Ein Mann mit einer Axt in einem Zug. Fünf Verletzte. Ein anderer Mann mit einer Schußwaffe in München. Neun Tote. Wieder ein anderer mit einer Bombe in Ansbach. Fünfzehn Verletzte. Und natürlich die Attentäter, die allesamt bei diesen Vorfällen umkommen.
Im Netz toben daraufhin wieder die faschistischen Arschlöcher, kotzen ihre widerwärtige Dummheit aus über einen Begriff wie „Deutsch-Iraner“, denn der Münchner Amokläufer war ein solcher.
Es paßt den neuen Herrenmenschen eben nicht ins erbsengroße Weltbild, daß dieser Mann nichts mit den Flüchtlingen des letzten Jahres zu tun hatte. Auch beim Würzburger Attentäter ist es ähnlich. Schon länger hier, bereits im Asylverfahren, so weit erst einmal versorgt.
Der Amokläufer mit der Schußwaffe stellt sich wenig später als jemand heraus, der mit dem sogenannten „Islamischen Staat“ nichts am Hut hatte, sondern mit Antisemitismus und allgemeinem Fremdenhaß. Acht seiner Opfer sind deutlich unter zwanzig und haben Migrationshintergrund. Er mag den norwegischen hirnkranken Killer Breivik und findet es toll, am selben Tag geboren zu sein wie dereinst der kleine österreichische Diktator. Als wäre das eine persönliche Leistung. Insgesamt ist er jemand, dessen Weltbild wunderbar unter die Hakenkreuzflagge und die „Deutschland in den Grenzen von 1937“-Tattoos der rechten Arschlöcher gepaßt hätte. Plötzlich herrscht Schweigen bei den Netznazis, bevor dann wieder die üblichen Verschwörungstheorien hochblubbern.
Alleine schon die Reaktion auf dieses Aufkommen von Terror in Deutschland führt die Idee des Historikers Michael Wolfssohn ad absurdum, der allen Ernstes sagt, man müsse in Deutschland eine allgemeine Dienstpflicht für Bürger einführen. Denn der Staat könne offensichtlich seinen Aufgaben bezüglich Sicherheit nicht mehr nachkommen.
Wie man noch immer an der absolut sicheren Tatsache vorbeisehen kann, daß hier in Deutschland Vollidioten rumlaufen – deutsche Vollidioten wohlgemerkt – denen man keine Plastikgabel in die Hand drücken sollte, geschweige denn, sie in einer Grundausbildung mit militärischen oder polizeilichen Kampftaktiken vertraut zu machen, ist mir ein Rätsel. Wir können uns auch gleich eine neue SA züchten.
Bei derartigen Vorschlägen möchte ich den sauberen Herrn Historiker am Kragen greifen, ordentlich schütteln und ihn fragen: „Was haben Sie denn so gewählt die letzten zwanzig Jahre, Herr Wolfssohn?“
Die Parteien, die in Baden-Württemberg und Bayern fleißig Stellen in Polizei und Justiz gekürzt haben? Oder die anderen, die gesagt haben, das sollte man vielleicht mal nicht machen?
Ein Historiker, der so einen Blödsinn absondert, steht für mich auf derselben Stufe wie all die Menschen, die lautstark empört ausrufen „Wie kann man nur AfD wählen?“ – die aber Zeit ihres Lebens die CDU gewählt haben. Ich rufe das zwar durchaus auch, aber mit weniger Empörung. Mehr mit verzweifeltem Kopfschütteln. Und ich habe eben nie diejenigen Parteien gewählt, aus denen die Gründer und Mitglieder der AfD so entlaufen sind. Also die sogenannten „Konservativen“.
Die Schlagzeilen verschwimmen immer mehr in diesen Tagen. Der Bürgerkrieg in Syrien zerbröselt in „gute Islamisten“ – das sind die, denen der Westen Waffen liefert, allen voran die USA – und „böse Islamisten“. Das sind eben die anderen. Aber es sind diese bösen Islamisten, die aktuell mit Waffen versuchen, die 300.000 eingeschlossenen Bewohner der Stadt Aleppo rauszuboxen.
Der Westen, dieses ebenfalls diffuse Gebilde, das in unseren Medien immer als monolithische Gruppenbezeichnung auftaucht, hat die Einkesselung und die „Gefährdung von Zivilisten“ lediglich wie immer wortreich verurteilt, die USA natürlich allen voran. Das können unsere Regierungen ja prima.
