Die unerträgliche Nachhaltigkeit des Seins

– II –

Die Wahrheit der Pinguine

„Sustainability takes forever. And that’s the point.“
William Mc Donough

Die Vergangenheit, von der alle glauben, sie könne in der Zukunft des Fortschritts keine Bedeutung mehr für uns haben, kommt zurück.
Typhus kommt zurück und diesmal ist er multiresistent. Und er hat Begleiter. Tuberkulose zum Beispiel. MRSA. Andere Krankheiten, die man bereits besiegt glaubte, sind wieder im Vormarsch. Syphillis beispielsweise, die gute alte Geschlechtskrankheit, die in früheren Jahrhunderten so manchen auch berühmten Kopf geplagt hat. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn diese Krankheit wirkt im Spätstadium neurologisch degenerativ.

Je mehr der Mensch Kontrolle errungen hat, nach Maßgabe unserer reduktionistischen Wissenschaften, um so mehr ist uns diese Kontrolle entglitten. Resistenz ist – so wie Klimazerstörung – ein Ding, das seinen eigenen zeitlichen Gesetzen unterliegt. Die Evolution schert sich nicht um Jahre oder Jahrzehnte oder Jahrtausende. Die Antwort auf die Frage, warum Dinosaurier zweihundert Millionen Jahre die Erde beherrschten und trotzdem keine Intelligenz entwickelten, ist evolutionsbiologisch simpel: Es war nicht notwendig.
Intelligenz ist kein Faktor, der einer Spezies in irgendeiner Form eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit verschafft. Es gibt jede Menge Lebensformen auf der Erde, die noch wesentlich dümmer sind als der Durchschnittskonsument des RTL-Programms, auch wenn das schwer vorstellbar ist. Aber für einen Badeschwamm, eine Seegurke oder einen Alligator in Florida wäre der Inhalt dieses Fernsehsenders eindeutig zu hoch. Trotzdem haben Alligatoren noch den letzten Dinosauriern nachgewinkt, mit denen sie stammesgeschichtlich verwandt sind. Wobei die „echten Krokodile“ deutlich jünger sind, aber auch die kommen noch auf 40 Millionen Jahre. Trotzdem sind die nicht intelligent. Intelligenz behindert in vielen Fällen den sicheren Jagdinstinkt und Platons Dialoge oder Wasserspülung im Klo sind jetzt auch nicht so die Killerapplikation in der Evolution. Continue reading →

Die unerträgliche Nachhaltigkeit des Seins

– I –

Grillsaison

„There is no such thing as ‚away‘. When we throw anything away it must go somewhere.“
Annie Leonard

Ich habe Wälder immer gemocht. Die schattige, grün-dunkle Kühle eines Waldgebietes, während drumherum alles in glühender Sommerhitze gebacken wird, ist nichts, was man mit irgendeiner Klimaanlage herstellen könnte.
Bäche und Gräben, Insekten auf der Oberfläche eines Sees, das Gewimmel von Spannerraupen auf Brennesseln. Das Rufen der Gänse, die im Herbst über das Haus ziehen und mir so verkünden, daß es jetzt offiziell Winter ist. Die zurückkehren im Frühling, denselben Ruf ausstoßend, der aber diesmal bedeutet, daß auch die Ankunft des Frühlings jetzt beschlossene Sache ist. Das Licht und Wärme so unausweichlich sind wie Dunkelheit und Kälte.
Ich habe all diese Dinge immer gemocht. Ich war immer der Meinung, daß diese Dinge Schönheit tragen aus sich selbst heraus und das diese Schönheit, dieser Wert, auf jeden Fall etwas ist, daß man schützen muß. Das erhaltenswert ist. Menschliche Psychologie ernährt sich auf Dauer nicht gut von Beton und Asphalt. Wer sich zu lange in Gebäuden aufhält, in Umgebungen ohne natürliches Licht oder Pflanzen oder anderen Dingen, entwickelt psychologische Entzugssymptome, eine „Gier nach Grün“.

