– IV –
Die Trägheit der Masse
»Politics is the entertainment branch of industry.«
Frank Zappa
Die Liste der beliebtesten deutschen Kindernamen wird aktuell von Mia, Emma, Sofia, Ben, Paul und Jonas angeführt. Früher, zu anderen Zeiten, waren es Friedrich, Helga, Hans, Horst und Günter. Aber tatsächlich ist das alles gelogen. Die liebsten Kindernamen der Deutschen sind Volkswagen, Audi, Mercedes, Porsche und BMW.
Das und nichts anderes ist die Wahrheit.
Seitdem ein Herr namens Gottlieb Daimler 1885 den Verbrennungsmotor erfand, ist dieses Ereignis aus der deutschen Geschichte nicht mehr wegzudenken.
Drei Jahre später raffte eine wagemutige Frau ihre Reifröcke zusammen, lud sich selbst nebst ihren zwei Söhnen auf die pferdelose Kutsche, die ihr Mann zusammengezimmert hatte, und ließ diese von Pforzheim nach Mannheim galoppieren. Oder traben, viel mehr war da noch nicht zu erwarten.
Unterwegs mußte sie einmal eine verstopfte Benzinleitung reparieren und ein anderes mal die kaputte Zündung. Hutnadel und Strumpfband halfen da weiter. So steht es geschrieben und ich will es nicht in Zweifel ziehen, obwohl ich mir beileibe nicht vorstellen kann, was ein Strumpfband mit einer Zündung zu tun hat. Auf dem Weg mußte die Dame nachtanken und dazu kaufte sie „Ligroin” in einer Apotheke. So hieß damals das Benzin, denn Ligroin ist Leichtbenzin.
Die Firma ihres Mannes Carl, gegründet mit der vorzeitig ausgezahlten Mitgift von Berta Benz, wäre ohne diese 104 Kilometer lange Fahrt wohl kein Erfolg geworden. Die erste erfolgreiche Fernfahrt räumte dem „Patent-Motorwagen Nr. 3” wie das damalige Flaggschiff des späteren Weltkonzerns Daimler-Benz hieß, den Weg frei. Was Autos angeht, könnte man also durchaus zu recht sagen, daß an allem mal wieder die Frauen schuld sind.
Nach und nach wurden aus zusammengedengelten Tuckermonstern echte Autos, als Entwickler auf die Idee kamen, daß eben eine Kutsche ohne Pferde nicht aussehen muß wie eine mit Pferden.
Ganz allmählich konnte man Benzin auch woanders kaufen als in Apotheken oder im Drogeriefachhandel. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt das 20. Jahrhundert bereits angebrochen. Der Verbrennungsmotor ermöglichte es dem Menschen, sich erstmals gesteuert in die Lüfte zu erheben und war im Ersten Weltkrieg bereits zu einem leistungsfähigen Gerät herangereift. Hatte die modernste Version des Benz-Motorwagens Nr. 3 aus dem letzten Produktionsjahr 1896 bei zwei Litern Hubraum noch drei Pferdestärken, flog der als „Roter Baron“ berühmt gewordene Freiherr Manfred von Richthofen im Jahre 1917 mit einem Fokker-Dreidecker Dr. 1 durch die Gegend, der schon satte 110 Pferdestärken aufwies, allerdings auch 15 Liter Hubraum hatte. Das würde sich heute nicht mal mehr der Porschefahrer trauen.
In den USA gründete ein Mann namens Henry Ford schließlich im Jahre 1903 die Ford Motor Company. 1908 brachte er das erste berühmte Automodell auf den Markt, das Modell T. Etwas später, 1913, führte Ford dann das Fließbandprinzip in die Produktion seiner Fahrzeuge ein, wodurch er den Ausstoß enorm erhöhen und den Stückpreis senken konnte. Außerdem erhöhte er die Löhne seiner Arbeiter. Das würde heute auch keinem Konzern mehr in den Sinn kommen. Ford unternahm diesen Schritt nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern, wie er später selbst klar formulierte, aus der einfachen Überlegung heraus, daß seine Arbeiter sich das von ihnen hergestellte Produkt auch leisten können sollten.
Bis 1927 wurde der Ford T in nahezu unverändertem Design über 15 Millionen mal gebaut und ausgeliefert. Amerikas Autoproduktion war sozusagen auf den Zug aufgesprungen. Somit ist Henry Ford nicht unbedingt der Erfinder des Fließbandes, denn dieses Prinzip war schon lange vorher bekannt. Aber er ist einer der Begründer der modernen Konsumgesellschaft. Was Newton für die Physik, ist Ford für die Supermarktkultur.
Während in den USA der 30er Jahre, mitten in der Großen Depression, die „Big Three“ des Autobaus massenweise Straßenbahnen aufkauften und sie mitsamt Schienen verschrotteten, wurde in Deutschland ein eingebürgerter Österreicher zum Kanzler ernannt und begann, endlich mal Straßen zu bauen, auf denen Motorwagen auch fahren konnten. Die Autobahn wurde zum Inbegriff des späteren deutschen und internationalen Bewegungsdrangs. Außerdem ein Hit für eine Band namens Kraftwerk, aber das war später.
Noch heute wird Hitlers Name mit diesen Bauten in Verbindung gebracht und es ist unverändert Blödsinn. Die Pläne für die Straßen lagen schon lange in den Schubladen der Weimarer Republik. Nur war vor lauter Wirtschaftskrise, Hyperinflation und politisch instabiler Demokratie einfach niemand dazu gekommen, auch mal welche davon bauen zu lassen. Hitler hatte damit keine Probleme, er konnte sich nach Abschaffung der Demokratie voll und ganz darauf konzentrieren, sich seinen Wählern als der Mann zu präsentieren, der seine Wahlversprechen auch einhält. In diesem Falle dem Senken der Arbeitslosigkeit. Make Dschörmänie great again, könnte man sagen.