Alle die Toten der letzten Wochen in Syrien bleiben mehr oder weniger unerwähnt, während in Nizza ein Lastwagen von einem Terroristen in eine Menschenmenge gefahren wird und er dabei 85 Personen tötet. Daraufhin verlängert Frankreich den Ausnahmezustand im Land wieder einmal.
Zeitgleich birgt die Küstenwache der Italiener ein bereits im April ’15 gesunkenes Flüchtlingsschiff vor der Küste. Man findet 675 Leichen an Bord.
Der Angriff in Nizza vermengt sich mit der Flüchlingskrise, die eigentlich gar keine ist. Der Attentäter ist Tunesier, bei weiteren Nachforschungen stellt sich heraus, daß er Komplizen hatte. Die Tat war geplant, kein Amoklauf.
Einen Tag danach werden in Loisiana in den USA Polizisten erschossen, anstatt jemanden zu erschießen. Aber das wird dann etwas später wieder nachgeholt.
Dann tickert mir die Eilmeldung über den Kanal, daß es in der Türkei zu einem Putschversuch gekommen ist. Er wird keinen Erfolg haben. Was seitdem in der Türkei passiert, kann man nur noch als stalinistische oder maoistische Säuberug bezeichnen.
Erdogan, der endgültig von paranoidem Größenwahn über die Schwelle geistiger Gesundheit geschubste Machtinhaber der Türkei, entläßt Tausende von Beamten, läßt die Universitäten von unliebsamen Personal säubern, verlangt von Deutschland und anderen Ländern mit Schaum vor dem Mund die Auslieferung irgendwelcher Leute und läßt seine Minister die diplomatischen Kanäle mit Gülle fluten, indem sie Drohungen ausstoßen und in Ultimaten Visafreiheit für die Türken in der EU fordern. Balla-Balla am Bosporus.
Wer in diesen Tagen noch bezweifelt, daß Erdogan ein Fall für verständiges Pflegepersonal ist und dringend psychiatrischer Behandlung bedarf, muß wirklich extrem realitätsblind sein. Dummerweise leben viele von diesen Leuten in Deutschand, wie eine pro-Erdogan-Demo in Köln dann zeigt. Da wird dieser kranke, gefährliche Mann als „großer Anführer“ gelobt oder andere kommen mit Sprüchen wie „die AKP mag ich ja nicht, aber Erdogan ist klasse.“
Währenddessen reagiert der türkische Justizminister auf das Verbot eines Kölner Gerichts, das eine Live-Schaltung von Erdogan zur Demo nicht zuläßt.
Er nennt das Urteil „widerrechtlich und unhöflich“. Ich frage mich, seit wann ein ausländischer Justizminister deutschen Gerichten vorschreiben darf, was hier im Lande Recht ist. Und Höflichkeit war noch nie eine von Justitias Vorzügen.
Der türkische EU-Minister nennt das Urteil „eine Abweichung von Meinungsfreiheit und Demokratie“. Vielleicht sollte man diesen Leuten einmal erklären, daß Meinungsfreiheit nicht bedeutet „Du hast die Freiheit, meiner Meinung zu sein“.
Eine der schon vor dem Putsch gleichgeschalteten Zeitungen der Türkei spricht ernsthaft von einem Deutschland, das „seine Nazi-Vergangenheit nicht überwunden hat“. Weil man den geliebten Führer der Auslandstürken nicht auch noch per Video einspielen lassen will, und das aus gutem Grund, sind wir jetzt plötzlich wieder ein Faschistenstaat?
Ich muß es jetzt mal offen formulieren: Ich kann dieses lächerliche Gepöbel, das da seit Wochen und Monaten bei jeder Gelegenheit aus der Türkei ertönt, nicht mehr ertragen. Irgendwo hat auch meine Toleranz Grenzen und die sind eindeutig überschritten.
Ich habe erhebliche Zweifel daran, daß eine Pro-Merkel-Demo mit 30.000 Teilnehmern in Ankara oder Istanbul genehmigt worden wäre. Sicherheitsbedenken, vermutlich. Oder „Gefahr terroristischer Umtriebe“. Vielleicht auch „Verunglimpfung des Türkentums“ oder ein ähnlich nationalistischer Paragraph. Immerhin steht die Türkei ja unter Ausnahmezustand, da wird man auch einfach mal verhaftet ohne große Fragen.