In diesem Sinne war ich also schon immer ein „Umweltschützer“. Wobei ich ja von diesem Wort heute wenig bis gar nichts halte, denn in ihm ist die typische Trennung zwischen „hier Mensch und da etwas anderes“ enthalten, die zur aktuellen Lage beigetragen hat, in der Mensch sich befindet. Und diese Lage ist, gelinde gesagt, extrem beschissen.
Aber Umwelt ist in. Alles ist heutzutage irgendwie Grün. Selbst in Vorständen von Mineralölkonzernen wird das Wort der Stunde benutzt, das wie kein anderes den Niedergang der ökologischen Bewegung und auch des ökologischen Bewußtseins der Gesellschaft verdeutlicht: Nachhaltigkeit.
Niemand ist heute mehr am Schutz der Ökologie, der biologischen Naturgeflechte, ernsthaft interessiert – ich sage bewußt nicht „Umwelt“ – weil er eine emotionale Reaktion auf natürliche Umgebung hat, wie ich sie als Kind hatte. Heute sind Menschen Umweltschützer, um etwas voranzubringen, das Nachhaltigkeit heißt. Ein seltsames Plastikwort in einer Welt, die sich zunehmend selber in Plastik verwandelt. Was bedeutet es? Continue reading →

Das Versprechen der Maschine

„Recyclingunternehmen: Die Auffanggesellschaft der Wegwerfgesellschaft.“
Peter E. Schumacher

Maschinen können uns Arbeit ersparen. Allerdings nur, wenn sie stillstehen, sobald genug von dem produziert worden ist, was so gebraucht wird. Das Angebot der Maschine, quasi seit Beginn der Industrie 2.0, lautete: „Arbeite weniger, Mensch.“
Doch dazu kam es dann nicht. Ganz im Gegenteil.
Arbeit und noch mehr Arbeit ist heute das akzeptierte Maß der Dinge. Aus irgendeinem Grund hat sich die menschliche Gesellschaft entschlossen, den Weg zu mehr Freizeit nicht zu beschreiten. Da scheint was schiefgegangen zu sein.
Wobei sofort die Frage aufkommen sollte, ob das stimmt. Hat die Gesellschaft sich wirklich dafür entschieden, einfach immer mehr zu arbeiten und mehr zu produzieren? Und wie soll das möglich sein, wenn wir doch nur die Dinge produzieren, die wir brauchen?

Die Antwort ist eben so simpel wie komplex, wie so viele andere Dinge. Nicht die Gesellschaft als Ganzes hatte etwas entschieden, das ihre Zukunft maßgeblich mitbestimmen würde. Oder zumindest ein hinreichend großer Teil der Gesellschaft, daß man sie als „überwiegende Mehrheit“ bezeichnen könnte.
Über die Zukunft wurde entschieden von den Maschinenbesitzern. Niemand hatte ihnen erlaubt, zu definieren, wofür die Maschinen eingesetzt werden sollten. Sie nahmen sich dieses Recht einfach, denn schließlich hatte ihr Geld diese Maschinen bezahlt. Wobei auch das streng genommen nicht wirklich korrekt ist.
Die Maschnisten der modernen Gesellschaft entschieden sich nicht für die Option „mehr Freizeit“. Sie wählten, wenig überraschend, die Option „mehr Produktivität“.
Was nicht anderes bedeutet, als mehr Güter zu produzieren. Diese wiederum muß aber auch jemand kaufen, ansonsten verkommt Produktion zum reinen Selbstzweck. An dieser Stelle komme ich zurück auf das Bild mehr oder weniger leerer Produktionshallen moderner Industriekonzerne. Denn mehr Produktivität bedeutet nicht etwa mehr Arbeitsplätze. Es bedeutet längst mehr Maschinenarbeit und somit weniger Bedarf an Menschen. Irgendwie hat die Maschine also ihr Versprechen von mehr Freizeit für den Menschen doch erfüllt, könnte man so sagen. Continue reading →

Folgt der Flasche!