Nach einem weiteren Weltkrieg, der endgültig von den Mächten mit der höchsten Motorisierung, der höchsten Industrieproduktion und den größten Vorräten an fossilen Rohstoffen gewonnen wurde, trat der Verbrennungsmotor seinen endgültigen Siegeszug an. Zusammen mit seinen Kumpels Kohle, Stahl und Erdöl brachte er in den USA Suburbia hervor, die endlosen Landschaften zersiedelter Vorstädte, die auch heute noch das schlecht geschminkte Gesicht des heruntergekommen Amerikanischen Traums bilden.
In panischer Angst vor einer erneuten Rezession nach dem gewonnenen Krieg erließ Präsident Eisenhower, seines Zeichens ehemaliger General, den Federal Aid Highway Act von 1956. Wie Deutschland zwanzig Jahre zuvor überzogen auch die USA jetzt ihr riesiges Land mit einem Straßennetz, dessen Gesamtaufwand irgendwer mal auf den dreifachen Umfang der Pyramiden geschätzt hat. Der Ausbau der Straßen dauerte bis in die 80er Jahre und kleisterte gut 77.000 Kilometer des Landes mit Asphalt zu.
Alles paßte zusammen.
Ford, Chrysler und GM bauten statt Panzern oder Kriegsschiffen jetzt Autos und Baumaschinen. Ehemalige Soldaten bauten sich Häuser im Grünen, kauften die Autos, um dorthin zu kommen und sie bauten diese Dinge auch. Außerdem brauchte man immer mehr Straßen, denn natürlich wollte plötzlich kein Amerikaner mehr in der dreckigen Stadt wohnen.
Das Automobil. Eine Liebesgeschichte. Oder eine Zombieapokalypse. Je nach Perspektive.
In Deutschland war die Entwicklung ganz ähnlich. Mit dem Unterschied, daß hier niemand eine Rezession verhindern wollte, denn im Land stand kein Stein mehr auf dem anderen nach dem verlorenen Krieg.
Also bauten dieselben Leute, die zugelassen hatten, daß die Nazis den europäischen Kontinent in Schutt und Asche legten, unter lautem Geschimpfe und Genörgel das Land wieder auf, das die Nazis hervorgebracht hatte. Die natürlich alle plötzlich weg waren, der Krieg war ja vorbei.
Wieder wurden Straßen gebaut, aber keiner zog ins Grüne, denn zuerst mußte man die eigentlichen Städte wieder aufbauen. Aber Autos baute man trotzdem. Finanziert aus amerikanischer Wirtschaftshilfe, die von der Regierung Adenauer niemals zurückgezahlt werden sollten, wuchs in Westdeutschland die modernste Fertigungsindustrie des Planeten heran. Da ohnehin alles zerstört war, konnte man neue Industrieanlagen auch gleich nach dem Stand der Technik hochziehen. Sehr praktisch.
Und dann kam das sogenannte Wirtschaftswunder und brachte Deutsche Mark, Autobahnen und den VW Käfer. Kein anderes Fahrzeug symbolisiert das Deutschland der 50er und 60er Jahre so wie diese alte Blechkugel. Niemand hatte die Absicht, ein Tempolimit zu verhängen.
So wurde die deutsche Autonation geboren. Die deutsche Seele verbindet noch heute die Freiheit nach Kriegsende mit dem Autofahren. Ebenso verbindet die amerikanische Krämerseele die Fahrt mit dem Auto mit dem Sieg in diesem elenden Krieg. Die USA der 50er Jahre waren die produktivste, mächtigste und offiziell freiheitlichste Nation des Planeten, sofern man nicht von McCarthys Kommunistenjägern verfolgt wurde, weil man vielleicht Tolstoi gelesen hatte.
Ein Land, das in fossilen Ressourcen schwamm. Der größte Geldgeber des Planeten.
Und das kleine Deutschland wurde vom ehemaligen Feind, der jetzt freundlicher Besatzer war, großgezogen und gepäppelt, als Schlachtfeld für den nächsten großen Krieg.
Ach ja, was ist nur aus der guten alten Zeit geworden?
Heute gibt es Dieselgate. Da haben doch die Autokonzerne glatt bei den Messwerten ihrer Fahrzeuge geschummelt, um so tun zu können, als wären die wunderbar sauber. Völlig überraschend weitet sich dieser Skandal, der schon seit gut zwei Jahren unter den Teppich gekehrt wird, dieser Tage wieder aus.
Da soll Porsche Berichte des Kraftfahrtbundesamts beeinflußt haben, um nicht so schlecht dazustehen.
Man munkelt, daß das Verkehrsministerium womöglich zu eng mit der Autoindustrie verbandelt sein soll. Schon ist besorgt die Rede davon, daß dieser ganze Skandal womöglich der deutschen Wirtschaft schaden könnte. Und was wäre schlimmer, immerhin ist ja Wahlkampf.
Der Ministerpräsident von Bayern, der Seehofer Horst, hat natürlich für das drängende politische und ökonomische Problem bereits eine Lösung gefunden. Man muß nur die Steuern für Dieselautos senken, die der neuen Euro-6-Norm entsprechen. Wenn es noch irgendwelche Indizien gebraucht hätte, um dafür zu plädieren, diesen Mann endlich mal öffentlich auf Demenz hin untersuchen zu lassen – hier ist eins.