Ich möchte all die jubelndenden Pro-Erdogan-Türken auffordern, ihre Koffer zu packen und Deutschland zu verlassen. Sofort. Mitsamt ihren Familien. Und es ist mir persönlich egal, wer da welchen Paß besitzt. Wenn es euch hier so gar nicht gefällt, geht einfach in eure geliebte Heimat. Man darf aus Deutschland auch ausreisen.
Ich habe nämlich den leisen Verdacht, daß es vom relativ freiheitlichen Deutschland aus recht simpel ist, Herrn Erdogan gut zu finden. Aus türkischer oder gar kurdischer Perspektive in der Türkei dürfte vielen Jubelpersern, oder besser, Jubeltürken zwischen Köln und Berlin das Jubeln möglicherweise bald vergehen.
Lautstark wird aus der frisch schlüpfenden Diktatur am Bosporus gefordert, deutsche Medien müßten mal ihren Ton ändern, denn der Ausnahmezustand in Frankreich werde ja auch nicht so kritisiert wie der in der Türkei. Das dieser Umstand eventuell darin begündet liegt, daß in Frankreich eben keine großflächigen politischen Säuberungen stattfinden, findet in derartig lächerlichen Äußerungen überhaupt keine Beachtung. Auch hat Frankreich seinen Akademikern nicht verboten, aus dem Land auszureisen. Im Gegensatz zur Türkei.
Sich hier in Deutschland hinzustellen und den Möchtergern-Diktator am Bosporus abzufeiern – wenn das mal keine Meinungsfreiheit ist.
Währendessen werden in der Türkei zig tausende Menschen, die alle etwas mit dem nach wenigen Stunden gescheiterten Putsch zu tun haben sollen, in Lager gesperrt. Manche von ihnen verschwinden spurlos. Von Folter ist die Rede.
In deutschen Medien erscheinen Berichte über den Religionsverband Ditib, der als verlängerter Arm Erdogans bezeichnet wird. Was wiederum dessen Generalsekretär empört zurückweist. Die Rechten reiben sich die Hände ob solcher Vorlagen, selbst die AfD schafft es nicht, so schnell widerliche Parolen rauszuhauen wie die CSU von Horst Seehofer.
Dabei ist die Kritik an den zahlreichen, vom türkischen Staat direkt oder indirekt finanzierten Moscheen und Religionsverbänden nicht einmal neu. Nur wurde ihr bisher nicht zwingend ein prominenter Platz eingeräumt. Ich sehe bereits das Leuchten in den Augen der Verrückten, die sich ernsthaft vor der „Islamisierung des Abendlandes“ fürchten. Wenn die Realität türkischen Gepöbels den Wahn der Neofaschisten überholt, wird es langsam echt schwierig.
Falls sich also jemand gefragt hat, warum ich zur Türkei bisher nichts gesagt habe: Deshalb. Manchmal muß man Dingen erst einmal ihre Entwicklung gestatten, bevor man dazu etwas sagen kann. Außerdem muß man zwischendurch metaphorisch mal einen Schnaps trinken, um nicht selber zur Kettensäge zu greifen. Jedenfalls geht es mir so in den letzten Wochen. Hatte ich unter einem anderen Blogeintrag ganz kurz angedeutet, daß das Ermächtigungsgesetz in der Türkei nur eine Frage kurzer Zeit sein würde, hatte ich doch gedacht, ich hätte da satirisch übertrieben. Dem war wohl nicht so.
Eher im Gegenteil. Mit der wohlfeilen Begründung, die „Gülen-Bewegung“ zu unterstützen, werden Lehrer entlassen, Journalisten als Verräter gebrandmarkt, Geschäftsleute verhaftet. Der besagte Herr Gülen ist ein ehemaliger Kumpel und Wegbegleiter von Erdogan und lebt in den USA. Letztlich geht der Präsident der Türkei gegen alle Leute im Land vor, die ihm persönlich nicht passen. Was etwa auf die Hälfte der Bevölkerung hinauslaufen dürfte, denn Paranoiker haben immer ein recht großes Heer an Feinden.
Erdogan spricht in Reden von einer „Neuen Türkei“. Ich muß nicht lange erklären, an wen mich das erinnert, denke ich. Die Wiedereinführung der Todesstrafe erschien bereits 48 Stunden nach dem Ende des Putsches unausweichlich. Noch in der Putschnacht hatte ich das vorhergesehen.
