Mythopolis

– VII –

Fahrstuhl außer Betrieb

„You never change things by fighting
the existing reality.”
Richard Buckminster Fuller

Ausgerechnet im Orbit um Proxima Centauri haben Astronomen der Erde jetzt vielleicht einen Planeten gefunden, der wieder einmal in die Kategorie „erdähnlich“ fällt. Jetzt muß man dazu anmerken, daß Astro-Nerds da wesentlich großzügiger sind als der normale Durchschnittsmensch. Erdähnlich bedeutet für den Normalo den jeweils bevorzugten Urlaubsort mit endlosen Sandstränden. Ohne Plastikmüll, Sonnenbrillenverkäufer und vorzugsweise auch ohne andere Urlauber, denn man fliegt ja nicht achttausend Kilometer irgendwohin, um dann da den Nachbarn zu treffen.
Nein, man fliegt achttausend Kilometer irgendwohin, um dann nach seiner Rückkehr lauthals darüber zu meckern, wie grauenvoll das Essen dort war und auf was für grauenvollen Toiletten man sich dieses Essens wieder entledigen mußte. Um dann gerne mit dem Satz zu schließen, daß es ja zu Hause am schönsten ist.
Wobei ich mich dann automatisch frage, warum alle diese Leute in den Urlaub fliegen. Da könnte man sich selber und dem Klima eine Menge Ärger ersparen. Und Geld.
Konsequenterweise freue ich mich aber immer über die Urlaubszeit, weil dann dreißig Millionen Deutsche dieses Land verlassen. Da kann ich dann immer live erleben, was für ein unerträglicher Albtraum dieses Land hier wäre, wenn hier nur noch fünfzig Millionen Menschen lebten, wie irgendwelche deutschnationalen und Pseudo-Konservativen ja immer wieder als Schreckgespenst an die Wand malen.

Aber egal. „Erdähnlich“ heißt also im Kopf fast aller Menschen: „Da, wo ich es am geilsten fände“.
Also zum Beispiel Ursa Minor Beta, wo es jede Menge subtropischer Küsten gibt und fast überall immer Samstagnachmittag ist, kurz bevor die Strandbars schließen. Wobei ich vermute, daß es sich dabei um einen Fehler handeln muß. Keine anständige Strandbar, die den Namen verdient, schließt am Samstagnachmittag.
Astronomen nennen Planeten „erdähnlich“, die keine Gasriesen sind wie Jupiter oder Saturn, sondern aus Dreck bestehen. Also Felsen und Steinen unterschiedlicher Qualität. Schon das Vorhandensein einer Atmosphäre ist für solche Welten nicht mehr erforderlich, je nachdem, welchen Astronomen man so fragt.
Wiederum andere erwarten Atmosphäre, aber die kann aus Schwefel, Methan und Chlor bestehen, das ist egal. Wer redet von Atmen? Überflüssiger Luxus.
Noch wiederum andere erwarten eine Sauerstoff-Stickstoff-Atmosphäre und auch noch flüssiges Wasser. Das ist dann das, was in Serien wie Star Trek immer als „Klasse M-Welt“ bezeichnet wird. Wenn denn die Größe stimmt. So ein Gesteinsplanet, der dreimal so groß ist wie die Erde, wäre nämlich womöglich auch dreimal so anziehend und das wäre wenig angenehm für Menschen. Solche Planeten fallen übrigens in die Kategorie der „Supererden“.

Ganz allgemein sollte sich eine Welt mit dem Attribut „erdähnlich“ in einer Zone um ihren Zentralstern bewegen, die brauchbare Temperaturen ermöglicht und somit das Vorkommen von dauerhaft flüssigem Wasser. Im Englischen ist das die „Goldlöckchen-Zone“. Im Deutschen ist das die Ökozone oder habitable Zone, was wesentlich pragmatischer ist, aber die Sache auch korrekt beschreibt, wenn der Zuhörer über zehn Jahre alt ist.
So einen Planeten hat man jetzt also ausgerechnet um Proxima Centauri nachgewiesen. Vielleicht. „Ausgerechnet“ deswegen, da Proxima natürlich der erdnächste Nachbarstern ist, wie man dem Namen bereits entnehmen kann. Dieses Klischee ist derartig abgedroschen, daß kein SF-Autor mit einem Funken Selbstachtung in diesem Sonnensystem irgendwelche Aliens leben läßt. Jedenfalls nicht mehr in moderner SF, sagen wir mal, allem, was nach 1980 geschrieben wurde.