Die so vielgepriesenen Euro-6-Diesel sind von denselben Firmen gebaut worden, die sich jetzt gerade aktuell und natürlich völlig überraschend als mafiöses Kartell entpuppen. Außerdem drängt sich einem denkenden Hirn unweigerlich die Frage auf, wie denn ein Euro-6-Fahrzeug die neuen, superstrengen Abgasnormen erreichen soll, wenn doch schon die uralten Vorgängermodelle im Jahre 2015 ihre Normen nur mit Beschiß, Lug und Betrug hinbekommen haben. Zusätzlich muß irgendwer zumindest in der Lage sein, daß steuerlich begünstigte Vehikel auch zu kaufen.
Aber Hirn, und dann auch noch denkfähiges, ist bei Politikern ja eher Sonderausstattung.
Man könnte auch auf die Idee kommen, sich mal zu fragen, warum man die Autoindustrie in anderen Ländern mit Milliardenstrafen belegt, aber der deutsche Autofahrer in dieser Dieselsache leer ausgeht.
Ich wiederum frage mich, wo eigentlich die Klage des Bundes gegen BMW, Daimler, VW, Audi und Konsorten ist, die längst auf dem Tisch liegen müßte. Denn durch die Dieseltricksereien sind dem Staat ja Einnahmen entgangen. Und zwar bei genau der KFZ-Steuer, die Herr Seehofer jetzt senken will. Zur Belohnung.
Außerdem sagt eine hartnäckige Stimme in meinem Hinterkopf, daß vor nicht allzulanger Zeit die so arg gebeutelte deutsche Autoindustrie bereits ein Anschubprogramm für die zurückgehenden Verkaufszahlen bekommen hat. Das hieß damals nur „Abwrackprämie“ und versprach deutschen Autobesitzern großzügige Unterstützung beim Kauf eines Neuwagens. Völlig unabhängig davon, ob der neue jetzt weniger Sprit verbraucht oder weniger Dreck in die Umwelt raushustet – derartige Bedingungen waren nicht Bestandteil des von Frau Merkel gestarteten Pakets, daß über der deutschen Autoindustrie fünf Milliarden Euro abgeworfen hat.
Und die jetzt also maximal acht Jahre alten Bescheißerdiesel sollen jetzt dafür belohnt werden, indem noch mehr Menschen ein neues Auto kaufen.
Ein besseres Beispiel für die völlige Bewußtlosigkeit deutscher Politik im Angesicht eines Verbrennungsfahrzeugs kann man sich nicht ausdenken. Da streikt selbst meine Phantasie. „Fördern und Fordern“ heißt die zynische Grundlage von Hartz IV so schön. Gegenüber Autokonzernen bemerke ich von Foderungen nichts, gefördert wird da aber reichlich.
Die Abwrackprämie hat übrigens sicherlich den Schrotthändlern wenig genützt, könnte ich mir vorstellen. Ebenso den Gebrauchtwagenhändlern. Denn irgendwer muß ja auf den als Umweltseuchen gebrandmarkten Fahrzeugen sitzenbleiben. Vielleicht sollte man deutschen Politikern mal folgende Tatsache mit benzingetränkten Nadeln unter die Haut tätowieren: Ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor ist dann am umweltfreundlichsten, wenn es überhaupt nicht erst gebaut wird.
Aber weder die Politik noch Deutschlands autobesoffene Linksspurwichser wollen derartige Dinge hören. In Niedersachsen ist es VW. Das Bundesland hält immer noch um die 20 Prozent der Aktien des Konzerns. Weitere 52,2 Prozent gehören der Porsche Automobilholding SE und 17 Prozent gehören dem Golfstaat Katar.
Das bedeutet unterm Strich, daß sich lediglich 10,8 Prozent aller stimmberechtigten Aktien der Volkswagen AG in den Händen von Kleinanlegern befinden. Oder zumindest nicht-institutionellen Anlegern, wie man so sagt. Im Grunde genommen baut man in Wolfsburg also Wagen ohne Volk.
In Baden-Württemberg mit seinem schimmeligen CDU-Ministerpräsidenten ist es Daimler bzw. Porsche. Also irgendwo auch VW. In Bayern ist es BMW. Also Horst Seehofer.
Überall haben sich Autoindustrie und Politik seit Jahrzehnten in ein schleimiges Konglomerat aus Betrug und Verarschung entwickelt. Hauptsache, der Profit stimmt.
Nimmt man dann noch Zulieferer in die Rechnung mit auf, verschwindet Deutschlands Landkarte endgültig unter sehr vielen Linien, die Täter A mit Ort B in Verbindung bringen. Der letzte Verkehrsminister des Kabinetts Kohl IV, Matthias Wissmann, ist heute Cheflobbyist der deutschen Autobauer. Gerade erst hat die Bundesregierung im Rahmen des Länderfinanzausgleichs heimlich eine Regelung durchgedrückt, die in Zukunft die massenhafte Privatisierung von Autobahnen ermöglicht. Natürlich streiten das alle beteiligten Parlamentarier ab. Was verwunderlich ist, denn schließlich waren ja auch die Privatisierungen von Post, Bahn und Telekommunikation grandiose Erfolge der Markwirtschaft. Womöglich liegt es an den immerhin 13 Artikeln des Grundgesetzes, die man hierfür ändern möchte.
Das hat mehrere Vorteile: Die Politik kann behaupten, sie hätte ihr Versprechen gehalten, niemals Maut von deutschen Autofahrern zu kassieren. Tut sie dann auch nicht, das machen die Privatunternehmen.
