Die unerträgliche Nachhaltigkeit des Seins

– IV –

Zahlen, bitte!

„Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie denken.“
Heinz Erhardt

Trotz aller zur Schau getragenen Modernität und Aufgeschlossenheit gegenüber einer irgendwie anderen, freundlicheren, grüneren Zukunft verbirgt sich hinter all diesen Konzepten noch immer dieselbe hirnlose Annahme wie schon seit Jahrzehnten: Das Mensch eine Spezies ist, die von ihren Handlungen keinerlei Konsequenzen zu befürchten hat.
Wir wollen nicht, daß unser Handeln Konsequenzen hat. Obwohl das ein Punkt ist, den unsere Eltern meiner Generation noch beibrachten.
„Aus Fehlern wird man klug“, sagte Mutter, als das Kind auf der drei Meter hohen Mauer balancierte. Heute würden atemlose Bruterzeuger sofort zum Smartphone greifen, um die Armee anzufordern, damit sie Matratzen abwirft und danach eine Bürgerinitiative gründen, um die brandgefährliche Steinmauer auf der Stelle mit Seilen, Brücken und Polstern an allen Ecken und Kanten ausstatten zu lassen. Natürlich von öffentlichen Geldern.
Wir sind damals auf die Fresse gefallen, wenn wir nicht aufgepaßt haben. Was einen nicht davon abhielt, nochmal auf der Mauerkrone zu balancieren. Nur hat man beim zweiten Mal eben besser darauf geachtet, wo man gerade hintritt. Handlungen haben Konsequenzen. Lernen ist eine davon.

Menschen als Individuen sind zu Lernprozessen durchaus fähig. Im Grunde genommen sind sie nur dann lebensfähig, wenn das der Fall ist. Es gibt eine Handvoll Ausnahmen, aber die werden dann amerikanische Präsidenten, Standard-Ökonomen oder Alexander Dobrindt, fallen also für die kulturelle und intellektuelle Entwicklung der Zukunft der industriellen Zivilisation nicht ins Gewicht.
Das ist eines der Mißverständnisse, mit denen unsere untergehende Kultur im zunehmenden Maße ringt. In heutigen Schulen und an heutigen Universitäten werden Lebewesen mit mehr oder weniger menschlichen Ansätzen in recht effektive Prüfungsbestehmaschinen verwandelt. Denn die nächste Barcelona-Prüfung, der nächste PISA-Test, sie kommen bestimmt.
Macht das jeweilige Lerninstitut nicht genug Punkte, streicht es die Bundesregierung womöglich von der Liste seiner Exzellenz-Unis, was weniger Geld bedeutet. Also müssen Klausuren per Ankreuzverfahren bestanden werden und so austariert, daß nicht zu viele durchfallen. Aber auch nicht zu wenige, denn man hat ja nur begrenzt Platz. Sorgfältig wird hier der universitäre Lernprozeß angepaßt an die ökonomischen Notwendigkeiten, die erfüllt sein müssen, damit die jeweilige Bildungseinrichtung auch im nächsten Haushaltsjahr kraftvoll zubeißen…nein, mit beiden Händen tief in den aufgestellten Topf mit Regierungsgold greifen kann. Continue reading →

Komplexifizierung

„Einfachheit ist der höchste Grad der Vollkommenheit.“
Leonardo da Vinci

Es ist nicht nur diese Sache mit dem Rasiermesser, die ich da neulich erwähnt hatte. Das Problem dahinter ist tiefliegender. Eventuell ist das Problem darunter auch fundamentaler, aber das wird jetzt zu metaphysisch.

Wir zoomen kurz 11.000 Jahre zurück, plusminus ein paar Monate.
Irgendwer hatte entdeckt, daß Pflanzen, die man essen kann, oder solche, die man in was Eßbares verwandeln kann, sich auch gezielt züchten lassen.
Von da ab ging alles den Bach runter, könnte man sagen, aber das wäre zu kurz gefaßt.

Die Erfindung der Landwirtschaft bedingte die Entwicklung der Stadt, denn ab diesem Zeitpunkt mußte ja jemand auf die neuen Felder aufpassen. Es war nicht mehr möglich, Jahr für Jahr durch die Gegend zu ziehen und als Jäger und Sammler oder nomadische Hirten zu leben. Und damit man sich nicht im Winter den Arsch abfriert oder im Frühjahr ständig im Regen hockt, braucht man eine Hütte. Aus Holz, Lehmziegeln, den Knochen erschlagener Feinde – was immer sich so findet oder in der jeweiligen Kultur gerade so aktuell angesagt sein mag.
Die Erfindung der Stadt wiederum bedingte auch die Entwicklung von Domestizierung.
Irgendwann kam jemand auf die naheliegende Idee, daß man ja um die paar Viecher, die man so da hatte, auch einfach einen Zaun bauen könnte. Dieser kluge Kniff erspart es einem nämlich, jeden Morgen zu gucken, ob noch alle Schäfchen da sind. Oder Ziegen. Und…nun ja…Tiere vermehren sich, da ist es irgendwie naheliegend, sich darum zu kümmern, daß man den geilsten Bock zum schönsten Schaf…und so entstand dann wohl die Tierzucht.
Natürlich muß man die Tiere dann gezielt weiter vermehren und auch mit Futter versorgen, was wiederum mehr Felder bedeutet haben dürfte.
Es dürfte ebenfalls nicht besonders lange gedauert haben, bis jemand bemerkt hat, daß man Vorräte anlegen sollte, um die Menschen sicher durch den Winter zu bringen. Spätestens nach dem ersten Hungerwinter wird jemand diese kluge Erweiterung des Wissens vollzogen haben, nehme ich an.
Dazu mußte man wissen, wieviel Getreide man eigentlich so geerntet hatte. Wer erntete wieviel auf welchen Feldern? Wieviel brauchten die Menschen? Wieviel die Tiere? Wieviel benötigte man zur Aussaat im nächsten Jahr? Continue reading →