„Ich sage, du bist der Messias, Herr. Und ich muß es wissen, ich bin schon einigen gefolgt!“
Petrus

Menschen glauben oft seltsame Dinge, um ihr erbärmliches Selbst zu erhöhen und sind dann sauer, wenn die Realtität nicht mitspielt.
Manchmal treibt die Realität seltsame Blüten. Kaum schreibt man als Blogger mal einen Artikel über Comicwelten, der den stark steigenden Kontaktverlust zwischen Politik, Politikern und den Regierten beschreibt, sowie den der ganzen Bevölkerung der Industriestaaten mit überhaupt so ziemlich allem, was man wissenschaftlich gesichert als „Realität“ bezeichnen kann, geben sich eben diese Personenkreise alle Mühe, das Geschriebene rundheraus zu bestätigen. Oder sogar noch zu überbieten, auch wenn das dem Schreiber in seiner Bambushütte am Rande der Gesellschaft nur schwer vorstellbar erscheint.

Am Ende glaubt eine Regierung in London dann, sie könne zwischen Irland (Republik) und Irland (Norden) keine Zollgrenze haben, weil sie das ja versprochen hatte. Den Iren. Also, allen Iren. Das steht im „Good Friday-Agreement“, also im Karfreitagsabkommen. Dieses Abkommen wird dieser Tage – übernächste Woche, um genau zu sein – zwanzig Jahre alt und hat seit damals der Bürgerkriegsregion Nordirland endlich zu einem stabilen Frieden verholfen.
Außerdem verkündet eine solche Regierung dann auch mal, sie werde aus dem EU-Binnenmarkt austreten und aus der Zollunion. Natürlich verkündet sie das, nachdem diese Sache mit der irischen Grenze geregelt wurde.
Doch der Austritt sei unbedingt notwendig, sagen die Regierungschefin und ihr Handelsminister. Um hinterher neue Handdelsverträge mit „aufstrebenden Wirtschaftsmächten“ wie China abzuschließen.
Dann verkündet sie gerne, man werde in einigen Teilen der Wirtschaft EU-Regeln anwenden. In anderen aber nicht. Ach ja – auch das mit dem Binnenmarkt möchte man natürlich nicht so streng gemeint haben, denn die Regierung hätte gerne für ihr Land dieselben Regeln, die beispielsweise Norwegen genießt.
Das Norwegen dafür mehr als ein Jahrzehnt verhandelt hat und mit deutlich über 80 Prozent Quote das europäische Land ist, das die meisten EU-Regularien in lokale Gesetze gegossen hat, ignoriert die britische Regierung dabei einfach mal. Ye olde England kriegt all diese bestellten Rosinen selbstverständlich sofort, denn die Norweger – well, they’re not british, are they?
Gleichzeitig fallen irgendwelche Verwaltungsdinge in Sachen Fischerei und Landwirtschaft von der EU wieder zurück an London. Denkt London. Schottland und Wales sehen das anders, denn solche Sachen oblagen früher den Regionalparlamenten. Bevor die EU die Inseln eroberte, wir erinnern uns. Continue reading →

Generation Dazwischen

„Domination’s the name of the game in bed or in life
They’re both just the same
Except in one you’re fulfilled at the end of the day.“
Depeche Mode