Die Privatunternehmen sind fein raus, denn mit den sogenannten ÖPP, den „Öffentlich-Privaten-Partnerschaften“, hat man ein Geschäftsmodell, daß die Industrie von jedem Risiko befreit. Kostet eine Strecke mehr als gedacht, gehen diese Kosten zu Lasten des Bundes. Gleichzeitig hat man keinerlei Vertragsstrafen vereinbart, da bin ich mir sicher. Denn seltsamerweise scheint die öffentliche Hand dieses Mittel der Privatwirtschaft nicht zu kennen.
Da werden Berliner Flughäfen jahrelang nicht fertiggebaut, aber Strafen für den Baugroßunternehmer, der seine Horde Polen und Portugiesen eben gleichzeitig auf einem Dutzend verschiedenen Baustellen einsetzt, gibt es keine. Warum sollte man auch von Unternehmen Priorität oder auch nur vernünftige Logistik erwarten, mit denen man gerade Verträge in zwei- oder dreistelliger Millionenhöhe abgeschlossen hat? Oder – zumindest halbwegs – so etwas wie Einhaltung von Kostenvoranschlägen? Absurde Idee.
Ach ja – der Autofahrer ist auch fein raus. Denn jetzt kann er von Stuttgart nach München fahren und muß dafür nur 80 Euro extra bezahlen. Dafür gibt es eine tolle Autobahn. Die mit Steuermitteln gebaut wurde. Denn ÖPP heißt nicht etwa, daß die Privatkonzerne die Baukosten tragen. Sie schießen diese nur vor. Gegen Zinsen, versteht sich. Sehr oft auch „variable Zinsen“. Das ist dasselbe Instrument, daß auch gewissen Hypothekenbesitzern in den USA den Hals gebrochen hat. Übersetzt bedeutet es normalerweise dasselbe wie bei irgendwelchen Bankgebühren.
Sind die offiziellen Zinsen niedrig, bringt Sparen überhaupt nichts. Sind sie hoch, bringt es auch nichts, aber Kredit- oder Dispozinsen steigen enorm an. Möglichst wenig rausrücken, maximal kassieren – so funktioniert Flexibilität bei Konzernen üblicherweise.
Es gibt noch einen Vorteil. Durch das geniale Bereicherungsinstrument der ÖPP werden überhaupt noch Autobahnen gebaut. Viel mehr als früher! Wenn das keine tolle Neuigkeit ist. Und so zukunftorientiert.
Manche Dinge ändern sich nie. Die Namen in Verkehrsnachrichten zum Beispiel.
Als Bewohner der Region Rhein-Main habe ich seit Anfang der 90er Jahre Verkehrsnachrichten im Ohr. Seltsamerweise ertönen dort heute noch dieselben Namen wie vor zwanzig Jahren. Schiersteiner Kreuz. Mainz-Mombach- Mainz-Gonsenheim. Nach jahrelangem Gezänk hatte man sich in den Mitt-Neunzigern endlich darangemacht, den Mainzer Ring sechsspurig auszubauen. Das dauerte dann so lange, daß man dabei die Schiersteiner Brücke, das Nadelöhr nach Wiesbaden, völlig vergessen hat. Diese Brücke befuhr ich 1992 das erste Mal und dachte mir damals schon: „Die ist aber in ganz schön miesen Zustand.“
Vor zwei Jahren mußte dieses marode Bauwerk dann komplett gesperrt werden, weil es unter der Last des Verkehrs endgültig zusammenzubrechen drohte. Allein dadurch und die notwendigen, hektischen Notfallmaßnahmen, entstanden Kosten, deren genaue Höhe ich nicht kenne, die sich aber sicherlich in den niedrigen zweistelligen Millionenbereich summieren werden, wenn mal einer die Abrechnung macht.
Statt schon vor zwanzig Jahren ein Konzept auszuarbeiten, wie man möglichst viele Autofahrer von der Straße weg bekommt und eventuell eine neue Brücke über den Rhein zu schlagen, die sowohl für Autos als auch Bahnverkehr ausgelegt ist, hat man erstmal dafür gesorgt, daß es mehr Fahrspuren gibt. Was natürlich an Zustand und Leistungsfähigkeit des Nadelöhr nichts ändert.
Im Ergebnis höre ich heute morgens in meinen Verkehrsnachrichten exakt dieselben Namen wie vor zwanzig Jahren auch. Der Erfolg von Dutzenden Millionen an Investitionen ist also, daß alles so ist wie vorher, nur auf mehr Spuren.
Einen besseren Beweis für das wohldurchdachte und geplante Vorgehen voller Effizienz, für das wir Deutschen so berühmt sind, ob jetzt im Rathaus, im Bundestag oder hinter dem Steuer, kann man gar nicht anführen.
Im Grunde ist dieser Zustand ein perfektes Spiegelbild für die Gesellschaft. Wir machen immer so weiter wie bisher, denn es hat ja schon dutzendfach nicht funktioniert. Irgendwann muß es ja mal klappen.
Schon hat die neue Wirtschaftsministerin, Frau Zypries, es klar abgelehnt, den Verbrennungsmotor in Deutschland mit einem festen Termin unter Druck zu setzen.
Mit der Begründung, das würde ja der deutschen Autoindustrie schaden. Nur für den Fall, daß noch immer jemand nicht verstanden hat, wer eigentlich das Land regiert.
Weiterhin verkündet Frau Zypries exakt das, was andere schon vor immer gebetsmühlenartig wiederholt haben. Das nämlich von der Autoindustrie in Deutschland eine Million Arbeitsplätze abhängen.
Ich muß in diesem Zusammenhang mal deutlich auf ein paar Dinge hinweisen. Niemand hat je gesagt, daß die deutschen Autobauer gar keine Autos mehr herstellen sollen. Es ging um eine konkrete Jahreszahl für das Ende des Verbrennungsmotors. Setzen, Frau Ministerin. Sechs. Thema verfehlt.
