, welchen neuen Job unser hoffentlich bald ehemaliger Verkehrsminister Scheuer bekommen wird. Der ist übrigens gerade dabei, die Justiz zu behindern. Deutschland ist wahrlich gesegnet. Wir haben nicht nur einen Donald Trump. Wir haben mehrere, sie verteilen sich nur besser. Continue reading →

Verschleißerscheinungen

,,Was meinen Sie, was hier los wäre, wenn mehr Menschen begreifen würden, was hier los ist?“
Volker Pispers

Die Journalistin Amy Goodman stand in den USA vor Gericht und war von einer Gefängnisstrafe bedroht. Klingt jetzt nicht sonderlich aufregend.
Allerdings lautete die Anklage des Staatsanwalts gegen Ms Goodmann auf „riot“, das ist also so etwas wie „Anstiftung zum Aufruhr“.
Ms. Goodman hatte als Reporterin über die „Dakota Access Pipeline“ berichtet, und zwar im September. Besser gesagt, über die Proteste dagegen. Das war einigen Sicherheitskräften Anlaß genug, sie festzunehmen, unter der Beschuldigung von „trespassing“, also so etwas wie „schwerem Landfriedensbruch“ in deutschen Äquivalenten. Und die übliche bullshit-Beschuldigung, wenn einem nichts mehr einfällt. Die Reporterin ist also vor Gericht gelandet, weil sie ihren Job gemacht hat. Sie hat über Dinge berichtet, die sie oder ihre Redaktion für berichtenswert und öffentlich wichtig gehalten haben. Der zuständige Richter hat die Klage glücklicherweise abgewiesen, am Montag.
Allerdings ist das bei weitem nicht der erste Fall dieser Art in Obamas Amerika, das ja neben seiner Freiheit, wild um sich zu ballern, gerne auch immer die Freiheit seiner völlig ungelenkten Medien betont. Aber natürlich sind wir die Guten.

Diese Pipeline, über die Ms Goodman da berichtete, wird auf der entsprechenden Propagandaseite der Erdölindustrie beschrieben als „Verbindung von den sich rasant ausdehnenden Produktionsgebieten im Bakken und Three Forks“ zu den Raffineriemärkten. Die in diesem Falle in Illinois liegen. Ausgelegt wäre diese Pipeline, die hier als Symbol des Umweltschutzes angepriesen wird, für knappe 600.000 Barrel pro Tag.
Das Lustige daran ist, daß Fracking so ziemlich die umweltschädlichste Methode ist, um überhaupt an Öl und Gas heranzukommen. Aber dieses Öl transportieren wir dann über 1.200 Meilen nicht mit dem Zug, wie es aktuell geschieht, sondern eben mit der Pipeline. Um „kosteneffektivere Märkte“ zu erreichen.

Schaut man sich einmal die Förderzahlen der US-Frackingindustrie an, wird einem sehr deutlich vor Augen geführt, daß die Ölförderung in den genannten Gebieten bereits seit Monaten absinkt. Das Bakken Field wird also mit großer Wahrscheinlichkeit bis 2020 – meine persönliche Schätzung – ohnehin kein Öl mehr auf den Markt bringen. Seinen Peak, also den Höhepunkt der Förderung, hat es jedenfalls bereits deutlich überschritten.
Da mehr als die Hälfte aller größeren Firmenpleiten dieses Jahres in den USA sich auf die Öl- und Gasindustrie erstrecken – ich hatte das in der Jahresvorausschau leise angedeutet – muß man sich natürlich die Frage stellen, warum man die Pipeline noch brauchen sollte.
Simple Antwort: Braucht man gar nicht. Es ist ein typisches Projekt, mit dem irgendwelche Öltypen verzweifelt weiter versuchen, ihre Kosten zu drücken, damit man so tun kann, als wäre Fracking eine Idee mit Zukunft.
Schon im letzten Jahr haben die Firmen in North Dakota darauf plädiert, daß der Bundesstaat doch bitteschön für sie seine Gesetze bezüglich der Verklappung radioaktiver Abfälle ändern solle. Denn derartige Dinge machen es in Zeiten sinkender Ölpreise so furchtbar schwierig, die Firmenbilanz weiter profitabel aussehen zu lassen. Und immerhin leiht man sich ja mit diesen Zahlen das Geld von Banken, um den Laden weiter am Laufen zu halten.
In North Dakota liegen auch die erwähnten Regionen wie Bakken und Three Forks. Ich wußte bisher nicht einmal, daß bei dieser Sauerei auch radioaktiv belastete Abfälle entstehen. Jetzt weiß ich es. Offensichtlich werden beim Fracken auch im Boden enthaltene Isotope mit in den ganzen chemischen Sabber eingespült, den man da in den Boden pumpt, um das Gestein aufzubrechen. Das ist also etwa so wie radioaktiver Fallout aus Kohlekraftwerken. Schlicht unvermeidlich. Außer, man frackt eben nicht und verbrennt keine Kohle. Continue reading →

Präsidenten, die auf Hamster starren

,,In order to maintain our way of living, we must tell lies to each other, and especially to ourselves.”