Generation X. Generation No Future. Was ist uns im Laufe der Jahrzehnte nicht alles an Etiketten aufgeklebt worden. Jede Generation kriegt einen Barcode verpaßt, der die Schubladisierung vereinfachen soll.
Ich fand besonders No Future ziemlich blöde. Das wäre meine Generation. Die 80er Jahre. Obwohl das nicht stimmt. Denn ich war ja bereits zehn Jahre da, warum sollte ich also zu diesen No Future Typen gehören?
Nur weil die Sex Pistols das damals von der Bühne runtersangen in „God save the Queen“, mußte es mir ja nicht gefallen. Außerdem war ich 1977 noch zu jung, um Punk Rock zu hören. Da war ich noch im Zeitalter der Hörspielcassetten mit Schloßgespenstern oder Vinylscheiben mit Kobolden.
Der Sound meiner Generation war nicht wirklich No Future. Herbert Grönemeyer besang Männer und Ina Deter hüpfte mit rosa Plastikgitarre in der Hitparade rum und wollte diese Männer gerne in neuer Version haben fürs Land.
Wir chillten bei Sunshine Reggae, stürzten mit Geiern im Sturzflug nach der Schule ab und waren Big in Japan oder mal eine Nacht in Bangkok, bevor wir dann mit Jeanny Unforgettable Fire entfachten. Unser Sound war Shout. Oder Blasphemous Rumours. Oder Blue Monday.
Außerdem, so dachte ich mir auch ein knappes Jahrzehnt nach der Rettung der Königin, ist das doppelter Unsinn. Zukunft kommt immer. Das Morgen wartet ja nicht. Es verwandelt sich einfach ins Heute.

Inzwischen denke ich von mir selbst gerne als „Generation Dazwischen“.
Kurz nachdem ich geboren wurde, rutschte die Welt in ihre erste Energiekrise. Eine politische Krise in diesem Falle. Die Geschichte mit Israel und den Arabern damals. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Kurz zuvor, 1972, hatte die weltgrößte Fördernation des Planeten eine erste und unangenehme Begegnung mit den Naturgesetzen. Die USA hatten ihren Peak Oil. Dieses Ereignis, von dem immer alle lachend behauptet hatten, es könne überhaupt niemals eintreten. Dabei war diese Vorhersage nichts weiter als ganz schlichter Menschenverstand, gepaart mit ein wenig Mathematik. Wenn man mit dem Strohhalm den Cocktail aus einem Glas schlürft, wird unweigerlich der Punkt kommen, an dem das Glas nur noch halb voll ist. Der Cocktail unterscheidet sich vom Erdöl nur dadurch, daß der emsige Schlürfer an der Bar selber um so voller wird, je leerer das Glas ist.
Bei unserer Zivilisation ist das anders. Die wird nie voll. Die ist immer nur durstiger, je mehr sie den Cocktail wegschlürft.
Plötzlich war es den USA nicht mehr möglich, den Ölpreis maßgeblich selbst zu gestalten, indem man den Hahn etwas weiter auf- oder zudrehte. Plötzlich drehten andere an ihren Hähnen. Die Araber zum Beispiel. Die OPEC, vorher ein eher belächelter Zusammenschluß aus Ölförderstaaten, wurde plötzlich der mächtigste Spieler am Tisch. Doch die politische Krise verdeckte die echte Krise erfolgreich. Continue reading →

Heisere Sirenen

„There are no great limits to growth because there
are no limits of human intelligence,
imagination, and wonder.“
Ronald Reagan

Die Informationen, die wir erhalten, sind fortgesetzt widersprüchlich. Die Aktienkurse eilen von Höchststand zu Höchststand. Direkt darunter finden sich die Meldungen, die von sinkender Arbeitslosigkeit erzählen.
Und direkt darunter befinden sich die Verlinkungen auf Artikel, die darüber diskutieren, daß sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet. In solchen Artikeln findet sich dann gerne die Stimme eines Wirtschaftsexperten, der solche Dinge wie Armut in Deutschland dann als „gefühlte Realität“ bezeichnet. Überhaupt ist in Deutschland niemand arm. Das hat unser Bundesgesundheitsminister erst neulich selber festgestellt.
Armut ist nur dann Armut, wenn sie den persönlichen Ansprüchen einer zunehmend elitären Kaste aus Politik und Reichtum auch genügt. Es reicht nicht, für indische Kinder zu spenden. Charity-Veranstaltungen, wie so etwas auf neudeutsch heißt, müssen schon mindestens für einbeinige blinde Kinder in Indien Geld sammeln. Mit Lepra. Nur dann ist der eigenen Mildtätigkeit genüge getan.