Der zweite Punkt ist, daß niemand jemals danach zu fragen scheint, wo denn diese eine Million Arbeitsplätze sein sollen. Am Band beim Daimler? Also da, wo die über Facharbeitermangel klagende Industrie eben diesem €32,40 die Stunde bezahlt, wenn man irgendwelchen Statistiken glauben darf?
Abgesehen von den Zeitarbeitern, den Auszubildenden oder den Werksvertraglern, natürlich. Die kriegen Mindestlohn. Aber von denen redt ja keiner. Nun, wer sich mal einen Eindruck davon verschaffen möchte, wie ein moderner Produktionsprozeß so aussieht, dem empfehle ich dieses Video.
Ich sehe da nicht besonders viele bedrohte Arbeitsplätze. Aber diese Schlagzeile brachte auch schon die Tagesschau vor ein paar Tagen.
„Wirtschaft befürchtet Arbeitsplatzverluste“, heißt es da. Und zwar durch den Bau von Elektro-Autos, denn darum geht es eigentlich thematisch in dem Moment. Das war noch ein paar Tage, bevor sich deutsche Autobauer total überraschend als Kartell herausgestellt haben.
Dabei ist es, wenn man sich die Sache näher anschaut, auch gar nicht die Wirtschaft, die da was befürchtet. Es ist das ifo-Institut in München, das eine Studie für die deutschen Autobauer durchgeführt hat. Dieses Institut wird übrigens zu einem Großteil aus öffentlichen Mitteln bezahlt. Und es ist dasselbe Institut, daß hysterisch weinend darauf hingewiesen hat, daß ein Mindestlohn von unfaßbaren 8,50 Euro die deutsche Wirtschaft ruinieren und – man errät es – Arbeitsplätze in Millionenhöhe kosten würde.
Was mich zu Frau Zypries zurückbringt.
Denn vor nicht so langer Zeit gab es ja in Deutschland gute sechs Millionen Arbeitslose. Bevor Gerhard Schröder, dieses Furunkel am Arsch des Sozialstaats, so getan hat, als gäbe es nur eine einzige Möglichkeit, die durch seine wirtschaftsfreundlichen Maßnahmen weggebrochenen deutschen Staatsfinanzen zu sanieren. Nämlich da zu sparen, wo die Leute keine Lobby haben und sich nicht wehren können. Im Gegensatz zur Autoindustrie.
Jedenfalls haben wir heute weniger Arbeitslose als, sagen wir mal, vor zehn Jahren. Was nichts mit Schröders Agenda zu tun hat oder jedenfalls nicht besonders viel. Selbst wenn wir die üblichen Tricksereien in der Statistik bedenken, ist die Zahl der Arbeitslosen oder „Minderbeschäftigten“ wie das heute so schön heißt, deutlich niedriger als vor einem Jahrzehnt. Wobei es da noch keine Minderbeschäftigten gab. Das wiederum ist eine Folge von Schröders Agenda.
Ich kann mich aber nicht daran erinnern, damals im Stadtpark von verhungernden Arbeitslosen überfallen worden zu sein. Auch Demonstrationen von fackeltragenden Zeitarbeitsopfern vor dem Bundeskanzleramt fanden nicht statt. Der Chef der Bundesagentur für Arbeitslosigkeitsverwaltung wurde nicht entführt und an einer Laterne aufgehängt. Es sind überhaupt erstaunlich viele apokalyptische Dinge nicht passiert damals.
Selbst wenn also die faktenleere Aussage von Frau Zypries oder dem unfähigen Propgandainstitut zur Verherrlichung neoliberaler Ökonomie in München wahr wäre und eine Million Arbeitsplätze weg wären – ginge davon tatsächlich das Land unter?
Ich meine, wir haben doch Facharbeitermangel, da müßte sich doch für diese hochqualifizierten Menschen recht problemlos ein neuer Tätigkeitsrahmen finden lassen?
Die sollen mal ein bißchen flexibel sein und in Frankreich Autos bauen oder in Spanien oder so. Immerhin hat Frankreich ja gerade Opel gekauft. In Europa kann man arbeiten, wo man will. Sagen die Politiker doch auch immer. Der Schröder arbeitet ja schon länger in Rußland.
Das wahre Interesse der Autoindustrie oder Industrie allgemein läßt sich kurz und knapp zusammenfassen: Profit. Kapitalismus, fuck yeah!
Schon vor einigen Jahren hatte VW angekündigt, die allseits berühmte „Produktivität“ jedes Jahr um 7 Prozent steigern zu wollen.
Wie kann man das eigentlich machen in einem Konzern?
Da wäre erstens die Möglichkeit, dieselbe Zahl Autos zu verkaufen und zu bauen, dafür aber weniger Leute zu benutzen. Wenn man aber jedes Jahr die Anzahl der Beschäftigten um 7 Prozent senkt, wird das mittelfristig schwierig.
Zweitens könnte man die Löhne und Gehälter jedes Jahr um 7 Prozent senken. Das hat mit Hilfe von Zeitarbeitsfirmen, Werksverträgen, Auslagerungen und anderem Mist funktioniert. Aber auch nur teilweise. Der restlichen Belegschaft jedes Jahr 7 Prozent der Bezüge zu kürzen wird ebenfalls mittelfristig schwierig.
