Die unerträgliche Nachhaltigkeit des Seins

– III –

Milch vom glücklichen Bären

„Sometimes the only thing more dangerous than a question is an answer.“
Ferengi-Erwerbsregel 208

Früher™ war es noch üblich, daß zum Herbst hin das Gemüse im Garten geerntet wurde. So wie vorher im Spätsommer das Obst von den Bäumen. Ein Teil davon wurde immer direkt verwertet. Es gab also leckeren Pflaumenkuchen. Oder Apfelkuchen. Oder Erdbeeren im Frühsommer. Ob mit oder ohne Kuchen, war in diesem Falle egal. Wer keine Erdbeeren mag, kommt ohnehin von einem anderen Planeten, und zwar einem sehr finsteren. Wenn man Glück hatte, gab es dazu noch Sahne, die aus der Milch hergestellt wurde, die wiederum am Morgen noch in der Kuh gewesen ist. Und die Kuh kannte man persönlich, weil man mit der Milchkanne jeden Tag beim Bauern vorbeischaute.

Im Marketingsprech heutiger Zeiten nennt man so etwas eine „direkte Beziehung zwischen Verbraucher und Produzenten“. Und diese existiert heute sehr oft nicht mehr. Unser ewig wachsendes Wirtschaftssystem, optimiert auf die Produktion von möglichst viel Müll und möglichst hohen Aktienkursen für Menschen, die eine Schlangengurke nicht von einer Möhre unterscheiden könnten, hat diese Beziehung erfolgreich vernichtet.
Agrarkonzerne wollen nicht die Welt ernähren oder möglichst leckeres Essen auf den Tisch bringen. Oder möglichst gesundes Essen. Sie möchten möglichst viel betriebswirtschaftliche Wertschöpfung in ihre Kasse spülen. Den Vorständen von ConAgra oder Mondelez International oder Nestlé ist es egal, was irgendein Agrarexperte – denn zumindest in den USA werden industrielle Soja- und Maisfarmen nicht mehr von Bauern geführt – am genmanipuliertem Getreide noch verdient oder nicht. Den Vorständen von Nestlé ist es sogar egal, wenn in Vittel das Wasser ausgeht.

Gerade eben hat der Handelskonzern ALDI den Milchpreis gesenkt in Deutschland. Eine weltbewegende Eilmeldung. Der Milchpreis in Deutschland. Als zuletzt vor ein paar Jahren verzweifelte Opfer der Agrarökonomie ihre selbsterzeugte Milch in den Rinnstein kippten, wurde die Entlohnung durch die ausbeuterischen Konzerne später erhöht. Käse, Butter, Sahne, Quark, eben alles, was aus Milch so hergestellt wird, wurde teurer. Verbraucher nickten gefällig, denn das war ja für den guten Zweck. Niemand will, daß sich Milchbauern im Stall unter ihre Kühe werfen müssen aus Verzweiflung.
Als die Preise später wieder fielen, blieben die Preise für Milchprodukte davon unbeeindruckt. Also hoch. Aktuell heulen Milchbauern wieder rum, die Preise seien zu niedrig, ALDI senkt sie trotzdem. Was geht da eigentlich ab?
Die Geschichte ist simpel. Da alle Erzeuger damals mehr Geld bekamen, haben die Einkaufsverbände des Großhandels hinterher ihre Berater losgeschickt. Die beraten natürlich nicht, die berechnen.
Hinterher gehen die Abgesandten der Hölle dann zum Landwirt und sagen ihm, was der Großkonzern X für einen Liter Milch so zahlen kann, um die Gewinnerwartungen der Aktionäre und Analysten weiterhin zu erfüllen. Wenn der Landwirt und Kuhbesitzer daraufhin die Hände überm Kopf zusammenschlägt, weil eben zweikommasechs Cent für einen Liter nicht ausreichend sind, um auch nur die teuren Antibiotika zu bezahlen, legt ihm der Vertreter des Großkapitals die Hand auf die Schulter und sagt: „Vertrau mir.“

