Die Schlange bewegt sich

„Tomorrow belongs to those who can hear it coming.“

David Bowie

Bereits am Anfang des letzten Jahres wollte ich es als gebraucht zurückgeben. Denn kaum veröffentliche David Bowie doch noch eine neue Scheibe, worüber ich ebenso erstaunt wie überrascht und erfreut war, starb der große Mann der Musik nur zwei Tage später. Er fehlt mir noch immer.
Italien verlor Umberto Eco, den großen Literaten, dessen verfilmtes Werk „Der Name der Rose“ auch dank eines urgenialen Sean Connery zu einem meiner liebsten Filme zählt. Keine größere Szene als die, in der der leicht angesengte und intellektuell überaus streitbare Mönch William von Baskerville am Fuße des brennenden Bibliothekturms die unter seiner Kutte verborgenen Bücher fallen läßt, die er so gerade noch retten konnte.
Auch Bud Spencer ist tot, ein Mann mit wirklich bewegter Vergangenheit, dessen Filme ich immer mochte, weil man genau wußte, daß auch nach der wüstesten Prügelei alle wieder aufstehen. Außerdem ist nicht alle fünf Sekunden ein Häuserblock explodiert.
Der Mann, der Goethe die Frage hätte beantworten können, was „die Welt im Innersten zusammenhält“ ist ebenfalls tot. Denn zweifellos halten Artur Fischers Dübel heute einen guten Teil der Welt zusammen, in der wir leben.
Die Latzhose meiner Kindheit ist tot. Peter Lustig, der Mann aus dem Bauwagen, der Erklärbär aus dem Fernsehen, gehört zu den Verlusten des Jahres, die mir mein eigenes Alter deutlich vor Augen geführt haben.
Severus Snape ist tot, nicht nur im Film, sondern auch real. Was ich selbst als jemand mitbekommen habe, der die verdammten Harry-Potter-Romane noch immer nicht gelesen hat. Wobei mir erst im Nachhinein auffiel, in wie vielen Filmen mir Alan Rickman eigentlich schon begegnet war.
Deutschlands größter Außenminister, der Pullunder des Grauens, the Genschman himself, wurde für immer abberufen im vergangenen Jahr. Eine weitere Stimme altersweiser Politik, die nicht mehr gehört werden kann. Gerade jetzt, wo man sie so dringend braucht.

Von Prince und Muhammad Ali rede ich mal gar nicht, beides schwere Schläge für die Musikszene und auch für die Schwarzen in den USA, zweifellos. Der Professor des Boxens, schon lange schwer gezeichnet, war eine Ikone der Bürgerrechtler. Eigentlich war er wohl deren letzte Ikone. Übrig bleibt nur hysterisches Kreischen.
Götz George, viel unterschätzter Schauspieler und Bühnenmann im Schatten seines Vaters, hat uns verlassen, der ewige Kommissar hat seine Marke für immer abgegeben.
In Großbritannien ist mit der Ermordung von Joe Cox im Vorfeld des Brexit der erste politische Mord seit Menschengedenken zu verzeichnen auf der Insel. Gene Wilders Tod war leider auch kein Witz, sondern die Wahrheit.
In Thailand starb König Bhumipol, der Mann, der von seinem Thron aus dieses Land in Südostasien siebzig Jahre lang zusammengehalten hat. Die Zukunft ist ungewiß für diese Nation. Sie ist damit nicht allein auf diesem Planeten.

Immer noch tot, obwohl wir ihn dringend bräuchten: David Bowie. Heute vor einem Jahr brachte der große Mann der Musik sein letztes Album heraus. Zwei Tage später hat er die Bühne für immer verlassen. Das letzte Jahr fühlte sich irgendwie komisch an für viele Menschen.
Coverphotographie von „Heroes“, 1977