Dann wäre da noch Tor 3. Man baut jedes Jahr 7 Prozent mehr Autos mit derselben Personalstärke bei gleichbleibenden Bezügen. Das ist ein Plan, der funktionieren kann. Ganz besonders, wenn man bedenkt, daß bei Konzernen wie Daimler oder BMW und anderen alle Fahrzeuge als „verkauft“ bezeichnet werden, die ausgeliefert sind. An die eigenen Vertragshändler beispielsweise. Das ist gängige Praxis, so weit ich das weiß. Außerdem paßt das natürlich zum Dogma des Ewigen Wachstums. Nur dieselbe Anzahl von Autos verkaufen wäre ja langweilig, das bedroht die Performance der Aktien und somit die Bezüge von Vorständen und anderer Parasiten. Diese Bezüge werden natürlich nicht gesenkt oder stagnieren. Sonst gehen diese international ausgebildeten Topmanager ja woanders hin.
Nach Kalifornien womöglich. Da muß VW nämlich gerade 800 Millionen Dollar berappen. Wegen des Dieselskandals. Dieses Geld fließt in den Ausbau des Ladenetzes für Elektroautos im bevölkerungsreichsten amerikanischen Bundesstaat.
Hier in Deutschland setzen sich die Ministerpräsidenten der Länder am Mittwoch – also morgen – zusammen an den Tisch, um „über die Zukunft der Autoindustrie zu beraten“, wie es heißt. Falls das jemand für eine Drohung hält: Die sitzen da nicht alleine. Alle großen Autobauer schicken Vertreter. Ich bin mir sicher, die werden schon ein paar Vorschläge haben für die Zukunft. Ich vermute, es wird um einen Besen und einen großen Teppich gehen, unter den man das alles kehren kann. Wie immer.
Das ist übrigens so, als würde man in einem Strafprozeß den Beschuldigten festlegen lassen, welche Beweise er denn vor Gericht zulassen möchte. Klingt übertrieben?
Dann merke ich an, daß so etwas in der Industriewelt immer unter „Geschäftsgeheimnis“ läuft.
Während die Persönlichkeitsrechte von Menschen, die einen Computer haben und das Internet benutzen, unserer und anderen Regierungen meilenweit am Arsch vorbeigehen, ist das bei den Persönlichkeitsrechten von Konzernen, die ja gar keine Personen sind, nie so.
Zusätzlich bestimmt der Beschuldigte hier auch darüber mit, ob überhaupt Anklage erhoben wird und natürlich hat er im Zweifelsfall das entscheidende Wort, was das Strafmaß betrifft. In den USA werden Milliarden an Strafzahlungen ausgehandelt. In Deutschland sagt der Vorstand einer Autofirma, die Kunden sollten sich mal gepflegt verpissen, Entschädigung komme nicht in Frage. Nur falls sich jemand fragen sollte, wer eigentlich das Land regiert.
Das in den USA Milliarden nur von ausländischen Konzernen eingefordert werden, steht noch auf einem anderen Blatt. Ich hatte schon mal erwähnt, daß es alle tun, wenn einer es tut. Diese Aussage war ebenso logisch wie prophetisch, denn exakt das hat sich ja inzwischen herausgestellt.
In Frankreich spielt die Atomindustrie dieselbe Rolle wie in Deutschland Autos. So sollten marode Reaktoren wie Fessenheim oder Cattenom erst abgeschaltet werden, wenn der entsprechende Ersatz in Flamanville (Normandie) fertiggestellt ist.
Aber es könnte sein, daß französische Kernreaktoren und deutsche Flughäfen ähnliche Erfüllungsdaten haben.
In den USA ist es die Rüstungsindustrie und fossile Industrie, die durch die „revolving door“, die Drehtür, lustig zwischen Politik und Wirtschaft hin und her wechselt. Ob es nun Dick Cheney ist oder Donald Trump.
In Belgien waren die inzwischen gefürchteten Kernmeiler in Thiange und Doel schon vor ihrer Inbetriebnahme verpfuschte Bauruinen mit massiven Qualitätsmängeln, wie sich inzwischen herausstellt. Wichtige Unterlagen darüber sind auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Ich vermute tollwütige Schredder im Büro.
Die Erdölindustrie wußte bereits ab Anfang der 70er, spätestens der 80er Jahre, daß die steigenden CO2-Emissionen massiv negative Auswirkungen auf das Klima haben würden.
Deshalb begann man, massive Kampagnen zu finanzieren, die heute noch wirksam sind und die nicht etwa dazu führten, daß die Welt sich planmäßig von fossilen Brennstoffen wegbewegt. Ziel war stattdessen, die Klimaforschung und die angekündigten Konsequenzen in Mißkredit zu bringen. Heute noch kusrieren überall in der entsprechenden Szene Aussagen wie „Die sind sich überhaupt nicht einig!“ oder „Da werden Daten gezielt manipuliert!“ oder „Das ist alles so komplex, das kann nicht vom Menschen beeinflußt werden.“
All diese Ablenkungs- und Vernebelungskampagnen orientierten sich an denselben Maßgaben wie in den 60er Jahren Kampagnen für das Rauchen. Man setzte dieselben Industrielobbyisten und Werbefachleute darauf an, die vorher schon behauptet hatten, der Zusammenhang ziwschen Rauchen und Lungenkrebs sei ja gar nicht erwiesen.
Heute ist die modernere Variante der Zusammenhang zwischen bestimmten Krebsarten und der Nähe zu Atomkraftwerken. Leukämie ist hier der Renner. Noch immer behauptet die Atomindustrie, da gebe es keine Zusammenhänge. Ebensowenig wie mit den massiv erhöhten Raten von Schilddrüsenkrebs in der Ukraine vermutlich. Strahlung ist gesund!
Auch die Energieindustrie wußte über den Klimawandel Bescheid, lange bevor er groß in der Öffentlichkeit auftauchte, wie sich jetzt herausstellt.