Ebenso für unausweichlich halte ich bereits zu diesem Zeitpunkt die entsprechenden Schauprozesse mit zu erwartenden Urteilen. Erdogans „Reinigung“ der Justiz bestätigt mich in meiner Meinung. Es verstößt übrigens gegen jedes rechtsstaatliche Prinzip, jemanden nach einem Gesetz zu verurteilen, das zum Zeitpunkt der Tat gar nicht existierte. Oder ihn mit einem Strafmaß zu belegen, das gleichfalls nicht existierte. Man nennt so etwas Rückwirkungsverbot.
Der politische Amoklauf am Bosporus ist nur ein Symptom des neuen Autoritarismus auch in Europa.
In Frankreich spricht Marine Le Pen derweil davon, daß man das Land von „der Geißel des Islamismus“ befreien müsse. Schon vor Nizza führte die xenophobe Dame in den Umfragen zur Präsidentschaftswahl 2017 deutlich. Gleichzeitig sinkt die Zustimmung der französischen Bevölkerung zur EU weiter ab. Und le Pen hat schon mehrfach angekündigt, die Frage nach „EU oder nicht EU“ auch in Frankreich stellen zu wollen.
Gab es nach Charlie Hebdo und den Anschlägen in Paris vom letzten November immer die öffentlich geäußerte Überzeugung, das Land dürfe sich nicht auseinandertreiben lassen, scheint diese Überzeugung jetzt zu schwinden. Premierminister Manuel Valls wurde ausgebuht, als er in Nizza einen Kranz niederlegte, wo Mohamed Lahouaiej-Bouhlel mit einem geliehenen Lastwagen Frauen und Kinder unter Tonnen von Metall zerquetschte. Eine Tat, gegen die keinerlei Ausnahmezustand, keine Vorratsdatenspeicherung, keine Kamera, keine Registrierungspflicht für irgendwen auch nur das geringste hilft.
Noch jetzt kommen am Taksim-Platz in Istanbul ständig Unterstützer von Erdogan zusammen, Nacht für Nacht. Das Land ist, wie schon bei den vorhergehenden Wahlen, gespalten. In Unterstützer und Kritiker. Allerdings haben die Kritiker jetzt keine Öffentlichkeit mehr.
Auch Frankreich ist gespalten. In die einen, die die Gesellschaft noch immer nicht zerbrechen lassen wollen. In die anderen, die öffentlich darüber spekulieren, daß man alle Muslime aus dem Land ausweisen sollte.
Exakt solche Dinge sagt auch Donald Trump in den USA, der wirklich vorschlägt, man solle allen Muslimen die Einreise verweigern, bis die Behörden „rausfinden können, wie man das Problem lösen kann“. Was natürlich unterstellt, daß Menschen islamischen Glaubens generell ein Problem darstellen. Die USA sind gespalten in diejenigen, die Trump folgen werden und die anderen, die weiter verzweifelt am business as usual festhalten möchten, also Clinton bevorzugen.
In Großbritannien ist das BAU bereits gescheitert. Gerade in kleineren Städten und Gegenden, in denen das Schlagwort „Globalisierung“ nichts weiter bedeutet als seit 30 Jahren verschwindende Arbeit, haben die Brexiter massiv gewonnen.
All die schrillen Warnungen vor den wirtschaftlichen Folgen waren hier offensichtlich nutzlos, was wenig verwunderlich ist. Wenn man mit seiner Stimme den Aktienbesitzern mal eins auswischen kann, ist das die Gelegenheit, die man nutzen sollte.
Dummerweise waren diese Warnungen nicht ganz unbegründet, der wirtschaftliche Sinkflug Großbritannienns hat bereits begonnen. Sogar die Zentralbank hat bereits steuernd eingegriffen.
Aber wie viele US-Amerikaner werden im Herbst Hillary Clinton nicht wählen, um ihr und ihrer Klasse der besitzenden Besitzstandswahrer einfach mal eins auszuwischen?
Die Türkei ist noch fragmentierter. Denn hier kommen zu Unterstützern und Gegnern von Erdogan und seiner AKP noch die Kurden hinzu. Und – gerade durch die Rhetorik Erdogans selber – die zunehmende Radikalisierung in Gülen-Anhänger und eben die wieder anderen.
Ersten Medienberichten zufolge passiert jetzt das, was ich auch schon in der Putschnacht vorhergesehen hatte: Menschen flüchten nach Europa, aber diesmal kommen sie aus der Türkei.
Außenpolitisch redet sich das Land gerade in Isolation. Da wettert der angehende Führer und aktuelle Machtinhaber gegen die Rating-Agenturen, die die Frechheit besitzen, die Bonität der Türkei runterzustufen.
