Mythopolis

– III –

Das technologische Dogma

„My friend asked me to use a USB port to charge his cigarette, but I was needing it to charge my book. The future is stupid.“
some guy on the Internet

Ich mag Zugfahrten. Ich habe schon vor mehr als einem Jahrzehnt mein letztes Benzinvehikel verkauft und seitdem bewege ich mich mit Rad, Füßen und eben Zügen durch den Alltag. Klar kommen Züge mal zu spät, ab und an liegt eine Kuh auf dem Gleis oder ein Baum. Aber im Großen und Ganzen muß ich persönlich dem deutschen ÖPNV-System doch eine gewisse Brauchbarkeit attestieren. Kein Vergleich zur Schweiz, aber von englischen Verhältnissen eindeutig so weit entfernt wie ein Sigmar Gabriel von sozialdemokratischer Politik. Es ist auch nicht der Fernverkehr, in dem die Bahn ständig versagt. Über den läßt sich nur spektakulärer berichten. Es ist der Nah- und Regionalverkehr, der unglaublich gruselig sein kann und oft auch ist. Trotzdem mag ich Zugfahrten. Wenn mehrere hundert Tonnen Stahl über die Schiene gleiten, das Rheinpanorama rechter Hand neben mir, Sonnenlicht über dem Flußtal, während ich von dem Buch in meiner Hand aufblicke – das ist mit einer Autofahrt einfach nicht vergleichbar.

Ich habe schon immer davon geträumt, die manchmal durchaus bequeme Nutzung eines Autos mit der angenehmen Seite von Eisenbahnen zu verbinden.
Wenn selbstfahrende Autos existierten, könnte man ich davon eines im örtlichen Pool der Stadt bestellen, wenn ich denn dringend irgendwohin fahren muß. Ich sage dem Zentralrechner der Stadt Bescheid und fünf Minuten später steht das Fahrzeug vor der eigenen Tür. Ich steige in die Kiste und weise mich gegenüber dem Bordrechner aus. Mit Stimmabdruck, Handlinien, Retinascan – die Möglichkeiten sind vielfältig.
Dann sage ich dem elenden Navigationssystem, wo ich hin will, und die Möhre fährt los, um mich meinem Ziel entgegenzutragen. Dort angekommen, steige ich aus und das Fahrzeug bewegt sich zurück in den Pool oder eben zum nächsten Kunden, der es soeben angefordert hat.
Während dieser Fahrt scannt das Fahrzeug sein Inneres, stellt fest, das alles soweit in Ordnung ist, und schickt einen Satz Daten an den Zentralrechner der Stadt, der daraufhin die entsprechende Gebühr von meinem Konto einzieht. Das wird mir entsprechend mitgeteilt, der freundliche Muttercomputer sendet eine Botschaft und die Rechnung an mein Smartphone, mein Tablet, mein Fitnessarmband oder an irgendein anderes digitales Gadget, das man eben so mit sich herumträgt.
Gleichzeitig mit dieser Mitteilung verwandelt sich der bisher gespeicherte, persönliche Datensatz in den Computern in einen statistischen Datensatz.
Konnte man eben noch lesen „Person X von A nach B transportiert“ ist nun in den Datenbänken nur noch ein „Fahrt von A nach B“ zu finden.
Denn den ersten Datensatz brauchten die Computer nur bis zur Bezahlung der Gebühren und die ist ja gerade erfolgt. Die statistischen Daten brauchen sie, um den einzelnen Mietmodulen die entsprechenden Wartungsintervalle zuzuweisen. Die anfängliche Identifizierung dient natürlich auch dem Zweck, Vandalismus zu verhindern. Immerhin wissen wir alle, wie viele junge Menschen heute ihren Bildungsstand gerne damit ausdrücken, daß sie ihren Namen in die Scheiben und Sitze öffentlicher Verkehrsmittel kratzen.

Denn Hohepriestern des Fortschritts würde diese Vorstellung meinerseits sicherlich gefallen. Ganz besonders, wenn ich jetzt noch sage, daß ich dieses Szenario schon seit zwanzig Jahren in meinem Kopf herumtrage. Und jetzt beginnt es tatsächlich, Wirklichkeit zu werden. Nichts von dem, was ich gerade beschrieben habe, ist unmöglich, zu teuer, zu gefährlich oder aus technischen Gründen nicht machbar. Da sage noch einer, es gäbe keinen Fortschritt mehr. Oder womöglich, daß Fortschritt an sich bald nicht mehr existieren wird. Lächerliche Vorstellung!
Nein, Technologie wird immer einen Lösungsweg finden.

An dieser Stelle ist es dann meine Aufgabe, die Hand zu heben, zu lächeln, und eine weitere Frage zu stellen: Was ist eigentlich diese „Technologie“ von der die Apologeten des unendlichen Fortschritts immer wieder reden?
Oder, um mal die unsterblichen Worte des Lehrers in einem irgendwie zum Kultfilm mutierten Uralt-Streifen zu zitieren: Wat is’n Dampfmaschin‘?

Meine Behauptung sieht folgendermaßen aus: Technologie in dem Sinne, in dem das Wort von den Wissenschaftlern und Ingenieuren der heutigen Zeit benutzt wird, existiert ebensowenig wie es den linearen, unendlichen Fortschritt gibt, der heute längst zur nicht-theistischen Basisreligion unserer Gesellschaft mutiert ist. Continue reading →