Der Zuckerindustrie ist es über Jahrzehnte hinweg gelungen, die Schuld an koronaren Herzkrankheiten, massivem Übergewicht und anderen Plagen der modernen Industriezeit ausschließlich den Fetten in der Nahrung zuzuschieben. Dabei hat sie dieselben Methoden benutzt wie die Tabak-, Kohle- oder Kernenergielobby auch.
Institutionalisierung ist wie Krebs. Ein unauflöslicher Filz aus Politik, Wirtschaft, Heuchelei und Volksverarschung, bezahlt aus Steuergeldern.
Alle diese Dinge sind Beispiele für die immer vorhandene Tendenz von Systemen, komplexer zu werden und dabei ein gewaltiges Beharrungsvermögen zu entwickeln. Ein Großteil aller Bemühungen fließt früher oder später nicht mehr in eine Weiterentwicklung des Systems oder seine Verbesserung, sondern nur noch in die Zielsetzung, möglichst alles beim alten zu lassen.
Gleichzeitig durchsetzen die Vertreter der Systeme immer mehr die Umgebung, vorwiegend in der Politik natürlich. Da diese die Gesetze macht, kommt es erst zu Gefälligkeiten, die in mehr oder weniger offene Korruption mutiert. Fröhlich wechseln Vertreter der Wirtschaft in Regierungen und umgekehrt – die USA sind hier Spitzenreiter – und am Ende schreiben Industrievertreter den Damen und Herren im Parlament schon mal die Gesetze, die irgendwas regulieren sollen
Das Bankunwesen zum Beispiel. Oder Abgasnormen. Darum sitzen dann auch Vertreter aller großen Autokonzerne mit am Tisch, wenn die Politik sich über Konsequenzen aus Dieselgate unterhalten möchte.
Wollen die natürlich nicht. Alle sitzen am Tisch, um festzulegen, wie sich die Öffentlichkeit am einfachsten verarschen läßt und was die Politik zu tun hat, um den Schaden für die Herren Industrievertreter möglichst gering zu halten. Und für die Politiker natürlich auch, die wie immer von nichts gewußt haben und nicht gemerkt. Das ist nämlich immer so in der Politik. Deswegen werden die ja auch so gut bezahlt. Damit in ihrem eigenen Verantwortungsbereich ständig Dinge passieren, die wieder keiner kontrolliert oder für die keiner verantwortlich ist, wenn es dann mal gefragt wäre.
In Dingen wie Tabak oder Klimawandel sind es auch Konzerne, die dann Wissenschaftlern Geld in die Hand drücken, damit die Studien veröffentlichen, die wenig Gehalt an handfesten Dingen haben, aber echt genug aussehen, um Zweifel zu streuen. Insgesamt wird dann jede Menge Müll produziert, denn es ist nicht die Qualität irgendwelcher Papers, die später zu einer Professur führt. Die Publikationsliste muß nur lang genug sein. Diese immer weiter ausartende Praxis in einem Bildungswesen, daß seine schlecht geschulten College-Studenten mit einem Haufen Schulden in eine Mindestlohn-Arbeitswelt entläßt, führt letztlich dazu, daß die Wissenschaften an sich massiv an Glaubwürdigkeit verlieren.
Am Ende stehen dann so schwachsinnige Dinge wie Gender-Hypothesen oder wieder einmal die neueste Entdeckung der Lebensmittelindustrie, daß Kaffee eigentlich nie schadet, sondern sehr gesund ist. Oder das Kohlehydrate eben doch nicht wissen, wie spät es ist. Oder daß man nur von rohem Fleisch leben sollte wie Steinzeitmenschen. Gerade die Ernährungstips des Tages sind immer ein prima Beispiel dafür, daß man mit mieser Statistik und windiger Datenbasis jeden Mist zusammenfabulieren kann.
Aktuell sind es „Superfoods“ wie Chiasamen oder anderes Körnerzeug.
Letztlich landen in dieser Entwicklungslinie alle in einem einzigen inzestuösen Haufen aufeinander: Politik, Wirtschaft und gekaufte Mietmäuler aller Fachgebiete. Allesamt darauf bedacht, ihre eigenen Pfründe zu schützen und die eigene Position nicht zu gefährden. Angetrieben durch die beiden größten Idiotenmaximen der Menschheit, nämlich
A. „Das haben wir schon immer so gemacht“ und
B. „Das haben wir noch nie so gemacht“
Plus jeder Menge Steuergelder oder Konzerngewinne, versteht sich.
Je verfilzter dass gesamte Gebilde wird, desto mehr erwürgt es seine Gastgesellschaft, desto teurer wird es und desto höher wird das Beharrungsvermögen des in Untätigkeit, Unfähigkeit und Unwilligkeit erstarrten Systems.
Das ist der Prozeß, den ich Institutionalisierung nenne. Dieser Prozeß findet auf allen Ebenen einer Gesellschaft statt, die lange genug besteht, um komplexe Systeme hervorzubringen.
Während eine Frau Merkel darauf beharrt, daß beispielsweise die Finanzsituation des europäischen Südens kein Wahlkampfthema sein sollte, konnte in den letzten Wochen in Italien eine weitere Lawine in der Bankenwelt nur knapp verhindert werden. Gute 26 Milliarden Euro lösen sich dabei wieder einmal in Luft auf. Steuergelder, versteht sich. Nach Monte die de Pasci sind auch die Banca Popolare di Vicenza und Veneto Banca beim Notarzt gelandet.
Kleinere Institute werden abgewickelt. Das heißt aber nichts anderes, als daß diese an eine andere, größere Bank verkauft werden. Womit diese noch größer wird. Irgenwann ist dann die Grenze für „too big to fail“ erreicht.