Derrick Jensen, Endgame

Kennt hier jemand Goodrich Petroleum? Nein? Nun, ich kenne die auch nicht persönlich, aber das ist eine von ziemlich vielen Frackingfirmen in den USA, die sich da seit einigen Jahren so kräftig mit Gas und Erdöl beschäftigen und die USA energieunabhängig machen werden.
Zumindest hat die Presse Amerikas und auch Deutschlands das immer wieder verkündet. Die Propheten eines neuen, glorreichen fossilen Zeitalters waren kaum zu bremsen mit ihren Lobeshymnen.

Der Begriff „energieunabhängig“, den wieder mal irgendein völlig bewußtloser Schreiberling im Regierungsbunker zwischen Koks und Kaffee morgens um drei erfunden haben muß, ist natürlich erst einmal völliger Schwachsinn, eine Ausgeburt der ökonomischen Propaganda. Ein Begriff, den Milton Friedman, der miese kleine Marktradikalist, der leider viel zu spät von uns gegangen ist, erfunden haben könnte. Ich werde solchen Unsinn daher in Zukunft einfach mal „Milton-Sprech“ nennen, so als Äquivalent zum Neusprech in Orwells 1984. Warum ist der Begriff Schwachsinn?
Schlicht und einfach aus dem Grund heraus, daß eine Wirtschaft – sei sie kommunal, auf Größe eines Dorfes oder auf Größe einer Nation, niemals „energieunabhängig“ sein kann. Sie war es nie, sie ist es nicht und sie wird es niemals sein.
Wenn ich einer Wirtschaft jede Energie entziehe, passiert mit ihr exakt dasselbe, was mit einem menschlichen Körper, einer Pflanze oder jedem anderen Lebewesen in dieser Galaxis und diesem Universum passiert: Sie stirbt. Sofort und unwiderruflich. Eine energieunabhängige Wirtschaft ist eine, die nicht existiert. Außer in den Köpfen von gedungenen Propagandisten in Regierungsbunkern.

Abgesehen von dieser Tatsache ist Goodrich Petroleum pleite. Ganz im Gegensatz zur Namensgebung, die ich hier einfach als wohl übertrieben optimistisch brandmarken möchte, ist nichts an den Zahlen dieser Firma gut oder verspricht besonderen Reichtum. Außer für den Insolvenzverwalter, der sich jetzt um die Reste des Ladens kümmern wird.
Falls er dazu noch kommt, denn Insolvenzverwalter für Firmen, die nach Chapter 11 der US-Gesetze Gläubigerschutz anmelden – also Abwicklung unter Aufsicht – haben derzeit sicherlich alle Hände voll zu tun im Wirtschaftswunderland des Öls.
Goodrich Petroleum war ungefähr Nr. 50 auf der Liste von Firmen, die allesamt der Öl- und Gasbranche angehören und in den letzten Monaten pleite gegangen sind.