Das Ergebnis ist eine Berechnung, die auf dreihundert weitere Brutreaktoren in Kuhform hinausläuft, mit denen der Bauer seinen Hof vergrößern und die Milchproduktion steigern kann. Damit sinken seine „Kosten pro erzeugter Einheit“, also pro Liter Milch.
Gut, man braucht einen Stall, Maschinen für die Melkerei, Energie für die Maschinen, Futter für die Viecher und dafür natürlich wieder eine halbe Million Euro an Krediten, die den Landwirt in noch stärkerer freundschaftlicher Verbundenheit an seine Hausbank fesseln werden – die womöglich im Hintergrund dem Molkereibetreiber gehört.
Aber die Stückkosten sinken, denn das tun sie bei Massenproduktion immer. Sollte jemand gegenüber dem BWLer des Konzerns erwähnen, daß Kühe ja nun irgendwie biologische Lebensformen sind oder Menschen gerne Milch trinken würden statt gefärbtem Wasser mit pharmakologischen Anreicherungen, bekommt er glasige Augen, schweigt einen Moment und beginnt dann wieder seinen zahlenreichen Vortrag.
Zwei Jahre später ist dann die Milch wieder zu billig. Denn natürlich haben wir hier nichts weiter gemacht, als bereits vorhandene Überproduktion weiter zu erhöhen. Nicht, weil das für den Landwirt Sinn ergäbe oder für den Kunden im Supermarkt. Aber für den Molkereibetrieb. Und die Hausbank. Und die Maschinenbauer. Insgesamt hat der Abgesandte der Hölle seine Arbeit großartig erledigt. Denn er hat für Wirtschaftswachstum gesorgt.
Mehr Kühe. Mehr Milch. Mehr verkaufte Maschinen. Außerdem hat er für mehr Geld im Finanzsystem gesorgt, denn unser schuldengeplagter Milcherzeuger muß ja Kredite aufnehmen für das ganze Zeug. Ein Kredit sorgt dafür, daß aus dem Nichts im System Geld entsteht. Obendrauf kommen noch mehr Antibiotika, denn die Industriekuh muß ja gesund sein. Die Evolution der Keime reibt sich die Hände und freut sich auf die nächste Runde im Kampf der Generationen.
Dann kommt der nächste Großhändler und senkt den Milchpreis, denn hinter den Kulissen der lächelnden Supermarktbetreiber tobt ein massiver Preiskampf. Sehr, sehr ungeil.
Woraufhin alle wieder auf der Straße stehen und protestieren, die Milch erzeugen. Oder besser, die Tiere besitzen, die das tun. Was die Landwirtschaftsministerin aber demnächst verbessern wird, mit ihrem Tierwohl-Label in drei Stufen. Nichts liegt uns mehr am Herzen als das Wohl der Viecher. Währenddessen schicken die Molkereien wieder ihre Berater aus und der Schweinezyklus mit der Kuh beginnt von vorn.

Im aktuellen System werden Verbraucher nicht gefragt, was sie zahlen wollen oder zahlen können. Darum wird auch der Kuhhalter nicht gefragt, was er verdienen muß, um das Geschäft aufrechtzuerhalten. Er bekommt gesagt, was andere ihm zu zahlen bereit sind. Irgendwas ist da nicht richtig, habe ich den Eindruck. Vermutlich liegt es daran, daß ich niemals BWL studiert habe.
Keiner kommt auf die einzig logische Idee. Zumindest möchte die niemand so recht hören: Wenn es zuviel Milch gibt und das den Preis versaut, braucht man weniger Milchbauern. Denn dann gibt es weniger Milch. Also steigt der Preis.
Subventioniert man hingegen über nationale und europäische Goldtöpfe eine Überproduktion, ist der normale Landwirt immer erpressbar, wenn die höllischen Abgesandten wieder mal bei ihm vorbeischauen. Vor allem bleibt er es dann auch. Kauf ich nicht bei dir, kauf ich eben nebenan.

Wenn Wachstum Probleme bereitet, kontern wir das mit mehr Wachstum. Was Besseres fällt unserer Ökonomie nicht ein.