Sharon Jones wird ihren wütenden, donnernden Soul nicht mehr in die aufgekratzte Menge ballern können, wie es die 60jährige drauf hatte wie kaum eine andere. Schon wieder weniger Musik auf einer Welt, die dringend mehr davon braucht.
Mit Fidel Castro starb eine der wohl umstrittensten, aber zweifellos auch einflußreichsten politischen Figuren des 20. Jahrhunderts. Das Erbe des Máximo Lider wird jetzt von den USA kolonisiert werden. Einer der letzten großen Gestalten des Kalten Krieges hat die Bühne verlassen.
Leonard Cohen, der düstere Barde der Musik, ist ebenfalls nicht mehr im Studio des Lebens anzutreffen, er starb mit immerhin 82 Jahren. Im Gegensatz dazu starb der Pop-Kollege George Michael mit nur 53 deutlich zu jung. Viele haben ihm immer vorgeworfen, ein typischer Föhnfrisur-Popmusiker der 80er Jahre gewesen zu sein. Was daran schlimmer sein soll, als ein typischer Elektro-TransDanceTripHopTechno-Knöpfchendreher der 90er zu sein, erschließt sich mir nicht so ganz. Ich habe zwei Platten von dem Mann, der sich ein halbes Leben damit rumquälte, schwul zu sein und nicht dazu stehen zu können: Faith und Listen without prejudice. Beide Scheiben sind durchaus geil, und mehr muß ich darüber nicht wissen.

Dazu ist auch noch der Chor der Roten Armee mit dem Flugzeug abgestürzt, 98 Menschen kamen über dem Schwarzen Meer ums Leben am ersten Weihnachtstag. Nein, das Jahr 2016, dieses seltsame, surreale Jahr, hat es mit der Musikwelt nicht wirklich gut gemeint. Oft hatte ich das Gefühl, das TOD seinen Job an unterbezahlte Dauerpraktikanten mit Barcelona- Bachelor abgegeben hat.

Im chinesischen Kalender war 2016 auch das Jahr der Schlange. *
Unmittelbar kommt mir das Bild der nordischen Mythologie in den Sinn. Jörmungandr, die Weltschlange. Einer der drei Weltfeinde, gezeugt vom Urbösen und doch ein Feind, den man nicht bekämpfen oder gar besiegen kann. Denn die unbezwingbare Bestie, die die Erdscheibe umschlingt, hält sie damit gleichzeitig auch zusammen. Wenn man sie besiegte, wie es Thor tatsächlich mehrfach in irgendwelchen Geschichten versucht, würde man damit die Welt, die man zu retten sucht, der Vernichtung preisgeben.
Das Symbol der Schlange Ouroboros ist wesentlich älter als die nordischen Sagen über die Midgardschlange. Übersetzt bedeutet es soviel wie „Selbstfresser“, denn die Schlange beißt sich in den Schwanz und bildet so einen geschlossenen Kreis. Dieser hält nicht nur die Welt zusammen, er ist die Welt, wenn man so will.
Alles Vergangene wirkt sich auf alles Zukünftige aus, so deutet Nietzsche das Symbol. Ein Kreislaufgedanke der Welt, schon seit Jahrtausenden in ein Symbol gegossen. Was deutlich zeigt, daß unsere Vorfahren vor einhundertfünfzig Generationen oder mehr sich sehr wohl einiger Dinge bewußt waren, die wir heute in unserer Gesellschaft nach Kräften zu ignorieren versuchen.

Ich kann mich an eine Geschichte erinnern, in der Thor Aufgaben erfüllen muß, die ihm von Loki gestellt werden. Der alte Schurke will damit die Göttlichkeit Thors in Frage stellen. Ein bißchen wie Herkules bei den Griechen.
Als Probe seiner Kraft muß Thor mit einer alten Frau ringen, Elli ist ihr Name, was der Gott lächerlich findet. Doch am Ende bezwingt sie ihn, allerdings bekommt sie nur ein Knie von Thor auf den Boden. Auch das anschließende Hochheben einer Katze gelingt dem stärksten aller Götter zu seiner Enttäusschung nicht. Selbst am Leeren eines Trinkhorn scheitert der ansonsten äußerst trinkfeste Gott, für jemanden wie Thor ein ziemlicher Hammer.
Erst als die Show vorbei ist, klärt Loki seinen verhassten Gegenspieler auf. Die alte Elli ist niemand anderes als Das Alter an sich und niemand besiegt das Alter. Das Horn, aus dem Thor zu trinken glaubte, war mit dem Weltozean verbunden. Und die Katze war in Wahrheit die Midgardschlange – und natürlich weiß auch Loki, was passieren würde, wenn die Midgardschlange ihren eigenen Schwanz losläßt.
Auch hier erkenne ich eine interessante Parallele. Denn wenn Jörmungandr das tut, läutet er damit Ragnarök ein, den letzten Kampf. Dieses Ereignis wird gerne als Ende der Welt mißverstanden in unserer heutigen Hollywood-Kinokultur. Aber das ist Unsinn. Ragnarök ist in der nordischen Mythologie das Ende der Götter, nicht das Ende der menschlichen Welt.

