Die Täter kamen wie immer: Schnell und unerkannt. Sie zündeten Sprengstoff. Dutzende Menschen wurden getötet, viele mehr wurden verletzt. Die ganze Welt ist wieder einmal erschüttert, der Terror hat wieder einmal sein Gesicht gezeigt.
Live-Ticker in allen Medien, Video-Streams in einem Dutzend Sprachen, wie schon so oft wurde die Angst der Menschen vom Ort des Geschehens in Echtzeit global übertragen. Der Präsident des Landes rief Staatstrauer aus, der deutsche Außenminister nannte die schmähliche Terrorattacke „einen Angriff auf die Stabilität des Landes“. Der UN-Generalsekretär verurteilte die Anschläge.
Ja, es muß furchtbar gewesen sein gestern in Beirut. Zwei Selbstmordattentäter hatten sich vor einem Einkaufszentrum in die Luft gesprengt, mindestens 40 Menschenleben wurden ausgelöscht.
Grauenvoll über jedes Ausmaß hinaus stelle ich mir auch das Ende jener Menschen vor, die vor knapp 2 Wochen über dem Nordsinai mit den Resten eines Airbus A321 vom Himmel stürzten, nachdem nach aller Wahrscheinlichkeit eine Bombe das Flugzeug zerrissen hatte.
Allein über 700 Menschen haben im Irak durch terroristische Gewalt im Oktober ein vorzeitiges Ende gefunden, davon gut 20 ebenfalls gestern, am Freitag. Bei einer Beerdigung. In Bagdad starben erst im August bei einem Anschlag mehr als 80 Menschen, ein mit Sprengstoff beladener LKW wurde in die Luft gejagt.
Bei einem Anschlag in Pakistan starben vor gut drei Wochen mehr als 20 Menschen, darunter viele Kinder. Scheinbar hatte ein Selbstmordattentäter inmitten einer schiitischen Prozession einen Sprengsatz gezündet. Er selber war Sunnit.
Aber unsere Augen richten sich natürlich derzeit auf Paris, die Hauptstadt einer unserer sogenannten westlichen Demokratien. Die Hauptstadt Frankreichs, seit kurzem wieder Mitglied der NATO. Seit 2009, um genau zu sein, und so ziemlich das wichtigste Land in der Liste der Verbündeten, die Deutschland so hat. Jedenfalls nach meiner Meinung.
Ebenso wie in den anderen Fällen bekannte sich auch hier inzwischen die allseits bekannte Vereinigung zur Verbreitung des Steinzeit-Islam, auch besser als IS oder „Islamischer Staat“ bekannt, zu den sinnlosen Massakern im Namen einer Religion, die dabei ist, sich selbst in einem Strudel aus Gewalt und Wahnsinn zu desintegrieren.
Der pakistanische Anschlag war einer von Muslimen gegen Muslime. Der Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten ist der, daß die einen die Nachfolge Mohammeds über seinen Cousin, einen Mann namens Abū l-Hasan ʿAlī ibn Abī Tālib, geregelt sehen. Der Kerl ist ungefähr das Äquivalent zu Petrus, im Sinne der Nachfolge des Propheten und solchen Sachen. Wenn man Schiit ist.
Die anderen, also die Sunnis, sehen das anders. Ihrer Meinung nach muß der Nachfolger des Propheten ein Araber aus dem Stamme Mohammeds sein, der einerseits für die Einhaltung der Regeln des islamischen Glaubens zuständig ist und zum anderen für die Verbreitung des Islam verantwortlich zeichnet.
Die Sunniten stellen die größte Fraktion des Islam dar, in der historischen Entwicklung begründen diese Menschen die Auffassung des Kalifats. Der jeweilige Kalif vereint hierbei weltliche und geistliche Führung, somit kopiert diese Idee die tatsächlichen Verhältnisse zu Lebzeiten Mohammeds, der in Medina auf eben diese Weise herrschte.