Damals™, als Bauern noch echte Bauern waren und eine armselige zweistellige Anzahl an Kühen auf einem Hof unter freiem Himmel rumstehen mußte, weil in der Höhle, in der wir bekanntlich alle wohnten, nicht genug Platz war, hatten Menschen noch sehr viel mehr seltsame Angewohnheiten.
So war es nach der Ernte von Obst und Gemüse durchaus normal, daß mehrere Tage in der Küche die Töpfe dampften. Kirschen müssen entkernt, Quitten verkocht und Birnen geschält werden, bevor man aus ihnen Gelees und Marmeladen herstellen kann.
Rote Bete, Kürbis und andere Dinge müssen geschält, geschnitten, gekocht, mit Zwiebeln und Essig und anderen Dingen verstetzt und eingekocht werden. Ich kann mich an diesen riesigen Einkoch-Behälter auf dem Kohleherd meiner Oma erinnern, so ein Ding mit einem riesigen Thermometer in einem Loch im Deckel, innen ein Metallgitter, auf dem die Einweckgläser in der Runde geparkt wurden.
In der Industrie, die angeblich Lebensmittel herstellt, ist das heute ein Autoklav und etwa hausgroß. Aber das Prinzip ist dasselbe. Der anblanchierte Inhalt wird durch den Heißdampf sterilisiert und fertig gegart, der Behälter so verschlossen, daß er absolut luftdicht ist. Aufbewahrungszeit in einem schattig-kühlen Kellerregal: Mehrere Jahre ohne Probleme. Was auch für die industriell so erzeugten Dosenkonserven gilt. Man glaube keinem Mindesthaltbarkeitsdatum, das man nicht selber gefälscht hat.
Im Englischen gibt es sogar einen Ausdruck dafür. Diese Tätigkeit heißt „canning“. Also Einwecken oder Einmachen, wie man im Deutschen sagen würde, wobei man allerdings überlicherweise keine cans, also Dosen, verwendet, sondern die großen Gläser, an die ich mich ebenfalls erinnere. Ein robustes, erhitzbares, sauberes und leicht zu reinigendes Material, noch dazu säurefest. Der Essig und so, darf man nicht vergessen. Dieses Vorgehen war früher einmal eine Art Familienunternehmung. Wenn man mehrere Tage in der Küche steht und die Vorratskammer auffüllt, kann man nebenher sicherlich den Familienklatsch und -tratsch der letzten Monate durchgehen. Danach weiß jeder, welche Sau gerade durch welches Dorf getrieben wurde, von wem, warum und ob sie lecker war.

Aber das war eben früher. Oder womöglich sogar damals™. Also etwa in den 50er Jahren oder so. Heute nennt man so etwas ein „soziales Netzwerk“, dessen Haupteigenschaft darin besteht, daß man zwar hunderte Leute hat, die man angeblich kennt, aber man nie irgendwem davon wirklich begegnet. Jedenfalls nicht über Fotos oder Kurzvideos hinaus. Meistens sind es Fotos oder Videos von irgendwas Eßbarem, denn Essen existiert heute nur noch, wenn es vorher geknipst worden ist. Weiß ja jeder.
Anstatt Nahrung dadurch wertzuschätzen, daß wir sie ordentlich behandeln und sorgfältig zubereiten, werden heute Dinge bestellt und kommen dann im Aluminiumcontainer zu uns, geliefert vom atemlosen Helden auf seinem Fixie-Fahrrad. Oder wir gehen ins Erdgeschoß, in diese wunderbare Sushi-Bar. Und wir stellen keine Fragen, woher Fisch und Seetang so kommen.