Prompt identifiziert Erdogan die Ursachen dafür: Türkeifeindliche Umtriebe.
Gut, offensichtliche Sache, hätte ich auch sofort vermutet. Allerdings mögen Rating-Agenturen zwar Vereinigungen aus ausgemachten Arschlöchern sein, aber ich bezweifle sehr stark, daß die Chefs von Standard&Poors oder den anderen Finanzhaien zur Gülen-„Bewegung“ gehören.
Der österreichische Bundeskanzler Kern bezeichnete einen EU-Beitritt der Türkei als „diplomatische Fiktion“, woraufhin aus der Türkei der Ruf ertönte, das sei ja wohl Nazi-Rhetorik. Das gegenseitige Anbellen ist noch im vollen Gange, wird aber das Verhältnis beider Staaten sicherlich nicht gerade heimeliger gestalten. Und womöglich wird es Auswirkungen auf die Präsidentschaftswahlen in Österreich haben, die ja wiederholt werden müssen.
Die deutsche Regierung wiederum tut nichts, Frau Merkel hüllt sich in Schweigen, falls sie nicht gerade ihre „Wir schaffen das“-Rede wiederholt, ohne da groß Inhalte zuzugeben. Aber man hält offiziell weiter krampfhaft am EU-Türkei-Abkommen fest. Denn ansonsten müßte die deutsche Kanzlerin ihr Scheitern an dieser Stelle womöglich eingestehen. Ich sagte bereits im März, daß aus diesem windigen Deal nichts Gutes erwachsen würde. Wäre die Kanzlerin mal besser nach Athen geflogen statt nach Ankara.
Offiziell ist die türkische Wirtschaft derzeit noch robust, aber die Boom-Zeiten in der Ökonomie sind absehbar vorbei. Das geht schon beim aktuellen Tourismus los.
Es gibt hierbei einen interessanten Aspekt, auf den Kassandra aufmerksam machen muß: Die Türkei verbraucht etwa 750.000 Barrel Erdöl pro Tag. Für dieses Erdöl muß natürlich bezahlt werden, üblicherweise mit Kreditaufnahme, wie in jedem anderen Land auch. Mit wegbrechendem Tourismus wird diese Kreditaufnahme der türkischen Wirtschaft steigen. Was wiederum im Hinblick auf miese Bonitätsnoten ein Problem werden könnte.
Früher oder später wird die Verfügbarkeit von Energie in der Türkei zurückgehen und damit auch der Lebensstandard der Bevölkerung deutlich abnehmen. Insgesamt ist die Türkei ein perfekter Kandidat für das, was ich Hellenisches Syndrom getauft habe.
Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem, was Standardökonomen „Wirtschaftswachstum“ nennen und dem Verbrauch von Energie, üblicherweise in fossiler Form. Natürlich könnte die Türkei als größte Militärmacht in Nahost auch auf die Idee kommen, den Nachschub anders aufrechtzuerhalten.
Sollte sich eine wirtschaftlich schwächelnde Türkei an Putins Rußland heranmachen, nimmt die Sache endgültig globalpolitische Ausmaße an. Rußlands Zaren wollten den Bosporus schon immer kontrollieren.
Eine im Bürgerkrieg versackende Türkei wäre ebenfalls ein mögliches Szenario mit mehr als unerfreulichen Implikationen.
Die Dinge erscheinen diffus. Verwirrend. Unzusammenhängend. Aber sie finden alle auf der Bühne der Langen Dämmerung statt.
Die Welt in diesen Tagen spaltet sich auf. Die Lange Dämmerung gewinnt in all diesen Prozessen, die sich da vor unseren Augen abspielen, mehr und mehr an Schwung und an Form. Für viele Menschen erscheinen all diese Dinge zusammenhanglos, aber sie sind es nicht.
Die gescheiterte Globalisierung zeigt ihr Gesicht und es wird mehr und mehr offensichtlich, daß der endlos wachsende Kuchen, den laut unserer ökonomischen Theorie alle essen können, bis sie platzen, eben nicht existiert. Politische Destabilisierung und damit das Aufkommen einer neuen Sehnsucht nach Sicherheit ist nur ein weiteres Symptom. Das langsame Sterben der Demokratie und die neuen autokratischen Tendenzen weltweit sind ein weiteres. Europa ist auf dem Weg in eine Art faschistoiden Konzern-Totalitarismus. Wohin die USA treiben, wird aktuell ausgewürfelt, aber die Alternativen sind Lungenpest oder Milzbrand.