Nun ja, ich hatte da schon immer so meine Zweifel am angekündigten Energieboom, seitdem aus dem Führerhauptquartier in Washington der Einsatz der neuen Wunderwaffe angekündigt worden war. Ich empfehle dem geneigten Leser, einmal die Kommentare unter diesem Artikel hier zu lesen.
Das war vor ziemlich genau vier Jahren. Wie da einige Leute auf den Putz gehauen haben mit irgendwelchen Öl- und Gasreserven, die sie nicht einmal sprachlich auseinanderhalten können, ist heute schon sehr lustig zu lesen. Ich hingegen lehne mich genüßlich zurück und behaupte jetzt nicht, daß ich das ja damals schon gesagt hätte. Aber ich habe es ja damals schon gesagt.
Alleine die Frage, warum die USA nie aufgehört haben, Öl aus anderen Ländern zu importieren, wenn sie doch selbst genug für 500 Jahre haben, sollte bei normalen Menschen irgendwo mal das Logik-Gatter A20 im Hirn anwerfen.
An so manchem Medium des deutschen Qualitätsjournalismus sind die Tatsachen aber schon sehr stark vorbeigegangen. Noch 2014 titelte Die Welt: „USA exportieren wieder Erdöl im großen Stil“. Der Autor machte dann auch gleich diesen von ihm proklamierten Fakt verantwortlich für die Preise, die zu fallen begannen, damals im Sommer. Ist halt nur blöd, daß die USA niemals Erdöl im großen Stil irgendwohin exportiert haben.
Korrekt ist, das damals das Exportverbot gelockert wurde. Das hatte aber nichts mit Exporten zu tun, sondern mehr mit knapper Raffineriekapazität. Da unverarbeitetes Öl laut altem Verbot die USA aber nicht verlassen durfte, hat man schlicht die Regeln geändert. Man könnte also sagen, die Deppen bei Springer waren entweder mal wieder nicht informiert oder haben wieder fleißig Desinformation betrieben. Also Propaganda erzählt. Oder gelogen. Continue reading →

Zwanzigsechzehn

Prost, Gemeinde.
Überall wird noch der Kater der gestrigen Nacht mit den traditionellen Hausmitteln bekämpft, also Dingen vom seltsamen Rollmops – nicht verwandt mit der Hunderasse und wenig wirksam – bis hin zu einem weiteren Bier/Sekt/Wein, den man sich aufs Hirn schüttet, um den Vertreter der Gattung Felidae alcoholicus elendig in noch mehr Alkohol zu ertränken. Was übrigens rein wissenschaftlich sogar einen gewissen Wahrheitsgehalt hat und durchaus funktionieren kann.
Dazu kommen zu lautes Glockengeläut und Kaffee, wie immer am Neujahrsmorgen.
Währenddessen ist es die Pflicht eher antialkoholisch orientierter Kristallkugelschauer und Kassandras, sich nüchtern und in Kürze dem zu widmen, was da in diesem neuen Jahr so auf uns zukommen mag. Oder besser, zukommen wird. Zumindest behaupte ich das einfach mal. Jahresrückblicke sind voll langweilig, die kann ja jeder. Jahresvorausblicke sind hipster. Wozu ist man schließlich Kassandra?

0049-001 Silvester Sydney

Während andere noch pennen oder ihr Höschen suchen, müssen Kassandras sich schon wieder an die Arbeit machen. Jahresvorhersagen erledigen sich nicht von selbst. Darauf noch einen kräftigen Schluck!

Werfen wir also einen Blick in den Bereich des wichtigsten Dingsbums, das uns alle angeht, ob wir uns dafür interessieren oder nicht: Energie.
Da hat 2016 durchaus was zu bieten, würde ich mal sagen. Denn Erdöl bleibt billig und wird womöglich noch billiger, als es das ohnehin schon ist. Vor einigen Tagen ist erstmals, seitdem ich vor 2 Jahrzehnten anfing, so etwas wie Ölpreise zu verfolgen, der Preis von Brent-Öl unter den von WTI gefallen. Etwas, daß meines Wissens noch nicht vorgekommen ist. Kann sein, daß ich das verpaßt habe. Aber normalerweise ist Brent – also das internationale Öl auf dem Markt dieses unseres wichtigsten Energieträgers – irgendwo zwischen 5 und 15 amerikanische Bucks teurer als die andere Variante. Das nennt man innerhalb der Branche den „Spread“, was nichts anderes heißt als Abstand und eben total professionell klingen soll. Zeigt aber, daß es eben schon sehr lange so ist mit den unterschiedlichen Preisen.
WTI steht hierbei für „West Texas Intermediate“, das ist die inneramerikanische Ölpreisvariante, denn die fördern ja nicht erst seit gestern was von dem Zeug. Und da es billiger ist, amerikanisches Öl in amerikanische Tanks zu zapfen statt dafür Öl von Saudi Productions zu benutzen, war das immer billiger. Aber was hält schon ewig?
Am vorletzten Tag des letzten Jahres schloß Brent ganze 11 Cent über dem anderen Öl. Diese Entwicklung läßt sich bereits eine Weile beobachten, daß aber der Spread völlig verschwindet ist …komisch. Continue reading →

Goldlöckchen ertrinkt im Öl

„How often is it that the angry man rages denial of what his inner self is telling him.“
Frank Herbert, Dune