Seltsamerweise ist dieses Damals™ in Maßstäben der Evolution gerade einmal zwei Generationen her. Menschliche Generationen, natürlich. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine Rote Bete im Supermarkt gekauft, weil ich genau weiß, daß dieses Zeug, das da im Glas im Regal steht, niemals so unfaßbar lecker sein kann wie das, was meine Oma in ihren Gläsern über den Winter brachte. Diese Idee war clever, denn so sicherte man sich eine Vitaminquelle für die kurzen und dunklen und kalten Tage. Rein geologisch und astronomisch betrachtet, ist die Erde nämlich rund, hat eine geneigte Achse und dreht sich um sich selbst. Dadurch entsteht etwas, das man Jahreszeiten nennt. In nur zwei Generationen haben wir diese Tatsache völlig ausgeblendet, dank einer globalisierten Supermarktkultur, die uns einredet, alles sei jederzeit verfügbar.
Inzwischen sind wir sogar empört, wenn nicht alles jederzeit verfügbar ist. Ich kann mich daran erinnern, daß meine Mutter einen Saisonkalender an der Küchenwand hängen hatte. Ein simples Hilfsmittel, das mir sagt, was denn wann in meiner Gegend so wächst. Aber heute werden Blaubeeren aus Chile hier in Deutschland weggeworfen, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist oder abzulaufen droht. Bio-Blaubeeren selbstverständlich. Im kleinen Plastikcontainer, um die zarten Früchte nicht zu quetschen.
Dabei wachsen Blaubeeren durchaus in unserem Land. Nur eben im Sommer und nicht überall. Was auch daran liegt, daß die Blau- oder Heidelbeere empfindlich gegen Schwefeldioxid ist, also sauren Regen. Genauer gesagt, ist es wahrscheinlich der Wurzelpilz der Pflanze, der auf ein Plus an Schwefel allergisch reagiert, denn die Pflanze an sich mag es sogar säuerlich im Boden.
Ein bißchen mehr Säure durch schwefelige Menschenaktivitäten reicht aber trotzdem aus, um den Pilz zu vergraulen. Nur als kleines Beispiel für Menschen, die nicht begreifen wollen, daß 0,0038% mehr CO2 in der Atmosphäre der Erde trotzdem genug sind, um ein empfindliches Gleichgewicht in eine Richtung kippen zu lassen, die negative Folgen hat.
Ein Teil dieses CO2 stammt womöglich von Frachtflugzeugen, die Bio-Blaubeeren nach Europa karren. Oder Seetang aus dem Japanischen Meer. Unser globalisiertes Wirtschaftssystem hat die Jahreszeiten erfolgreich abgeschafft. Im Licht der Supermarkt-Kühlketten ist immer alles verfügbar. Wir müssen nicht mehr mühselig in Küchen stehen und uns unterhalten und dabei womöglich Rezepte austauschen. In nur zwei Generationen haben wir derartig vorsintflutliche Sitten komplett abgeschafft. Die gewonnene Zeit verbringen wir damit, unser Essen zu knipsen, während im Hintergrund die Aktienkurse von Agrarkonzernen in so schwindelnde Höhen steigen, daß selbst Heidelbeeren da oben nicht mehr wachsen.
Mein Supermarkt in der Nähe hat die Erdbeerpreise dieses Jahr zur Eröffnung auf 11,18 festgesetzt für ein Kilo der leckeren polykarpiden Nüßchenfrucht. Denn die Erdbeere ist rein biologisch eine Nuß. Eine teure. Inzwischen ist der Preis auf nur noch 8,50 gefallen. Im Supermarkt nebendran liegt die gleiche Frucht, aber sie ist in Plastik gewickelt und hat keinen deutschen Paß, sondern ist spanischer Zuwanderer. Drum kostet das Kilo hier nur vier Mäuse.
Ich muß nicht lange überlegen, welche Beere eigentlich teurer sein müßte, aber es nicht ist. Die Plastikerdbeeren will ich nicht. Die anderen kann ich mir bei derartigen Preisen keinesfalls leisten. Sieht so aus, als gäbe es bei mir in diesem Jahr keine Erdbeeren. Vielleicht sollten ein paar Milchbauern einfach mal Erdbeeren anbauen.

Früher™ wurde Milch ja noch von psychopathisch lächelnden Teddybären geerntet, statt von frustrierten Industriekühen produziert zu werden. Etwa um diese Zeit hat unsere Gesellschaft endgültig ihren Verstand verloren, schätze ich.