Die Schlange, die die Welt zusammenhält, wird auch ihr Ende bedeuten. Und sie bewegt sich bereits.

Im letzten Jahr hat die Midgardschlange möglicherweise damit begonnen, ihren Schwanz loszulassen. Nichts an den Ereignissen, die die bestehende Ordnung als Fassade enttarnt haben – der Brexit oder Donald Trump – geschieht in einem luftleeren Raum. Sie alle haben ihre Wurzeln in der Vergangenheit. Ein erstes Zittern der Schlange nach langer Ruhezeit hat das Vertrauen in die Stabilität der Welt bereits bei vielen Menschen erschüttert. Menschen, die sich absolut sicher waren, die Struktur unserer Gesellschaft zu verstehen, stehen in diesem Jahr mit offenem Mund in der Gegend rum und kommen aus dem Staunen oder auch dem Entsetzen über die letzten zwölf Monate nicht mehr heraus. In Amerika haben die Geheimdienste inzwischen herausgefunden, daß die Russen an allem Schuld sind. Ich wußte gar nicht, daß Putin schon vor 240 Jahren die Gründerväter gehackt hat, damit die ein so dummes Wahlssystem in die Verfassung schreiben.
Ich selber bin eigentlich nur darüber erstaunt, wie weit die Selbsttäuschung in vielen Fällen offensichtlich fortgeschritten war, wie tief die Ignoranz von Menschen reichen kann, die sehr wohl intelligent sind und auch sehr wohl gebildet. Niemand von denen, die jetzt noch immer rumweinen oder geradezu empört sind über einige Dinge, gehört zu den legendären „bildungsfernen Schichten“ einer Ursula von der Leyen.

Als Thor in der Legende von Loki erfährt, daß er verarscht worden ist, fährt er übrigens mit Wut im Götterbauch aufs Meer hinaus, wirft einen Ochsenkopf als Köder in den Ozean und versucht, die Weltschlange zu angeln. Die beißt auch tatsächlich an, der allgewaltige Gott stemmt sich dem Monster entgegen, Beine auf dem Boden des Ozeans, und es gelingt ihm, die Bestie an die Oberfläche zu ziehen. Just in dem Moment, als er sie mit dem berühmten Hammer erschlagen will, kappt der Begleitriese Hymir allerdings Thors Angelschnur, denn dieses Verfahren würde eindeutig gegen die Tierschutzbestimmungen verstoßen. Mal abgesehen vom Ende der Götterwelt, das sich daraus ergäbe, natürlich. In der Version, die ich kenne – aus einem Buch mit Mythen und Sagen für Jugendliche – wird Hymir von Thor dafür getötet. Moral von der Geschicht: Wenn man den ignoranten Göttern in ihrer Selbstüberschätzung ständig dabei hilft, sich nicht selber wegzupusten, kriegt man zum Dank auch noch auf die Fresse.

Hält die Welt zusammen, zumindest für eine Weile: Der Wurm Ouroboros, hier in einer offensichtlich chinesischen Drachenvariante. In der nordischen Mythologie eher bekannt als Weltenschlange oder Jörmungandr. Im letzten Jahr haben viele Menschen erstmals realisiert, daß sich das verdammte Vieh im Traum unruhig bewegt. Dann haben sie es schnell wieder verdrängt.

Auch das war ein Charakteristikum des letzten Jahres. Um es mit einem anderen Sänger zu sagen, der glücklicherweise noch nicht das Zeitliche gesegnet hat, nämlich Bruce Springsteen: „Everything that dies someday comes back“.
Ich hatte irgendwo schon einmal angedeutet, daß die Lange Dämmerung sich eben nicht in riesigen Apokalypsen abspielen wird. Kein Ende der menschlichen Welt in Feuer und Rauch, während fünftausend Kilometer durchmessende Raumschiffe auf dem Atlantik landen. Das Ende der industriellen Zivilisation wird mehr so ein besoffenes Stolpern auf der vereisten Treppe sein.
Zu den Symptomen der Langen Dämmerung gehört eben auch der zunehmende Zerfall der politischen Landschaft einer Gesellschaft. Der wiederum ist aber nur ein Symptom für den strukturellen Zerfall der Gesellschaft an sich.
All diese Dinge waren im vergangenen Jahr endlich einmal deutlich zu erkennen. „Endlich“ im Sinne von Kassandra, die, sonst eher mit Unglauben belächelt, sich endlich einmal gemütlich zurücklehnen konnte, genüßlich einen Kaffee oder ein anderes zivilisiertes Heißgetränk der persönlichen Wahl schlürfend, um den arroganten und verächtlichen Wohlstandsmenschen in der Welt dort draußen beim panikartigen Herumlaufen zuzuschauen, während von der stuckverzierten Fassade unserer schönen Scheinwelt tonnenschwere Brocken abbrechen und splitternd auf dem Asphalt der Wirklichkeit aufschlagen.
Für einen Propheten vom Dienst ein überaus wohltuender Anblick. Man kann dazu ein wenig Musik von David Bowie abspielen. „Changes“ zum Beispiel. Das sorgt für die richtige Atmosphäre.