Warum ist diese Meldung so aufregend?
Simple Begründung: Weil solche Dinge immer so verkündet werden, als müßten wir nur in den Bus steigen und wären dann bald da. Ein Planet in nächster Nähe bedeutet für viele Menschen geistig etwas Ähnliches wie „erdähnlich“. Es bedeutet nämlich „erreichbar“. Continue reading →

Kulissenschieber

,,It’s the economy, stupid!“
Bill Clinton, Wahlkampfmotto 1992

Die wirklich wahre Wirklichkeit ist also in vielen Dingen fundamental anders gestaltet als die Mythen, die man uns von Kindesbeinen an erzählt und die wir dann einfach glauben. Menschen leben nicht im Realen, sie leben in Mythen.
Der Mythos des linearen Fortschritts ist nur einer davon. Ein anderer ist der von der Unermüdlichkeit des Fortschritts, angetrieben durch das immer weiter vergrößerte Wissen der Menschheit. Eine einzigartige Spezies auf dem Weg zu ihrer Bestimmung, das sind wir. Zumindest ist es das, was immer wieder verbreitet wird.

Was genau soll das überhaupt sein, dieser Fortschritt? Kennt den jemand persönlich?
Immer, wenn ich irgendwelche Wirtschafts“wissenschaftler“ reden höre über die Zukunft, wird da von Fortschritt und Technologie gesprochen.
Aber ich beginne weiter vorne, nämlich bei den Wissenschaftlern, die in Wirtschafts“wissenschaftlern“ enthalten sind und von mir ausdrücklich in Anführungszeichen gesetzt sind. Was ich auch grundsätzlich so beibehalten werde innerhalb dieses Blogs. Warum tue ich das?

Wissenschaft an sich beruht auf gewissen Prinzipien, die dazu dienen sollen, das Verständnis über die uns umgebende Welt zu vertiefen und so zu neuen Erkenntnissen zu führen, die man – man ahnt es bereits – vielleicht zu Fortschritt umwandeln kann. Wir kümmern uns in diesem Moment noch nicht darum, was genau dieser etwas mysteriöse Fortschritt eigentlich seinem Wesen nach sein soll oder sein kann.
Zur Natur der Wissenschaften gehört die Bildung einer Hypothese als Antwort auf eine Frage,  die sich normalerweise aus einer Beobachtung ergibt.

Warum geht die Sonne immer im Osten auf?
Warum bewegen sich die Sterne am Himmel so, wie sie es tun?
Was ist das für ein buntes Licht am Himmel bei einem Regenbogen, woher kommt das?
Die generell wichtigste Frage der Menschheit lautet also, seitdem wir vom Baum gefallen sind: Häh?
Mit Entwicklung subtilerer Sprachelemente wurde daraus dann die Frage, die wir als Kinder alle kennen, aber als Erwachsene gerne zu vergessen scheinen: Warum?

Der unvergessene Douglas Adams hat in seinem Anhalter einmal folgendes formuliert:

,,Die Geschichte jeder bedeutenderen galaktischen Zivilisation macht drei klar und deutlich voneinander getrennte Phasen durch – das bare Überleben, die Wissensgier und die letzte Verfeinerung, allgemein auch als Wie-, Warum- und Wo-Phasen bekannt.
Die erste Phase zum Beispiel ist durch die Frage gekennzeichnet: Wie kriegen wir was zu essen?, die zweite durch die Frage: Warum essen wir?, und die dritte durch die Frage: Wo kriegen wir die besten Wiener Schnitzel?“

Douglas Adams – Per Anhalter durch die Galaxis

Die Menschheit steckt – rein galaktisch gesehen – eindeutig in der ,,Warum?“-Phase ihrer Entwicklung, zumindest meiner Meinung nach. Das kann jetzt damit zusammenhängen, daß wir eben keine galaktische Zivilisation sind oder eben keine bedeutende Zivilisation, ich weiß es nicht so recht.
Auf jeden Fall ist die Frage nach dem Warum defintiv das, was uns Menschen seit ein paar tausend Jahren durch die Entwicklung begleitet hat. Continue reading →