Wir werden in dem Glauben erzogen, daß die Zukunft etwas ist, sogar etwas sein muß, das immer mehr von allem bringt. Wir sind aufgewachsen in einer menschlichen Kultur, die vorher nie existiert hat und die auch nie wieder existieren wird in der Menschheitsgeschichte. Die fossile Supermarktkultur, der totalitäre Kapitalismus, in dem wir leben, verkauft uns als Zukunft seit Jahrzehnten Dinge, die früher einmal in Familienhänden lagen und die dann erfolgreich ökonomisiert wurden. Sei es das Einwecken von Gemüse oder die Pflege alternder Menschen. Und die ganze Zeit wird dieses Wegnehmen und Zurückverkaufen als Wirtschaftswachstum betitelt. Eine Wirtschaft kann nur dann immer wachsen, wenn sie auch immer neues Territorium erobert.
Ein ökonomisches Imperium unterscheidet sich hier in keiner Weise von einem politischen. Rom begann in dem Moment unterzugehen, als sich das Imperium nicht mehr auf Gebiete ausdehnen konnte, die ökonomisch sinnvoll auszubeuten waren. Cäsars Gallien brachte Rom schon um die Geburt von Brian vierzig Millionen Sesterzen ein. Germanien hatte außer endlosen Festmetern Holz nicht viel zu bieten, weshalb man es nach halbherzigen Versuchen nie wirklich eroberte.

Unsere angebliche Ökonomie ist hier genauso. Stück für Stück ist soziales Leben und Zusammenleben weggeschnitten worden, durchgerechnet und wurde dann an die Gesellschaft zurückverkauft. Nach Möglichkeit so, daß ein Unternehmen die Gewinne einsackt, die Kosten aber weiterhin auf die Gesellschaft verteilt werden. Das nennt sich Externalisierung und erhöht natürlich die Profite. Es ist nicht so, daß für Altenpflege keine Stellen vorhanden wären. Nur will diese Arbeit für das bißchen Geld keiner machen. Gleichzeitig erfährt dieser wichtige Aspekt Geringschätzung von allen Seiten der Politik. Denn wenn solche Herren im Anzug sagen, man könne einfach jede Menge Menschen zu Pflegepersonal umschulen, zeigt das nur, daß die von diesem Beruf keine Ahnung haben.
Weshalb es gelogen ist, wenn entsprechende Artikel in den Medien unter der Rubrik „Fachkräftemangel“ verbucht werden.
Es gibt keinen Fachkräftemangel in unserem Land. Es gibt einen eklatanten Mangel an Bereitschaft von Arbeitgebern, für fachlich halbwegs fähiges und ausgebildetes Personal auch qualifizierte Löhne und Gehälter zu bezahlen.
Ein guter Teil der angeblich so zahlreich ausgeschriebenen Arbeitsstellen in unserem Land ist ohne Bezuschussung durch den Staat in Form der „Aufstockung“, also Lohnsubvention, überhaupt nicht überlebensfähig. Ganze Firmen werden dadurch reich, daß sie kein Geschäftsmodell haben außer ihrer Personalplanung, die darauf ausgelegt ist, möglichst viele Zuschüsse abzugreifen.

Ökonomische Arschlöcher wie Hans-Werner Sinn kommen dann daher und sagen, daß man ja hier nicht mehr als fünf Mäuse bezahlen könne, denn schließlich würde so ein Pfleger ja nicht mehr erwirtschaften. Das es gar nicht darum geht, etwas zu erwirtschaften, sondern sich um alte und oft auch kranke Menschen zu kümmern, entgeht diesen Leuten völlig.
Aber da sind Pflegefachkräfte wie die Milch. Niemand fragt einen, wieviel Geld man denn zum Leben so bräuchte, ohne jeden Euro dreimal umdrehen zu müssen. BWLer in Konzernvorständen legen fest, was verdient werden darf. Die Gewinnerwartungen, sieiwissenschon.
Weil Menschen dann wenig verdienen und auf billige Lebensmittel angewiesen sind, üben die Großhändler wieder Druck auf die Konzerne aus, um ihre Einkaufpreise niedrig zu halten. Da nimmt dann auch Edeka schon mal die Produkte von Nestlé aus dem Regal. Die so erpreßten, am Hungertuch nagenden Großhändler der Welternährung geben diesen Druck natürlich nahtlos an ihre Erzeuger weiter, indem sie die Abgesandten der Hölle losschicken zur nächsten Runde. Ich verweise nach oben.
Derweil betet die Politik dann im Fernsehen das offizelle Mantra nach, der Verbraucher wolle es ja eben nur billig, außerdem ist das alles der freie Markt und so – da kann man nix machen.
Aber was erwarte ich eigentlich in einem Land, in dem Gewerkschaften jahrzehntelang gegen Lohnerhöhungen waren und heute nichts von einem BGE wissen wollen?
Das einzige, was sonst noch passiert, ist, daß die Beiträge zu Pflegeversicherung wieder steigen. Man könnte eventuell auf den Gedanken kommen, mal zu fragen, wie viel Geld die so wohltätigen Trägervereine der Kirchen oder die Klinik- und Pflegeketten, die an der Börse notiert sind, eigentlich so verdienen an der ganzen Sache.
„Solidarität“ bedeutet heute etwas Ähnliches wie Nachhaltigkeit. Sie ist längst ein Geschäftsmodell geworden. Eine Gewissensberuhigung. Wir sind ja solidarisch und finanzieren die Pflege über einen gemeinsamen Topf. In Wirklichkeit finanziert die Gesellschaft hier Gewinnmargen bei etwas, das gar keine solchen aufweisen sollte. „Solidarisch“ bedeutet heute üblicherweise, daß die Gesamtgesellschaft die Rechnung bezahlt und andere Leute sich davon den nächsten Palast in die Wüste stellen.