1956.
Auf einem Treffen des American Petroleum Institute hält ein unscheinbarer Herr einen eher trocken wirkenden Vortrag, der trotzdem für einige Erheiterung beim Publikum sorgt. Marion King Hubbert spricht zu den Anwesenden über seine Überzeugung, daß die Erdölförderung der USA in den späten 60er bis frühen 70er Jahren einen Höhepunkt erreichen werde, um danach in einen stetigen Sinkflug zu gehen.
Wie der Name schon andeutet, ist das American Petroleum Institute der größte Interessenverband der amerikanischen Öl- und Gasindustrie, also ein recht mächtiger Club. Auch der Vortragende ist kein Ökofanatiker oder ein Grüner. Das wäre in den USA des Jahres 1956 vermutlich unamerikanisch gewesen, wie ein McCarthy das ausgedrückt hätte, oder aber kommunistisch, was natürlich auf dasselbe hinausläuft. Aber „grün“ war in dem Jahr noch nicht erfunden, die Straßenkreuzer konnten nicht groß genug sein, die Heckflossen auch nicht, jede amerikanische Küche brauchte natürlich eine Mikrowelle und wenn man dafür ein oder zwei Atomkraftwerke mehr bauen mußte, war das nur allzu recht, denn Amerika brauchte Bombenstoff im atomaren Wettrüsten mit den Russen.
Nein, Hubbert war zuständig für Geologie und Geophysik und arbeitete außerdem für die Shell Company, hielt also einen Fachvortrag vor einem Lobbyverband seines Arbeitgebers. Um so ungewöhnlicher war es, daß Hubbert zwei grundlegende Dinge in Frage stellte: Die Unendlichkeit der Ölvorräte und auch die Annahme, daß man natürlich immer weiter mehr und mehr von diesem Zeug aus dem Boden holen würde.

Die Teilnehmer waren, wie erwähnt, über den lustigen Profesor sehr erheitert, ein Angestellter von Shell soll Hubbert unmittelbar vor seinem Auftritt noch gebeten haben, die Sache nicht durchzuziehen. Aber der Mann ließ sich da nicht aufhalten, immerhin hatte er seine Zahlen gründlich in Kurven und Schlußfolgerungen übersetzt, warum also nicht darüber reden?
In den Folgejahren geriet Hubbert durch eine Pressekampagne und das noch sehr viel wirksamere Hören-Sagen in den Ruf eines verrückten Professors und wurde massiv diskreditiert. Das ganze Konzept erschien auch viel zu abenteuerlich. Mehr und mehr Öl wurde gefunden, es schien überhaupt kein Ende zu geben. Die Ölförderung der USA war seit Anfang des 20. Jahrhunderts um 7,6 Prozent pro Jahr gewachsen – durchschnittlich, trotz Großer Depression. Alles Fakten, auf die Hubbert in seinem Vortrag sehr wohl hinwies, immerhin war der Mann Wissenschaftler. Das Jahr 1966 schließlich brachte soviel neues Öl im Boden, wie man es noch nie zuvor gefunden hatte. Der verrückte Professor schien also tatsächlich verrückt zu sein.

Aber offensichtlich waren das auch noch andere, denn 1960 gründeten diverse Staaten, die etwas mit Öl zu tun haben, eine Organisation namens OPEC. Auch hier runzelten diverse amerikanische Firmengrößen die Stirn und fragten sich, was denn dieses Kartell wohl für ein Ziel haben könnte. Die offizielle Linie war relativ einfach: Die OPEC wollte durch entsprechende Regulierung des Marktes dafür sorgen, daß ihre Mitglieder möglichst viel Geld mit ihrem Öl verdienen konnten. „Regulierung“ bedeutet in dem Fall, daß man sich dreimal jährlich trifft, um über Förderquoten zu sprechen, um so die Ölmenge am Markt und damit den Preis entsprechend steuern zu können.
Erleichtert lachte man in den USA wieder über diese Handvoll machtloser Clowns, denn schließlich waren es die USA, die mit ihrer Förderung als größter Ölanbieter der Welt die Preise bestimmten. Und die waren niedrig, niedrig genug jedenfalls für Fahrzeuge, deren Rückbank etwa so groß war wie das heutige durchschnittliche Wohnzimmer in Deutschland.
Man wählte also J. F. Kennedy zum Präsidenten, irgendwer erschoß den Kerl, die Revolution auf dem Musikmarkt brach aus und brachte in Europa die Beatles hervor, Frauenröcke wurden plötzlich sehr viel kürzer, der Vietnamkrieg gewann an Schwung und außerdem mußte man die Russen auf dem Weg zum Mond schlagen, denn schließlich mußte man danach ja die Raumstationen bauen und das All besiedeln. Wen kümmerten da ein Professor und ein paar Scheichs? Continue reading →