Die richtige Antwort auf diese Dinge wäre planmäßige Lokalisierung. Eine Art Rückabwicklung des globalen Wahnsinns, auf den sich unsere Gesellschaft seit Jahrzehnten eingelassen hat. Aber das erforderte politische Einsicht und politischen Willen.
Doch die Politik bewegt sich mit gigantischen Ausverkaufsaktionen der letzten demokratischen Reste, Dingen wie TTIP und CETA, exakt in die entgegengesetzte Richtung. Die Forderung von Leuten wie Juncker oder Schulz nach noch mehr EU im Nachhall des Brexit-Votums ist symptomatisch, wie so viele andere Dinge.
Währenddessen geht jede Gelegenheit zum Planmäßigen verloren, während europäische Völker sich wieder in nationalistische Stammeskrieger aufspalten und aufspalten lassen.
Im Südosten der Türkei sind etwa 1.200 dieser Stammeskrieger bereits tot und weitere 350.000 sind ausgebombt. Und auf dem Weg nach Irgendwo, vermute ich. In die türkischen Großstädte werden die Kurden allerdings nicht flüchten.
Gegenüber dieses bereits seit letztem Sommer stattfindenden Kriegs in der Türkei findet der andere statt. Der Krieg in Syrien. Auch der im Gebiet des ehemaligen Staates Irak. Hier agiert der IS, der sowohl den Amokläufer im Zug bei Würzburg als auch den Lastwagenfahrer in Nizza als „seine Soldaten“ proklamiert hat. Der IS befindet sich auch in Libyen. Auch dieses Land ist inzwischen de facto nicht mehr existent. Die Türkei, im Jahr 2011 unter Erdogan nur zu eifrig in der Unterstützung des sunnitischen Aufstandes gegen den alawitischen Machthaber Syriens, Bashar al-Assad, verläßt gerade eben unter der jetzt präsidialen Herrschaft desselben Erdogan ihre eigentlich säkularen Staatspfade.
Bald wird es diktatorische statt präsidialer Herrschaft sein, da bin ich sicher.
Wieder blenden die Dinge überall ineinander über. Der Zerfall des Gewohnten, des als sicher Empfundenen, erreicht jeden Tag neue Geschwindigkeiten. Ungläubig starren wir über das blaue Wasser des Golfs hinweg auf den Berg, über dem sich eine Rauchfahne zeigt und der gelegentlich grollende Geräusche hören läßt. Längst hatten wir verdrängt, daß er ein Vulkan ist.
Überall marschieren wieder die Einschränker, die Pöbler, die Hasser. Und in ihrer ihnen eigenen ideologischen Blindheit heizen diejenigen, die sich als links sehen, und diejenigen, die sich als rechts oder konservativ sehen, sich gegenseitig ein und beschleunigen so den Zerfall dessen, was sie selbst zu erhalten glauben.
Ich sehe eine neue Zeit der Mauern heraufziehen. Der geschlossenen Grenzen. Der tschechische Präsident Milos Zeman spricht davon, daß man mit einer Einwanderung „den Nährboden für barbarische Angriffe schaffen“ würde.
Währenddessen formiert sich in diesem Land Osteuropas eine „Nationale Landeswehr“, die in Wahrheit aus nichts weiter besteht als irgendwelchen Bürgern, die mit Uniform und Waffen rumlaufen und glauben, sie müßten die Staatsmacht in die eigenen Hände nehmen. Prima Idee, so eine im Schnelldurchgang ausgebildete Bürgerwehr. Herr Wolffsohn wäre begeistert.
All dies entzündet sich an der ungeheuren Menge von 80 Flüchtlingen aus Syrien, die das Land aufnehmen wollte. Nicht 80.000, ich habe mich nicht verschrieben.
In Polen sieht die Lage unter der neuen, offiziell rechtskonservativen und in meinen Augen offen faschistischen Regierung nicht besser aus. Die Ungarn haben mit ihrem Staatschef Orbán schon länger jemanden am Ruder, der auch nicht mehr alle Latten am Zaun hat. Dafür aber den Draht, denn Ungarn baut die Zäune, die vor 27 Jahren von seinen Grenzposten durchschnitten wurden, in Rekordgeschwindigkeit wieder auf. Eigentlich müßte man ins Stacheldrahtgeschäft einsteigen. Ich wette, die Auftragsbücher dieser Branche sind voll.