Soziale, lokale und kulturelle Aufgaben der Gemeinschaft sind durchweg kommerzialisiert. Solidarität muß man sich heute erst mal leisten können.

Generationen übergreifende Lebenskonzepte waren zur Zeit meiner Oma oder Uroma auch noch vollkommen normal. Bevor die fossile Kultur sich überall hineindrängte, um jeden Aspekt des Lebens zu erobern und ökonomisch auszubeuten. So wie das Einwecken von Obst und Gemüse oder saisonales Kochen.
Die Zukunft, die auf uns zukommt, die schon begonnen hat, ist kein „Mehr von allem“. Sie ist ein „Sehr viel weniger von allem“. Eigentlich ist das kein Problem, denn aktuell lebt ein guter Teil der Menschheit in einer virtuellen Plastikwelt, deren Motto geprägt ist von einem „Viel zu viel von allem“. Wenn also von dem Zuviel etwas wegfällt, ist immer noch genug da.
Doch bereits jetzt zeigt sich, daß ein erheblicher Teil der Gesellschaft nicht bereit ist, von seinem Zuviel abzuweichen. Das Ertrinken in überflüssigem Konsumismus ist einfach zur Gewohnheit geworden und wird als gottgegebenes Recht vermarktet.
Die Amerikaner, die Donald Trump gewählt haben, haben das aus denselbem Grund getan, aus dem andere hier die AfD wählen. Es ist die Angst davor, daß der eigene Lebensstandard nicht mehr haltbar sein wird.
Dabei wird völlig übersehen, daß unser Lebensstandard in Wahrheit mit Leben und vor allem Zusammenleben oft gar nichts mehr zu tun hat. Da kommen irgendwelche Gruppen, irgendwelche „Anderen“, die einem angeblich alles wegnehmen wollen, gerade recht. Diese Methode hat sich schon öfter bewährt und ist in der Geschichte mehr als einmal benutzt worden.

Bereits jetzt, wo also die meisten Dinge und Dienstleistungen noch großflächig verfügbar sind, bekommen es große Teile der Gesellschaft mit der Angst zu tun. Angst vor Veränderung. Angst vor Statusverlust, denn in unserer Gesellschaft bedeutet Sozialstatus immer Besitz von möglichst protzigen Dingen. Keine Zivilisation, die nicht restlos den Verstand verloren hat, braucht Smartphones aus Gold mit einer Concierge-Taste.
Angst vor dem Schwinden der ausgeübten Macht, denn Sozialstatus ist die Möglichkeit, finanziellen Druck auszuüben auf andere, was wiederum bedeutet, arbeitstechnischen Druck auszuüben. Die MeToo-Debatte kann hier als wunderbares Beispiel herhalten. Laß dich ficken, und du kriegst die Rolle.
So laufen die Dinge hinter den Kulissen ab. Ob jetzt tatsächlich wie in Hollywood oder metaphorisch wie in anderen Arbeitsverhältnissen, ist hierbei prinzipiell unerheblich.
Und dann ist da die Angst, daß der eigene Traum, der Amerikanische Traum, der Chinesische oder der Deutsche Traum, sich als idiotisches Hirngespinst erweisen könnte. Das irgendwer anders längst mit dem Koffer voller Geld durchgebrannt ist, den man doch selber wegtragen wollte. Das man sein Leben lang einer Lüge hintergelaufen ist im Hamsterrad und man das für eine Karriereleiter gehalten hat.