Zwanzigsechzehn war das Jahr, in dem sich die Symptomatik der Langen Dämmerung in so vielen Aspekten gezeigt hat, daß sehr viele Menschen dieses letzte Jahr als seltsam hassenswert betrachteten. Ein irgendwie widerliches, grottiges Jahr, das man schnellstens vergißt und das kein persönliches Fotoalbum bekommt. Ich habe noch nie in meinem Leben zum Jahresende Artikel erscheinen sehen, die den Leser davon zu überzeugen versuchten, daß das gerade ablaufende Jahr eben kein besonders schlechtes Jahr gewesen sein soll. Vor zwei Wochen gab es diverse dieser Artikel.
Zwanzigsechzehn war für mich das Jahr, in dem offenbar sehr viele Menschen ihr bisher diffuses Gefühl, daß mit unserer Welt, unserer ganzen Art zu leben etwas sehr Grundlegendes nicht stimmt, gegen die nächste Phase dieser Entwicklung getauscht haben: Aus Enttäuschung und Unsicherheit resultiert jetzt Wut.
Es ist eine ungerichtete Wut, sie ist ebenso diffus wie dieses Gefühl, daß irgendwas hier nicht richtig zu laufen scheint. Das macht diese Wut sehr gefährlich, denn es gibt immer jemanden, der versuchen wird, solche Gefühle in eine Richtung zu lenken, das ganze Geschehen für sich auszunutzen, die Wut zu kanalisieren und zu mißbrauchen für seine eigenen Zwecke.

Diese Dinge finden ihren Ausdruck in einem Brexit. Einem Land Spanien, das zwar neu wählt, sich aber erst ohne Regierung durchschleppt und danach mit einer neuen, die so ist wie die alte.
Es findet Ausdruck im Zulauf zu diversen Parteien, deren gemeinsames Merkmal es ist, anderen die Schuld zu geben. Wofür genau, ist immer so eine Sache. Aber es muß jemand schuld sein. Der Islam. Die Muslime. Hillary Clinton. Obama. Merkel. Die Weltverschwörungselite aus Echsenmenschen.
Nur die Wahlklientel der jeweiligen Parteien, ob jetzt Trumpisten, die AfD oder der Front National – die sind natürlich nicht schuld. Diese Menschen sind alle betrogen worden. Immer.
Was für mich die Frage aufwirft, wie schlau man sein kann, wenn man jahrzehntelang immer wieder dieselben Deppen wählt, die dann exakt gegen die eigenen Interessen Politik betreiben. Und hinterher ist man dann darüber empört oder enttäuscht oder wütend. Oder sogar überrascht. Alles Lügenpresse außer Mutti. Oder so ähnlich. Wie heißt es so schön: „Fool me once, shame on you. Fool me twice, shame on me.

Die Wahrheit ist Mensch oft einfach zu kompliziert.
Zwanzigsechzehn war das Jahr, in dem die psychologischen Folgen der Langen Dämmerung erstmalig auf breiter Front sichtbar geworden sind. Denn eine Gesellschaft besteht aus Menschen. Ob das eine Nation ist, ein Verbund aus Nationen oder die planetarische Gesellschaft. Menschen wiederum haben eine Psychologie, die wiederum auf bestimmte Dinge reagiert. Einzelne Menschen reagieren individuell und somit nicht exakt vorhersehbar. Massen von Menschen reagieren anders, weniger flexibel, berechenbarer.
Da unsere technologische Zivilisation aus Menschenmassen besteht und diese wiederum aus individuellen Menschen, muß ihr fortschreitender Verfall psychologische Folgen haben, also eine Symptomatik hervorrufen.
Oder besser, psychohistorische Folgen. Psychohistorik, diese nicht völlig fiktive Wissenschaft, beschäftigt sich immer mit großen Gruppen von menschlichen Lebewesen. Ich hatte das in einem meiner ersten Posts einmal erwähnt, ebenso den geistigen Vater oder zumindest Mit-Zeuger dieser literarischen Idee, den Statistiker Michael F. Flynn.
Die globale Gesellschaft beginnt tatsächlich bereits seit längerer Zeit, auf die sich verändernden Umstände zu reagieren. Bisher sind diese Veränderungen aber eher im Bereich der unbewußten Wahrnehmung geblieben. Mensch hat Ereignisse nur in andere Narrative gezwängt, die nichts mit den eigentlichen Ursachen zu tun haben, um sich nicht mit den eigentlichen Zusammenhängen beschäftigen zu müssen. Denn im ersten Moment erscheint Chaos immer als ein beherrschendes Element der Szenerie, das ist den meisten Menschen einfach zu komplex.