Menschen mit fünfstelligen Monatsgehältern, die behaupten, von vierhundert Euro Hartz IV pro Monat könne man ja gut leben und wäre keinesfalls arm. Und wenn es kein Politiker ist, der diese Dinge in der Öffentlichkeit verkündet, dann wird es zumindest von denen beklatscht, die sich dann demnächst ihre falsch betitelten Diäten um 850 Euro erhöhen. Pro Monat und pro Nase.
Überall finden sich in den letzten Monaten wieder Jubelartikel über den gerade angesagten technologischen Durchbruch. Die Worte „Raumfahrt“, „Mars“ und „Mond“ tauchen gerne auf. Auch von der „Industrie 4.0″ ist in Artikeln gerne mal etwas zu lesen. Gerade erst hat Elon Musk, der elektronische Mönch aller Zukunftsgläubigen, eines seiner eAutos ins All geschossen, um somit die Überlegenheit menschlichen Fortschritts über die Naturgesetze zu demonstrieren. Die Naturgesetze haben sich bislang dazu nicht geäußert.

Als Mensch, der in einem anderen Leben beruflich einmal etwas mit Netzwerken, Computern und Software zu tun hatte, taucht sofort die Frage in meinem Kopf auf, was denn mit den Versionen 1.0 bis 3.0 der Industrialisierung so passiert ist.
Mehr Roboter werden mehr Arbeit übernehmen. In diesem Falle ist „Arbeit“ nicht etwa das Stanzen oder Formen von Stahlblechen oder das Ziehen einer Schweißnaht im Autobau.
Arbeit ist hier das Schreiben von Artikeln in Online-News oder -Magazinen. Zum Beispiel über die aktuellen Statistiken des Bundesamts für Arbeitslosenverwaltung. Oder den Quartalsbericht der Fluglinie. Oder einer Firma, die Elektroautos herstellt und ins All schießt.
Kurze, sachliche Häppchen mit aufbereiteten und sparsam erläuterten Zahlen. Eine perfekte Vorlage zur Verarbeitung durch künstlich intelligente Algorithmen. Continue reading →

Comicwelten

„Ignoring isn’t the same as ignorance, you
have to work at it.”
Margaret Atwood, The Handmaid’s Tale

Nichts ist real. Die Aktienkurse steigen auf ungeahnte Rekordhöhen. Also geht es Amerika gut. Und Deutschland. Oh, außer natürlich, wenn die Aktienkurse zwischendurch fallen sollten. Dann hat das geistig stabile Genie im Weißen Haus damit nichts zu tun. Aber Kurse fallen ja auch nicht.
„Der Markt korrigiert sich“, sagen die ökonomischen Prediger.
Ich verstehe noch immer nicht, wieso sich dieser komische Markt ständig korrigieren muß. Schließlich treffen Menschen doch immer die bestmögliche, rationale Entscheidung und haben immer alle relevanten Information zur Verfügung, wenn es um Handel und Warenaustausch geht. Außerdem ist der Markt doch eine Abbildung der Realität. Wie kann es da sein, daß irgendwelche Zahlen so viel höher liegen, als die Realität wert ist?

Realität wird ganz offensichtlich überschätzt. Als Hollywood vor nunmehr 30 Jahren ein falsches Spiel mit Roger Rabbit trieb, waren die durchgeknallten Charaktere allesamt Comicfiguren. Der Rest der Welt war real. Heutzutage ist es umgedreht.
Der Elefant im Wohnzimmer wird nicht nur rundweg ignoriert. Er hat inzwischen Junge gekriegt und allmählich wird es im Wohnzimmer echt eng. Besorgte Charaktere beginnen sogar bereits, in Gedanken die Tragfähigkeit des Bodens zu berechnen.