ID: Mensch 3.674.766.677

„Der Mensch bringt sogar die Wüsten zum Blühen. Die einzige Wüste, die ihm noch Widerstand
leistet, befindet sich in seinem Kopf.“
Ephraim Kishon

Ich hatte hier bereits einmal angedeutet, daß das Problem der Überbevölkerung des Planeten Erde in Wirklichkeit gar nicht so groß ist, wie viele Menschen immer gerne annehmen. Nun, natürlich ist das ganze ein Problem, denn zweifellos wird die Bevölkerung der Erde in den nächsten Jahrzehnten weiterhin zunehmen. Also, an Kopfzahl, nicht wie ich an Gewicht. Aber diese Tatsache ist nicht das Hauptproblem, dem sich Mensch in weiteren Verlauf des 21. Jahrhunderts gegenübersieht.

Für mich ist das aktuelle Jahr, nach einem recht weit verbreiteten Kalender das Jahr 2015, ein etwas besonderes Jahr. Denn die derzeitige Weltbevölkerung besteht aus ungefähr 7.322.430.400 Exemplaren des Homo sapiens.
Meine quasi ganz persönliche Zahl ist 3.674.766.677. Solche Spielereien kann man übrigens hier nachschlagen.
Mit ein wenig Berechnung läßt sich feststellen, daß in etwa 121 Tagen, am
16. Oktober des Jahres 2015, die Weltbevölkerung exakt doppelt so groß sein wird wie am Tag meiner Geburt. Schon viermal hat die Masse Mensch eine weitere Milliarde hinter sich gelassen, seitdem ich selber Teil dieser Masse geworden bin. Da sage noch einer, man kann die Zukunft nicht vorhersagen.

Bereits 1798 ndZ erschien ein in dieser Hinsicht durchaus wichtiges Werk, nämlich Essay on the Principle of Population, geschrieben von einem gewissen Thomas Malthus.
Der Mann war nicht etwa Evolutionsbiologe, denn die Evolution war noch nicht erfunden. Er war Ökonom, also Wirtschaftswissenschaftler. Aber das war zu einer anderen Zeit, deshalb schreibe ich den Herrn nicht in Anführungszeichen.
Malthus‘ Essay läßt sich recht kurz und bündig zusammenfassen: Menschliche Bevölkerung wächst exponentiell, die Erträge des Ackerbaus aber nicht. Zwar ließe sich, so Malthus, der Ertrag von Ackerflächen durch Bewässerung um etwa 20% steigern, aber dieser Zuwachs erzeuge dann wiederum keinen weiteren Zuwachs. Irgendwann muß also, rein logisch fortgesetzt, der Menschheit die Nahrung ausgehen.

Malthus zog dann daraus die Schlußfolgerung, daß Menschen, die halt das Pech haben, zu einem Zeitpunkt geboren zu werden, an dem es nicht mehr genug zu essen gibt, leider auch keine Lebensberechtigung hätten:

„Ein Mensch, sagte er, der in einer schon occupirten Welt geboren wird, wenn seine Familie nicht die Mittel hat, ihn zu ernähren oder wenn die Gesellschaft seine Arbeit nicht nötig hat, dieser Mensch hat nicht das mindeste Recht, irgend einen Teil von Nahrung zu verlangen, und er ist wirklich zu viel auf der Erde. Bei dem großen Gastmahle der Natur ist durchaus kein Gedecke für ihn gelegt. Die Natur gebietet ihm abzutreten, und sie säumt nicht, selbst diesen Befehl zur Ausführung zu bringen.“

Ganz ökonomisch-herzlich hier der Gedanke, daß natürlich nur denen das Leben verweigert wird, deren Erzeuger sich ihre Ernährung nicht leisten können. Für die Reichen und Mächtigen stellt also die Grenze der Ernährung kein Problem dar, man hat ja Geld. Wenn man damit ein paar anderen armen Schweinen das Notwendigste wegkauft, ist das ja nicht weiter tragisch.
Unter anderem auf Grund dieser Passage hat die spätere Geschichte Malthus die Liebe entzogen und das Wort ,,Malthusianer“ gilt heutzutage unter Wissenschaftlern als eindeutige Beschimpfung. Continue reading →