Ein Beispiel: Im Jahre 2008 stieg der Ölpreis auf 147 Dollar. Das war der Höhepunkt eines bis dahin schon länger anhaltenden Preisanstiegs diese so wichtigen Ressource.
Das war der Grund dafür, daß die Immobilienpreise in den USA zu sinken begannen, und zwar bereits deutlich vor dem Spitzenpreis für Erdöl. Denn die USA sind eine Landschaft aus Vorstädten, die ohne Auto so nützlich sind wie ein unzerbrechliches Hühnerei. Keine Nation der Welt ist so abängig vom Autofahren wie die USA.
Wenn aber das ständige Fahren immer teurer wird, fällt das Interesse von Menschen, in das Wunderland Suburbia zu ziehen. Und damit beginnen Immobilienpreise zu fallen, die vorher in der Vorstellungswelt von Bankern, Börsendealern und Hedgefonds-Haien immer nur steigen konnten.
Das Ergebnis ist das, was allgemein unter „Finanzkrise“ in den Medien läuft.
Mit der Finanzkrise brach natürlich der Ölpreis dann urplötzlich zusammen.
Das nennt man demand destruction, also Zerstörung der Nachfrage.
In den Jahren 2009 und 2010 steig dieser Preis aber wieder an, auf sechzig, siebzig Dollar und weiter. Währenddessen kam das in Schwung, was in den Medien dann als „fracking boom“ verkauft wurde. Das hinderte aber den Ölpreis nicht daran, im Jahre 2011 erstmals über 100 Dollar im Jahresschnitt zu steigen.
Das war auch das Jahr, in dem in einigen nordafrikanischen Ländern Menschen auf die Straße gingen und von ihrer Regierung verlangten, sie solle was gegen die viel zu hohen Lebensmittelpreise unternehmen. Wir haben das medial umgedeutet in den „Arabischen Frühling“. Dabei ging es gar nicht um Demokratie und Menschenrechte. Es ging um elementare Dinge. Es ging um Hunger und um Nahrung.
Wenn man plötzlich da steht und mehr als vierzig Prozent seines ohnehin mageren Einkommens nur für Essen ausgeben muß, und wenn dabei natürlich die eigenen Löhne bei weitem nicht so steigen, wie sie das müßten, dann hat man irgendwann keine Wahl mehr, als auf die Straße zu gehen und irgendwas anzuzünden. Notfalls den nächsten Supermarkt. Oder die eigene Regierung.

Während in Nordafrika also eine Hungerrevolution startete, gab es das Phänomen in anderer Ausprägung aber überall. Die Amerikaner begannen, weniger Meilen zu fahren und weniger Autos zu kaufen. In diesem Land ein erschütterndes Zeichen, denn fünfzig Jahre lang hatte der Durchschnittsamerikaner natürlich jedes Jahr mehr Meilen zurückgelegt. Ewiges Wachstum halt.
In Europa ging der Massenkonsum deutlich zurück, ebenso wie in den USA auch. Denn letztlich basiert so ziemlich alles in unserer Supermarktkultur auf fossilen Brennstoffen. Sind die zu teuer, wird alles teuer. Was die Leute zum Sparen zwingt, wo und wie genau auch immer. Was Konzerne dazu bringt, weniger von allem zu produzieren, denn keiner kauft es mehr. Was wiederum bedeutet, daß alle weniger von allem verkaufen. Zerstörung der Nachfrage.
Während die Ökonomen auf den hohen Ölpreis zeigten und den witzigerweise als Beleg dafür anführten, daß eine Sache wie Peak Oil natürlich nur Spinnerei ist, kam kaum jemand auf die Idee, daß die Ölpreise zwar irgendwie hoch waren, aber eben auch stabil hoch.
Das wiederum war eine Folge des Frackings in den USA. Denn ohne dieses ganze Zeug wäre längst klar geworden, daß die konventionelle Ölförderung sinkt. Wir fördern heute nicht mehr Öl als vor zehn Jahren. Wir fördern weniger. Verkauft wurde das als „Fracking Boom“, wie gesagt. Als hätte man mehr Suppe im Topf, wenn man an den Löffel einen langen Stiel bindet und alles vom Boden kratzt, was so da ist. Ökonomen und ihre Sicht der Welt sind manchmal sehr erheiternd.