Überall um uns herum löst sich Realität auf. Auch durch und dank tatkräftiger Mithilfe aller Medien. Erinnert sich noch jemand an den Raketenalarm auf Hawaii vor ein paar Wochen?
Das lief so: Auf den digitalen Infotafeln des US-Inselstaates und auf allen Smartphones der Leute, die so auf der Insel herumlaufen – etwa 8 Millionen – tauchte eine Meldung auf. Diese besagte in etwa: „Raketenangriff im Anmarsch. Der Weltuntergang ist da. Dies ist keine Übung. Wir wünschen einen angenehmen Tag.“

Bild 1: Adieu, du schnöde Welt
Diese Warnmeldung wurde von der Kastrophenschutzbehörde des US-Bundesstaats Hawaii am 13. Januar 2018 an alle Smartphones der Insel verschickt. Und an digitale Warntafeln an den Straßen und in den Städten. So wird es also aussehen, wenn alles zu Ende geht. Und man ein Smartphone hat, natürlich.

Nach mehreren Monaten immer schriller werdenden Geschreis aus dem Weißen Haus, daß nordkoreanische Terrorraketen den ganzen Planeten bedrohen – also Amerika – und noch lauteren Gebrülls, daß der Atomschwanz der amerikanischen Welt natürlich der dickste und längste sei und dieser Atomschwanz selbstverständlich ausschließlich zur Rettung der Welt – also Amerika – eingesetzt werden würde, erzeugte eine derartige Meldung von Behördenseite dann doch ein gewisses Unbehagen bei den Empfängern derselben. Continue reading →

Das wahre Morgen

– XIII –

Das tödliche Happy End

„Wenn man das eliminiert hat, was unmöglich ist, muß das, was übrigbleibt, der Wahrheit entsprechen, mag es auch noch so unwahrscheinlich erscheinen.“
Sherlock Holmes

Unsere aktuelle Plastikkultur vermittelt uns weiterhin die Narrative, deren Zeit längst abgelaufen ist. In unserem chronischen, geradezu starrsinnigem Beharren darauf, daß das Paradies in der Zukunft liegt, in fliegenden Autos und Megastädten, im ewigen Fortschritt und ewigen Wachstum, laufen wir Gefahr, völlig zu vergessen, daß „Kultur“ etwas ist, das nur auf dem Boden der Geschichte wachsen kann.
Bei vielen Menschen scheint dieses Vergessen bereits vollständig zu sein.
Bei anderen kann man nicht von Vergessen sprechen.
Eine ganze und eine halbe Generation sind bereits so erzogen und ungebildet worden, daß sie sich um Vergangenheit in den meisten Fällen einen Dreck scheren. Was man sich nie bewußt gemacht hat als Kollektiv, als Kultur eben, kann man nicht vergessen. Dieses mangelnde oder fehlende Bewußtsein wird dann politisch ausgenutzt, um Menschen denselben Unsinn machen zu lassen wie schon einmal. Es ist egal, ob Goebbels eine Rede hält oder ein Hochglanzprospekt der sogenannten Identitären Bewegung. Die Gedanken hinter der Sprache sind dieselben.
Wie so oft weigern wir uns standhaft, aus der Geschichte Lehren zu ziehen. In aktueller Ausprägung dadurch, daß die Vergangenheit für technologisch irrelevant erklärt wird. Gemeint ist damit auch immer kulturelle oder zivilisatorische Irrelevanz. Was gestern oder vorgestern war, kann heute nicht mehr benutzt werden, denn es ist ja von gestern. Also muß es schlechter sein, hat uns keine Antworten auf die drängenden Probleme und Fragen unserer Zeit zu bieten.
Das eventuell die angeblichen Lösungen der Probleme des Gestern durch Innovation und Fortschritt im Ergebnis die Probleme des Heute bilden, wird von den Heilspredigern der technologischen Erlösung ignoriert. Es paßt eben nicht ins verinnerlichte Narrativ. Nichts ist unlösbar. Nichts darf unlösbar sein.