Die Zukunft ist wie Peak Oil. Es ist überhaupt nicht die Frage, ob uns das Öl ausgeht. Die Probleme für unsere Gesellschaft beginnen lange vorher. Wenn die Lange Dämmerung richtig zuschlägt, wird immer noch eine Menge Öl im Boden sein. Allerdings wird es auch dort bleiben.
Es ist keine Frage, ob die Zukunft weniger von allem bieten wird als das Jetzt. Auch hier beginnen die soziologischen Probleme lange vorher. Etwa vorgestern, nach meiner Schätzung.
Wenn das Sterben unserer fossilen Supermarktkultur deutlich wird, wird echte Panik einsetzen bei denen, die sich bisher standhaft weigern, sich Gedanken zu machen. Bei denen, die krampfhaft am Status ihres Traums festhalten. Alles bisherige, das sich in der politischen und finanziellen Landschaft abspielt, ist nur eine Vorübung zum Zusammenbruch.
Die anderen, die oberen zehn Prozent, werden versuchen, die angebliche Mittelklasse in diesem Verhalten zu bestärken. Weiter Angst säen, um Macht auszuüben. Je nachdem, wer dann auf wen schießt, werden es entweder Terroristen sein oder Einzeltäter. Alles muß wachsen. Auch der Druck.
Denn natürlich möchten die Damen und Herren weit oben ihren Geld- und Machtstatus keinesfalls abgeben. Also werden die Schönen und Reichen die anderen weiter ausbluten lassen und gleichzeitig auf diejenigen zeigen, die wenig bis nichts haben, um zu behaupten, die seien ja schuld am schwindenden Lebensstandard. Und der Mittelständler wird ihnen weiterhin glauben, denn natürlich besteht die Chance, daß er eines Tages selber zu den Schönen und Reichen gehören wird. So sagt es der Traum.

Noch kann man umdenken. Umlernen. Nicht einmal neu lernen. Die Zukunft wird sehr viel mehr Gestern und Vorgestern enthalten, als viele Menschen sehen wollen.
Löst man sich von dem Gedanken, daß ein Fortschritt ins Gestern nicht möglich ist, den wir alle eingeimpft bekommen haben, ist das Wahre Morgen kein Grund, sich zu fürchten. Die Zähne zusammenbeißen wäre allerdings keine schlechte Idee.
Es ist auch keine milliardenschwere Forschung nötig, um dieses oder jenes Dingsbums zu entwickeln, das die aktuelle Gegenwart in die Unendlichkeit zu verlängern verspricht. Wir haben alles an Wissen parat, was wir benötigen, um uns auf die Zukunft einzustellen. Manchmal steht es im Kochbuch unserer Oma.

11 Comments

  1. Ein wirklich guter Beitrag von Dir, Danke. Da gibt es von mir einfach nichts hinzuzufügen.

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  2. Was hältst Du davon öffentliche Ausstellungen zu machen? Ein paar Tafeln mit ausgewählten Informationen über die Zukunft. Einmal setzen, und dann via Mail an Gruppen in verschiedene Städte senden. Die organisieren dann die Stellwände, und die jeweiligen Genehmigungen. Kost fast nix, und wäre ein erstklassiger Aufreger. Die Gruppen gibt es bereits. Oder gab es. Jedenfalls sind die Leute noch da. Ich denke da an die Montagsmahnwachen für den Frieden. Ja, ich weiss, die Grünen sagen das wären Nazis, aber wen juckts?
    Haste gleich prima Werbung für Dein Buch.