Wenn aber alle Leute beginnen, weniger zu konsumieren, sinkt die Nachfrage nach Öl. Gleichzeitig wird immer hektischer gefördert. Denn schon Anfang 2014 hatten die meisten Firmen in der Ölbranche mit massiv zu hohen Kosten zu kämpfen. Anders gesagt: die meisten dieser Firmen haben auch bei Ölpreisen von 115 Dollar keine Gewinne gemacht. Sie haben mehr Kredite aufgenommen. Einer Nullzinspolitik der Zentralbanken weltweit sei Dank, denn nur so war es möglich, überhaupt weiter unkonventionelles Öl zu fracken oder zu teersanden.
Aber um die Kredite zu bezahlen, muß man eben auch fördern wie blöd. Das führt dann dazu, daß sich das Öl irgendwann anzusammeln beginnt. Was zu sinkenden Preisen führt. Und damit sind wir im Sommer 2014.
Seitdem haben die Ölpreise deutlich nachgegeben, die von mir vorhergesagte Pleitewelle brennt sich derzeit noch immer durch die Fracking-Branche in den USA. Ökonomen deuteten das als klares Zeichen dafür, daß so etwas wie Peak Oil ja nur Spinnerei sein kann. Denn wenn wir zu wenig von Etwas haben, könnte ja der Preis nicht sinken. So sagt es die ökonomische Theorie. Signale über den Preis und solche Dinge. Wir haben also viel zu viel Öl.
Das wir immer noch nicht mehr Öl haben als am Anfang der Geschichte, weil wir es ja hektisch aus dem Boden gefrackt haben, findet in der Ökonomie keine Beachtung. Je mehr Löffel hektisch über den Topfboden kratzen, desto mehr ist im Topf, so sagen die Standardökonomen.

Noch verschwenden wir unsere Kraft darauf, das größere Bild nicht erkennen zu wollen. Noch immer geben wir simplen Narrativen den Vorzug vor echter Erkenntnis. Auf diesem Boden wächst das sogenannte „Postfaktische“.

Was als nächstes passieren wird, ist mir völlig klar. Irgendwann wird der Bedarf nach dem schwarzen Saft wieder ansteigen. Zwangsläufig. Entweder durch reines Bevölkerungswachstum oder durch andere Dinge. Saudi-Arabien könnte politisch in Katastrophen versinken. Denn der niedrige Ölpreis ist für die Wirtschaft solcher Staaten Gift.
Egal wie genau, bald wird die Welt da stehen und wieder mehr Öl haben wollen. Um dann erstaunt festzustellen, daß es nicht da ist. Denn dazu hätte man eventuell weitere und sehr teure Quellen erschließen müssen. Das hat aber niemand getan, denn niemand investiert in etwas, bei dem er in absehbarer Zeit keinerlei Gewinne zu erwarten hat. Wenn aber Firmen nicht investieren, wird irgendwann zu wenig Öl am Markt sein. Was im Laufe der letzten zwei Jahre erfolgt ist und auch immer noch erfolgt, ist supply destruction.
Also die Zerstörung des Angebots. Das haben die meisten Standardökonomen nicht auf der Anzeige, habe ich den Eindruck. Es ist unserer aktuellen Wirtschafts-Voodoo-Welt nicht vorgesehen, daß ein Marktgeschehen weder von Nachfrage noch Angebot bestimmt wird, sondern von physikalischen Naturgesetzen. Was schon immer der Fall war, aber mit dieser Art Ignoranz sind dann die Standardökonomen auch nicht mehr alleine.