In der Zwischenzeit bröseln in Italien die Banken weg. Der total innovative Rettungsplan der EU für die älteste Bank der Welt, Monte Paschi di Siena, sieht die Auslagerung von Krediten in diversen Milliarden Höhe vor. Anders gesagt, man gründet mal wieder eine „Bad Bank“, überträgt alle windigen Positionen auf diese und danach sind die Bilanzen der abgehalfterten Betrügerbude wieder rein wie frisch gefallener Schnee. Dummerweise strahlen die toxischen Papiere eben trotzdem weiter vor sich hin, nur eben in einem anderen Keller.
Wem dieses Muster bekannt vorkommt – stimmt. All das ist in den letzten Jahren bis zur Vergasung durchgezogen worden und am Ende zahlt immer der Steuerzahler. Also der Durchschnittseuropäer, denn nur wer wirklich viel Geld hat, kann das auch in sonnige Auslandskonten transferieren. Alle anderen zahlen den Schaden, den sie meistens nicht mit angerichtet haben. Italien hat auch mehr als eine angeschlagene Bank und Italien ist bei weitem nicht der einzige Staat der EU, dem es so geht.
Wenigstens Spanien feiert, und zwar die niedrigste Arbeitslosigkeit seit langem. Das wären in diesem Falle immer noch 20 Prozent. Grund dafür ist der Tourismus, der sich aus den Ländern Nordafrikas und der Türkei hierher verlagert hat.
Und in Austritts-Britannien ist Ms May inzwischen Premierministerin, nachdem David Cameron mit einem gepfiffenen Liedchen auf den Lippen im politischen Off verschwunden ist.
Noch eine Frau in einem hohen Staatsamt, während auf der anderen Seite des Atlantik der große demokratische Drache siegesgewiß die Schuppen schüttelt und Donald Trump sich immer weiter in Abseits trompetet mit seinen Hirnfürzen. Armageddon kann nicht mehr so weit entfernt sein.
Ganz Osteuropa ist derzeit nicht mehr mit den Regeln von Demokratie und Freiheitlichkeit in Einklang zu bringen, die sich Europa oder die EU auf die Fahne geschrieben hatte. Damals, als die europäische Idee noch anderen Menschen etwas bedeutet hat und nicht nur Blogschreibern am Rande der Gesellschaft in ihrer Bambushütte.
Mit jedem Sicherheitsgesetz, jedem bayerischem Bellen nach schnellerer Abschiebung, jeder weiteren Aushöhlung demokratischer Grund- und Basiswerte, gewinnt die Angst wieder ein bißchen an Boden und verwandelt sich in Wut auf den Gesichtern von Menschen, die pöbelnd durch die Straßen deutscher, französischer oder britischer Städte ziehen.
In Großbritannien haben die Übergriffe auf Ausländer oder solche, die irgendwer dafür hält, seit der Brexit-Entscheidung zugenommen. Wut wird sich immer in Haß verwandeln und der braucht ein Ziel.
Kaum war der Axttäter im deutschen Zug erschossen, forderte Innenminister de Maizière, für den mir einfach kein Schmähname mehr einfällt, der seiner abgrundtiefen Dummheit und Menschenverachtung auch nur annähernd gerecht wird, man solle doch die Speicherfrist der Vorratsdatenspeicherung verlängern. Unisono mit diversen CSU-Religionsfanatikern, versteht sich. Auch ein Bundeswehreinsatz im Innern steht wieder einmal auf der Liste der Law-and-Order-Konservativen. Die Franzosen könnten zur Wirksamkeit derartiger Maßnahmen was sagen.
Auf der anderen Seite stehen Grüne wie eine Frau Künast, die auf Twitter direkt kritisch hinterfragte, ob man den Attentäter bei Würzburg unbedingt erschießen mußte. In typisch grünem Reflex wurde wieder einmal aus einem Täter ein Opfer gemacht, noch bevor sich der Pulverdampf aus dem Waggon verzogen hatte. Zu dem Zeitpunkt, als der Twitteraccount von Frau Künast aufglühte, kann sie noch gar keine Hintergrundinformationen gehabt haben.
Ebenso typisch der Reflex vieler Angehöriger der Linkspartei, die sich von ihrer Vorsitzenden Wagenknecht distanzierten, weil die es gewagt hatte, in einem Interview sinngemäß zu sagen: „Wenn in kurzer Zeit sehr viele Menschen aus fremden Ländern zu uns kommen, ist das mit der Integration eine Sache, die Probleme bereitet.“
Noch jetzt sind die Wogen nicht ganz geglättet, die das erzeugt hat.