Wobei auch das Konzept der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen „Problemlösung“ unter den falschen Narrativen leidet. Denn nach der Lösung eines Problems, egal in welcher Form, muß die Welt zwingend besser sein. Wenn unsere Verbrennungsmotoren die Umwelt verseuchen und dem Klima schaden, nun – dann bauen wir eben weiterhin Autos. Nur eben ohne Verbrennungsmotoren. Denn das längst sinnleere Konzept des Fortschritts zwingt uns dazu, den Exzess unserer Massenmobilität, das Symbol des 20. und 21. Jahrhunderts, unbedingt beizubehalten. Eine Zukunft ohne diese Eigenschaft kann nicht gedacht werden und darf nicht gedacht werden. Es wäre ein Rückfall in finstere Zeiten aus Höhlen und Fackeln. Also etwa das Jahr 1900 oder so.
Da wäre vielleicht auch noch die Tatsache, daß diverse Konzerne mit dem Bau der individuellen Massentransportmittel eine Menge Geld verdienen und das auch gerne weiterhin tun möchten. Wer jetzt bei der Kombination von Individualität und Massentransport die Stirn gerunzelt hat, hat aufgepaßt.
Es kann also nicht sein, daß eben dieses Konzept in Frage gestellt wird. Das individuelle Fahrzeug, von Robotern liebevoll zusammengedengelt, muß unbedingt Teil der ewigen Zukunft sein und bleiben. Statt der Verbrenner nehmen wir eben Elektromotoren und alles wird gut sein. Hauptsache, es gibt weiter Autos. Schon deshalb, damit manche Menschen eines besitzen können, denn diesen Leuten geht der Besitz eines fossilen Vehikels über alles. Continue reading →

Vier Wochen auf Jamaika

Heute ist es soweit. Ein großer Tag für das Land. Heute wird sich endlich entscheiden, ob man in der deutschen Politik bei den großen Fragen etwas Gemeinsames finden kann.
Das ist mal keine schlechte Leistung dafür, daß immerhin schon seit fast fünf Wochen über genau diese Themen geredet wird, jedenfalls offiziell. Erst gestern haben die an den Verhandlungen beteiligten Parteien verkündet, sie würden sich zu einer „Denkpause“ zurückziehen.
Jetzt bin ich durchaus ein Freund des gründlichen Nachdenkens über eine Sache. Alle meine Ex-Freundinnen wußten genau, daß ich unfaßbar spontan sein kann, wenn man mich ein paar Tage vorher über irgendwelche Pläne informiert hat, die eventuell die Gestaltung des Freizeitlebens betreffen.
Allerdings muß ich mir dann automatisch die Frage stellen, was die Beteiligten denn dann in der ganzen Zeit vorher gemacht haben, wenn sie jetzt erst mit dem Denken beginnen möchten.

Genau – die Rede ist von diesen überaus lustigen Verhandlungen zwischen vier Parteien, die da irgendwo in Berliner Kämmerlein stattfinden und deren Ziel eine Koalition sein soll, die uns noch einmal vier fröhliche Jahre mit Königin Angela I., genannt „die Alternativlose“, einbringen sollen. Euphemistisch wird dieses angestrebte Bündnis allgemein Jamaika genannt, wegen der beteiligten politischen Farben Schwarz, Gelb und Grün.
Tatsächlich ist das arme Land in der Karibik das einzige, das diese Flaggenfarben aufweist. Wie man aber beim Gedanken an deutsche Politik ausgerechnet auf kiffende Jamaikaner kommen kann, die mit Reaggae-Mucke durch die Gegend cruisen, ist mir ein Rätsel. Noch 2005 hatte der ehemals grüne Joschka Fischer diese Idee als so absurd zurückgewiesen, wie sie nur sein kann.
Heute, im Jahre des Herrn 2017, im nunmehr  dreizehnten Jahr der Herrschaft des Grauens aus der Uckermark, hat das Bizarrometer der deutschen Politik auch dieses Ende der Skala erreicht. Der ehemalige Grüne Fischer bezeichnet diese Lösung inzwischen als „notwendig“.
Aber die Armen können sich ja gegen ihre Instrumentalisierung zu politischen Zwecken nie wehren. Laut Erläuterung gewisser Online-Lexika bedeuten die Farben in der Flagge Jamaikas Hoffnung in die Zukunft und landwirtschaftlichen Reichtum – das wäre das Grün. Das Gelb – in einer Flagge ist so etwas üblicherweise die heraldische Vertretung für Gold – symbolisiert das Sonnenlicht und den natürlichen Reichtum des Landes. Schwarz hingegen steht für die Kraft und Kreativität des Volkes.
Das verschafft den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition endgültig etwas derartig Zynisches, daß es schon wieder massive satirische Qualitäten aufweist, soviel muß ich dann doch zugeben, nachdem ich mich von meinem hysterischen Kicheranfall erholt habe.