Das ist das Bühnenbild vor dem auch die seltsam anmutende Show des letzten Jahres abgelaufen ist. Wir alle sind Mitglieder einer Zivilisation, die verzweifelt versucht, ihr bisheriges Energieniveau zu halten. Was ihr aber nicht gelingen kann und deshalb nicht wird. So lautet die einfache Zusammenfassung der Fakten.
Und dabei habe ich hier nur die energetische Seite des Bühnenbildes beschrieben. Die Wirklichkeit, also die ganze Wahrheit™, ist natürlich noch komplexer.
Und genau das mögen Menschen nicht. Statt sich über komplexe Dinge den Kopf zu zerbrechen oder auch nur anzuerkennen, daß Dinge eben komplex sind, wird weiterhin nach einfachen Lösungen gesucht. Auch wissenschaftlich gebildete Menschen bleiben davon nicht verschont. Die ganzen Peak-Oil-Typen, die immer nur gesagt haben „der Preis wird endlos weiter steigen und dann ist Apokalypse“ haben eben die finanziellen und marktwirtschaftlichen Aspekte völlig außer acht gelassen. Reduktionismus ist eben nur begrenzt nützlich, um den Elefanten im Wohnzimmer zu finden.

Das politische Ergebnis ist dann sowas wie Donald Trump. Der erste Präsident, der das Imperium über Twitter regieren wird. Weltmacht auf 140 Zeichen.
Gewählt von denen, die die Schnauze voll hatten davon, einfach von der großen und alles verbessernden Walze der globalisierten Wirtschaft nicht nur nicht beachtet, sondern auch offen mißachtet zu werden.
Die ganze Arroganz des progressiven, urbanen Multi-Kulti-Lebensstils, der sich inzwischen zu einer maoistischen Diskriminierungskampagne gegen völlig durchschnittliche Menschen entwickelt hat, ist hier im letzten Jahr schön sichtbar geworden. Es bringt uns nicht weiter, ganze Lebensstile und Überzeugungen als irrelevant abzukanzeln und dafür nichts anzubieten als leere Versprechungen einer tollen neuen Welt, in der alle gerne Veganer sind. Und wehe, sie sind es nicht!
Wie immer schwingt das Pendel einer gesellschaftlichen Entwicklung nicht nur in eine Richtung, sondern immer auch zurück. Zwanzigsechzehn war das Jahr des Zurück.
Irgendwer muß Schuld sein. Also bestimmt dieser linksgrüne vegane Multi-Kulti-Scheiß. Wenn wir das nur alles zurückdrehen und Schwule wieder in den Knast müssen, dann wird sich die Welt wieder in das Paradies zurückverwandeln, das sie nie war.

Auch im Jahr 2017 wieder dabei: Täuschung durch einfache Slogans. Das „Postfaktische“, also das Benutzen von Lügen für das Erreichen irgendwelcher Ziele, wird uns auch in diesem Jahr sicherlich erhalten bleiben. Es ist einfacher, nicht drauf reinzufallen, wenn man genauer hinsieht. Verbreitet der freundliche Herr mit den glänzenden Helm wirklich Hoffnung?

Ein ausgebildeter Psychologe würde diese Symptomatik bei einer Einzelperson vermutlich mit Fachwörtern benennen können. Aber wie nennt man das bei einer ganzen Gesellschaft?
Im letzten Jahr ist die Welt in eine Phase der Verweigerung eingetreten. Statt sich mit den Realitäten auseinanderzusetzen, bevorzugen wir es, die alten Narrative weiter zu pflegen. Wenn Hillary Clinton die Wahl verliert, kann das nicht daran liegen, daß am globalisierten Kapitalismus mit maximal diversifiziertem Multikulturalismus was nicht stimmt.
Nein, das waren diese dumpfen Arbeitslosen, die saufenden Ex-Stahlarbeiter. Oder eben die Russen. Putin war ja in letzter Zeit sowieso immer alles. Das man verloren hat, weil das eigene Weltbild basismäßig eben genau so völliger Mist ist wie das der jeweils anderen – das kann nicht sein und wird deshalb von vornherein aus den Überlegungen ausgeschlossen.