Es gibt kein besseres Beispiel dafür, wie Ideologie die Vernunft verzerren kann, als dieser Debatte der Linken zu lauschen.
Überall nur noch Schützengräben in der Politik, durch alle Parteien hindurch. Die Lage aus so einem Graben heraus ist oft unübersichtlich.
Denn natürlich hatte Frau Wagenknecht vollkommen recht. Probleme mit flüchtenden Menschen in großer Menge sind nicht links, rechts, mittig oder sonst etwas. Sie sind einfach Realität.
Dummerweise machte Frau Wagenknecht ihre Aussage an dem Attentäter aus Ansbach fest und dem aus Würzburg. Beide hatten aber eben nichts mit der aktuellen Fluchtbewegung aus Nahost zu tun. In der Sache korrekt, aber beim Anlaß schwungvoll ins Klo gegriffen, könnte man sagen.
Natürlich hat den Linken auch besonders gestunken, daß Frau Wagenknecht dafür ausgerechnet von den faschistoiden Hetzern der AfD deutlichen Applaus auf den sozialen Medien bekommen hat.
Aber nur weil die falschen Arschlöcher klatschen, muß eine Aussage nicht zwingend inkorrekt sein. Schon gar nicht indiskutabel. Aber so zerfällt eben auch deutsche Politik mehr und mehr in streitende Stämme statt Menschen mit Hirn und Verstand.
Am Ende werden wir die Veränderung der Welt, den Zerfall unserer aktuellen Zivilisation, nicht aufhalten können. Es wird keine Rückkehr in irgendeine gute, alte Zeit geben, die sich irgendwelche intellektuellen Aber-Nazis wie ein Alexander Gauland in ihren senil werdenden Köpfen als Traumland ausmalen.
Ebenso wie die Türkei, die in Erdogans Kopf stattfindet, in der Muslime Amerika entdeckt haben, niemals existent war, so existiert auch die Welt, die eine AfD anstrebt, nicht in diesem Universum und hat das auch nie. Das gilt aber auch für die Welt der Grünen oder der Linken. Die einen wollen die „Festung Europa“ am besten gestern realisiert sehen, die anderen wettern vehement dagegen und wollen jeden für immer überall hingehen lassen.
Keiner möchte bemerken, daß das Zeitalter von alten politischen Ideologien vorbei ist. Daß all diese lächerlichen Ideen auf einem Weltbild basieren, das nicht mehr der Realität entspricht und schon gar nicht der sich abzeichnenden Zukunft.
Denn das würde bedeuten, die eigene Position als unwichtig, irrelevant. möglicherweise sogar destruktiv aufgeben zu müssen. Kein Politiker, kein Ökonom, keiner der offiziellen intellektuellen Vordenker Europas ist dazu bereit. Alle klammern sich verzweifelt an einen status quo, der längst zum Untergang verurteilt ist.
Und so werden eben wieder überall Zäune gezogen, Stacheldraht gespannt, Mauern geplant. Viele dieser Befestigungen ziehen sich durch leere Köpfe in Europas Bevölkerungen. Andere durch Landschaften.
Den Römern hat ihr Limes nichts geholfen. Ihr Hadrianswall auch nicht. Die Große Mauer Chinas hat ihren Zweck ebenfalls nie erfüllt. Konstantinopels Mauern waren lange Jahrhunderte ein Bollwerk gegen die Feinde der byzantinischen Kaiser. Aber am Ende standen auch die ohne Freunde und Verbündete da und ihre Mauern fielen.
Am Ende wird auch unsere Zivilisation fallen, so sehr sie sich dagegen stemmen mag. Wir können die neue Zukunft noch gestalten, versuchen, sie zu formen und zu lenken, denn noch ist dazu Zeit. Aber mit alten Karten wird das Navigieren nicht erfolgreich sein können.
Oder wir können die Dinge, die da sind, weiterhin ignorieren, mit den Fingern im Ohr umherhüpfen und laut LaLaLa singen, um nicht zuhören zu müssen, wenn sich überall warnende Stimmen erheben.
Aber das wird andere Historiker, echte Historiker, nicht etwa einen Herrn Wolffsohn, nicht darin hindern, in einigen Jahrhunderten eine Linie zu ziehen, die genau durch unsere Zeit verlaufen wird, und zu sagen: Hier ging die alte Welt unter.
Wann immer es wieder Historiker geben wird in dieser fremden Zukunft, die da unerbittlich auf uns zurollt.