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Das wahre Morgen

 

– X –

Fahrenheit 284

„Humankind cannot stand too much reality.“
T. S. Eliot

Der bereits erwähnte Ray Bradbury hat außer seinen Mars-Chroniken eine weitere, sehr berühmte Geschichte erfunden. Es ist die von Montag.
Nicht der Wochentag, der sich allgemein großer Unbeliebtheit erfreut. Montag ist der Name eines Feuerwehrmannes und des Protagonisten des Romans „Fahrenheit 451″. Ein weiterer Klassiker der Science Fiction, ausnahmsweise auch angemessen verfilmt.
Bradbury nannte den Roman so, weil die Temperatur 233 Grad Celsius entspricht. Denn das ist die Temperatur, bei der gewöhnliches Papier Feuer fängt. Montag ist nämlich Feuerwehrmann. Der Unterschied ist, daß die Feuerwehr in seiner Zeit keine Brände mehr löscht. Sie legt sie. Der Job des Feuerwehrmannes Montag ist es, Bücher zu verbrennen.

Denn Bücher, so hat man in dieser Zukunft beschlossen, sind gefährlich. Sie können Menschen seltsame Dinge erzählen. Oder andere Dinge, mit denen diese Menschen nicht einverstanden sind. Oder womöglich Dinge, von denen manche Menschen sich in ihren Gefühlen verletzt fühlen könnten.
Natürlich enthalten sie auch Ideen und Ideen sind etwas ohnehin sehr Gefährliches.
Und so hat die Gesellschaft, in der der Feuerwehrmann Guy Montag seinem Beruf nachgeht, eines Tages unter andauernder Medienenbeschallung beschlossen, daß zuviel Nachdenken über zu viele Dinge einfach zu sehr anstrengt. Es ist schwierig und erfordert Fachkenntnisse und persönliches Interesse, um in dieser Situation einen Konsens herbeizuführen.

Es ist nicht die Regierung, die das Bücherverbot erfindet in dieser Gesellschaft. Es ist die Bevölkerung selbst. Zufrieden mit dem Konsum seichter Unterhaltungsberieselung ohne intellektuellen Tiefgang und in einer Sehnsucht nach Konsens, oder besser, nach Konformität, ist es die Bevölkerung, die von der Regierung verlangt, Bücher für illegal zu erklären.
Die Kernaussage von Bradburys Roman richtet sich nicht gegen eine zensurwütige Staatsmacht, sondern gegen eine Bevölkerung, die sich nicht länger bemühen will, ihre eigene Welt zu hinterfragen.
Natürlich folgt die Regierung dem Wunsch ihrer Bevölkerung durchaus nicht unwillig. Die bestellte Dystopie wird nur zu gern von denen umgesetzt, die die Fäden der Macht und Information in den Händen halten.
Der Feuerwehrmann Montag wehrt mit seinem Feuer Gefahren für die Gesellschaft ab, die gar keine sind, sondern nur als solche empfunden werden. Oder empfunden werden könnten, von wie wenigen Menschen auch immer. Continue reading →