Es kann nicht sein, daß die Weltwirtschaft nicht wächst, obwohl doch die Energiepreise gesunken sind. Denn Grenzen des Wachstums existieren nicht. Sie dürfen nicht existieren. Also bewegt sich die Weltwirtschaft in solchen Dokumenten wie dem World Economic Outlook „seitwärts“.
Die Art des Denkens, oder besser, des Nicht-Denkens, ist hier die gleiche wie beim New Yorker Demokraten, der seinen von Kevin abgefüllten Latte Stracciatella aus dem Pappbecher mit Plastikdeckel schlürft, aber für den Kaffee natürlich „Fair Trade“ bezahlt.
Das gleiche Nicht-Denken findet statt beim Maisfeldbändiger aus einem der Flyover States, der in seiner agrarischen Rückständigkeit seit dreißig Jahren als einzige Zielgruppe festgelegt war, die man straflos diffamieren durfte. Deshalb hat man jetzt eben den anderen Kandidaten gewählt. Hauptsache nicht die Stadtussi mit den Stöckelschuhen. Einer muß schuld sein. Der Amerikaner wählt die Frau nicht, die nur sagen konnte: „Der andere ist aber noch schlechter“. Der Deutsche wählt die Partei, die sagt: „Wir sind nicht wie alle anderen und deshalb besser.“
Selbstverarschung mit Anlauf an der Wahlurne, mit absehbaren Folgen.

Zwanzigsiebzehn und weiter zeitaufwärts wird Donald Trump ein Beispiel für etwas liefern, das ich schon seit zig Jahren sage: Auf die Veränderungen, die das Schicksal unserer Zivilisation bestimmen, hat die Politik so gut wie keinen Einfluß. Sie ist ein machtloses Theater vor dem Vorhang, das nur den Zweck hat, den Schein aufrechtzuerhalten, damit die Reichen und Superreichen so weitermachen können wie bisher.
Es ist total egal, was der Kerl in Sachen Energie tun wird, der Zug ist abgefahren. Auch Donald Trump wird die USA nicht „energieunabhängig“ machen oder mehr Öl in den Boden zaubern. Der amerikanische Wähler oder auch der europäische wird bald dieselbe Erfahrung machen wie der Riese Hymir im Boot von Thor: Wenn man den Mächtigen dabei hilft, sich nicht selber umzubringen in ihrer bodenlosen Ignoranz für alles Wichtige, kriegt man zum Dank noch auf die Fresse.
Bleibt die spannende Frage, wie Trumps Wähler reagieren werden, wenn der ganze Zirkus, den der neue Mann da abzieht, keinerlei Verbesserungen für sie bringen wird. Oder die Wähler der Pseudoalternativen im September. Popcorn, anyone?

Psychohistorisch formuliert lautet die Frage, wie die schnell die politische Kultur allgemein desintegrieren wird, wenn immer mehr Menschen realisieren, daß diese Politik eben in den meisten Dingen völlig machtlos ist. Je mehr das große Bühnenbild sichtbar wird, desto weniger wird der Gesellschaft das Bild gefallen. Da bin ich mir sicher.

Im chinesischen Kalender ist 2017 übrigens das Jahr des Feuerhuhns, ich habe das mal nachgeschlagen. Aus unerfindlichen Gründen muß ich dabei automatisch an Grillhähnchen denken und die sind bekanntlich lecker. Vielleicht wird dieses Jahr also noch einmal das Jahr der gebratenen Vögel sein, bevor das Schlaraffenland dann endgültig seine Tore schließen muß. Auf jeden Fall werden wir alle weiterhin interessante Zeiten erleben. Denn die Schlange, die die Welt im Äußeren zusammenhält, wird mit Sicherheit nicht aufhören, mit dem Schwanz zu zucken. Wenn an Ragnarök wirklich die Götter sterben, sollten wir uns vorher besser darüber klar werden, wer oder was diese Götter überhaupt sind.

*Update 20170110
Uuupps. War es gar nicht. Es war ein Affenjahr im China-Kalender. Aber was soll das Affentheater? Die Schlange bewegt sich trotzdem 😉

4 Comments

  1. Hi Kassandra,

    da ist Dir aber ein ziemlicher Fehler unterlaufen: 2016 war das Jahr des Affen (und ist es auch noch bis 27. Januar 2017).
    Und das passt doch, oder? Ich komme mir jedenfalls wie in einem Affenhaus vor.
    Übrigens ist es ebenfalls ein Feuerjahr….und da fällt mir doch das Dschungelbuch ein: „Ich will es aber wissen, es war so abgemacht……“
    Wer King Louie ist, ist auch klar zu sehen……

    Antworten

    1. 2016 war das Jahr des Affen (und ist es auch noch bis 27. Januar 2017

      Eines Tages mußte mir ja mal sowas passieren 😀
      Verdammt!

      Eigentlich sollte der Text darauf hinauslaufen, daß 2017 eben immer noch ein Schlangenjahr sein wird. Da hast du jetzt meinen Aufhänger torpediert.

      Antworten

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