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    1. Ähmmmm…das Buch existiert aber nicht. Insofern würde ich es ungern bewerben wollen 😀
      Aber Vorträge halten ginge bestimmt. Reden kann ich durchaus ganz brauchbar. Eine Karriere als Öko-Agitator wäre also denkbar.

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      1. Öffentliche Ausstellungen sollen Demonstrationen ersetzen, die ohnehin niemanden interessieren. Ein paar abgerissene Typen mit Pappschildern werden nicht wahrgenommen und transportieren kaum Inhalte. Eine Ausstellung mit zwei Aufpassern dagegen schon. Wenn dann noch einer Ahnung hat ists natürlich noch besser, aber dieser jemand müßte schon ein streitbarer Typ sein so fürchte ich.
        Eine Karriere wäre das wohl eher nicht, aber wie sonst bringt man etwas Realitätssinn unter die Leute?

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        1. Streitbar? Ich? Ist das eine Fangfrage? 😀

          Ich erinnere mich an…2011…als die Protestler London anzündeten. In den Trümmern wurde drei Tage später einer vom Journalisten gefragt, warum sie denn ihre eigene Gegend angezündet hätten, statt eine Demo in der City zu machen, wo die Finanztypen hocken.

          Antwort: „Wir haben eine Demo gemacht. Mehrere tausend Menschen. Reaktion der Medien nicht meßbar.
          Jetzt, wo wir Krach geschlagen haben und Sachwerte beschädigt wurden, da sind plötzlich alle da.“

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          1. Diese Typen in London hatten ein ganz anderes Anliegen, und sind obendrein selbst schuld, wenn sie auf Aufmerksamkeit der Qualitätsmedien warten.
            Rechnet man dem Michel dagegen auf einfach verständlichen Schautafeln vor, dass die fetten Jahre vorbei sind, dann randaliert der vielleicht.
            Ist doch viel besser.

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            1. Michel und Michaela randalieren nicht mal, wenn man ihnen auf verständlichen Schautafeln vorrechnet, was das Vorbeisein der fetten Jahre rein logisch bedeutet. Dann demonstrieren Michel und Michaela vor großen Kirchen, im besten Falle.

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  3. Deine Betrachtungen stimmen: die Menschheit in der westlichen Welt wird zu blöd, Essen zuzubereiten. Ich denke aber, es ist doch ein recht deutsches Problem, da wir keine landestypische Küche haben. Gut beschrieben in der aktuellen Geoausgabe (Fotoprojekt: was essen Kinder weltweit so pro Woche).
    Ein paar Anmerkungen zum historischen Kontext: Früher hat man Sahne aus der Milch gewonnen, indem man die Milch 2-3 Tage stehen lässt. Erst dann setzt sich der Rahm ab. Deinen Satz müsstest du also korrigieren (war früh noch in der Kuh). Heute wird die frische Milch zentrifugiert um die Bestandteile zu trennen.
    Eingeweckt wurde erst seit ca. 1910. Noch früher gab es die dafür notwendigen Utensilien (plan geschliffene Gläser, Einweckgummis, Federn zum Spannen der Deckel) gar nicht. Seit 1980 (Osten 1990) wird kaum noch eingeweckt, vielleicht ein bißchen aus Hobby und Tradition. Also stehen doch nur 70 Jahre Einwecken gegen inzwischen schon 35 Jahre Industriefraß.
    Ich empfehle Franz Rehbein „Aus dem Leben eines Landarbeiters“, er erklärt die bäuerliche Landwirtschaft und Ernährung um 1900 sehr gut. Das Buch gibt es als PDF frei im Netz.

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    1. Meine Uroma hat schon eingeweckt, da lief noch der Kaiser rum in Deutschland. Ich plädiere also auf jeden Fall auf ein Jahrhundert des Einweckens.

      Das mit der Sahne lasse ich jetzt mal so stehen – wie früher die Milch, quasi 😀
      Die Stelle mag technisch nicht hundertprozentig korrekt sein, aber das gönne ich mir jetzt einfach mal. Danke für den Hinweis, auch mit dem Buch 🙂

      Ich empfehle im Gegenzug einen 70er-Jahre-Öko-Klassiker: „How to grow more vegetables“ von John Jeavons. Auch als pdf oder kaufbar.

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