Frau Merkel besteht auch darauf, daß die Flüchtlings“krise“ kein Wahlkampfthema sein soll. Der Sparringspartner von der ehemaligen SPD, Herr Schulz, versucht hingegen, eben dieses Problem zu thematisieren. Durchaus zu Recht, wie ich finde.
Der deutsche Wähler und auch der deutsche Großspender möchte ebenso wie die Kanzlerin, daß alles so bleibt, wie es ist. Deshalb erhalten CDU und FDP derzeit besonders viele Großspenden.
Das sind alle finanziellen Zuwendungen, die oberhalb von 50.000 Euro liegen. Auch wieder so ein Gesetz. Wenn irgendwer der CxU zehnmal 49.999 Euro spendet, muß sie das nicht an die Öffentlichkeit weitergeben. Soweit dann zur Korruption.
Damit Deutschland auch nach dem 24. September kräftig weitermerkeln kann. Hauptsache, keiner versucht irgendetwas anders zu machen in diesem Land. Womöglich funktioniert davon sonst noch was.
Was für ein schöneres Bild könnte es geben als die Fahrzeugflotte der Landes- und Bundespolitik, wenn sie am morgigen Mittwoch zu ihrem Treffen mit den Bonzen der Fahrzeugindustrie fährt. Und mit einem Verkehrsminister, der ernsthaft von sich behauptet, er sei „für Kumpanei nicht zu haben“. Gleichzeitig lehnt das Dobrindt aber ebenso wie Frau Zypries ab, mal ein konkretes Verfallsdatum für Verbrennungsmotoren festzulegen. Wobei das ja sogar völlig witzlos wäre. Denn in Großbritannien und Frankreich liegt dieses bei 2040. Bis dahin ist die Legislaturperiode vorbei und der Ressourcenmangel hat längst dazu geführt, daß Pferdezüchter wieder gute Geschäfte machen werden, vermute ich.
Statt längst dazu übergegangen zu sein, elektrische Fahrzeuge auf die Straße zu bringen, scheut die Industrie hierfür nötige Investitionen wie der Teufel das Weihwasser. Dabei ist es doch das ureigenste Interesse eines Fahrzeugbauers, eben diese zu verkaufen, sollte man meinen. Womit die Dinger angetrieben werden, kann einem Konzern wie VW oder BMW eigentlich egal sein.
Würde man den Zauberstab schwenken und alle Verbrennungsmotoren plötzlich in elektrische Kollegen verwandeln, wäre das schlecht für die Mineralölindustrie und für Tankstellenpächter. Aber die verkaufen ja auch längst mehr als nur Benzin. In modernen Tankstellen findet man die Kasse meistens erst nach Durchqueren der Abteilung für Bekleidung, am Restaurant vorbei und rechts hinter dem Hundefriseur.
Erst wenn man Benzin – oder Diesel – wieder in der Apotheke kaufen muß, wird sich die Einstellung Deutschlands zum Auto und die Einstellung der Politik zur Autoindustrie ändern.
Vorher wird das Bestreben des Systems, keine Veränderungen zuzulassen, nicht verschwinden. Aber dann wird es so oder so zu spät sein. Systeme, die sich nicht anpassen, sterben. Immer. Dieses Prinzip der Evolution gilt für biologische Systeme ebenso wie für Konzernlandschaften.
Die Energiewirtschaft hat zwei Jahrzehnte lang die Zeichen der Zeit nicht sehen wollen. Im Ergebnis können die großen Mitglieder des deutschen Oligopols, also Eon, EnBW, Vattenfall und RWE, heute nur noch bei ihrer eigenen Abwicklung zusehen.
Die Rechnung für ihr vorläufiges Überleben zahlt natürlich wieder die Gesamtgesellschaft. Erst neulich haben die vier Konzerne 24 Milliarden Euro an den Bund überwiesen, zur Entsorgung der Kernkraft und ihrer Folgen.
Allein die Tatsache, daß sich die Energieriesen nach Jahrzehnten der Milliardengewinne fröhlich pfeifend mit so einer Summe aus der Affäre ziehen, zeigt klar und deutlich, daß die Kosten für das Abenteuer Kernspaltung wesentlich höher sein werden. Der Deutsche meckert derweil über den teuren „Ökostrom“ und wünscht sich die alten Zeiten zurück, als alles noch so schön billig war.
Das gerade die großen Energieverbraucher im EE-Gesetz von den Kosten befreit werden, dank eines wohlwollenden Wirtschaftsministeriums, daß also die steigenden Kosten einmal der anderen Art der Energiegewinnung und zum anderen einer verkorksten Politik geschuldet sind – das ist dem Durchschnittsmichel bereits wieder zu hoch. Nein, die Stromrechnung ist der Beweis dafür, daß früher™ alles besser war.
Ebenso wie das Zeitalter von Großflughäfen, der kommerziellen Luftfahrt, riesigen Häfen für gigantische Containerfrachter wird auch das Zeitalter der sogenannten „individuellen Mobilität“ eines der offensichtlichen und recht frühen Opfer der Langen Dämmerung werden.
Und eben weil es so offensichtlich ist, werden alle daran Beteiligten so lange wie möglich versuchen, den Eindruck aufrechtzuerhalten, daß alles so ist wie immer und auch so bleiben wird.
Bis dahin werden die mobilen Individuen weiter im Stau stehen und in ihr Smartphone brüllen, daß sie heute mal wieder nicht rechtzeitig zum Abendessen zu Hause sind, weil so viele andere Idioten auf der Straße rumfahren.
Und ich werde weiter auf dem Fahrrad an ihnen vorbeifahren. Gute Reise!