Der Islam des 7. Jahrhunderts ndZ aufwärts erlebte schließlich die Gründung mehrerer Kalifate, das der Umayyaden und das der Abbasiden, unter denen dann auch Bagdad zur neuen Hauptstadt erkoren wurde. Der Name Harun-ar-Raschid dürfte vielen aus Märchenerzählungen bekannt sein. Zur Regierungszeit dieses Herrn, im 9. Jahrhundert, ist Bagdad ein kulturelles, wissenschaftliches und natürlich auch finanzielles Zentrum eines sich weiter ausdehnenden islamischen Imperiums.
Im Laufe der Zeit zerfällt aber die Einheitlichkeit des Glaubens, die eigentlich niemals vorhanden war, immer weiter. Die Sunniten zum Beispiel gliedern sich heute in Halafiten, Malikiten und Hanbaliten, während sch die Schiiten in Ismailiten, Zaiditen, Alawiten und etwas, das 12er-Schia heißt, unterteilen.
Man frage mich bitte nicht nach den genauen Unterschieden, seien sie tatsächlich oder eingebildet. Da wäre wohl eher ein islamischer Theologieexperte erforderlich, der ich nicht bin. Der IS beruft sich sogar ausdrücklich auf das Kalifatsprinzip, nimmt also quasi für sich in Anspruch, den Nachfolger Gottes auf Erden zu stellen. Aber nach Auffassung einer muslimischen Mehrheit kann kein Mensch Gott gleich sein, nicht einmal ein Kalif als Oberhaupt aller Muslime. So steht das in diesem heiligen Buch, dem Koran, in Sure 112.
Falls das aber jemanden an die Geschichte des Christentums erinnern sollte – das ist keineswegs Zufall. Aktuell gibt es rund 13.000 kultische Gruppierungen auf der Erde, die alle irgendwie „das Christentum“ repräsentieren wollen.
Ich erzähle das deswegen, weil es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis nach dem Terror von Paris und den Bekenntnissen des „Islamischen Staates“ die ersten Politikergesichter wieder in der Pixelöffentlichkeit der Bildschirme irgendeinen Blödsinn von sich geben werden wie „Der Islam muß aufgehalten werden“ oder irgendeinen anderen Scheiß, der möglichst pauschal darauf hinausläuft, alle Menschen muslimischen Glaubens so weit wie möglich zum Feind zu erklären und auch ansonsten möglichst viel Angst zu erzeugen.
Tatsächlich überschlagen sich bereits seit heute Nacht wieder die ersten Politiker in ihren Beileidsbekundungen. Der Präsident der freien westlichen Welt, Mr Obama, äußerte sich dahingehend, daß die Attentate in Paris ein Angriff auf die gesamte Menschheit seien. Mr President wird folgendermaßen zitiert:
„Das ist nicht nur ein Angriff auf die Menschen in Frankreich. Sondern dies ist ein Angriff auf die ganze Menschheit und unsere universellen Werte„, sagte er in Washington. Zugleich bot er die Hilfe der USA an, um „die Terroristen vor Gericht zu bringen“.
Interessant. Dieser Mann genehmigt einmal pro Woche Drohnenflüge, die aus den USA gesteuert und über Ramstein in der Pfalz, also aus Deutschland, weitergeleitet werden nach Pakistan und Afghanistan. Dieser Mann spricht hier also von Gerichtsverhandlungen gegen Terroristen. Eine Vorgehensweise, die er selber nicht benutzt.
Stattdessen jubelt man in Washington und auch London darüber, wenn eine dieser Drohnen mal keine Hochzeitsgesellschaften in Pakistan in die Luft sprengt, sondern tatsächlich mal einen der Anfüher des Terrors erwischt – ganz aktuell freuen sich alle darüber, daß es einen als „Djihadi John“ bekannten Briten erwischt hat.
Oder erwischt haben soll, denn natürlich kann man das nicht wirklich nachprüfen. Bereits an anderen Orten wurden derartige Erfolge gefeiert, aber die offiziell Toten tauchten dann später doch wieder auf.
Nach diversen Untersuchungen und auch Aussagen von US-Militärs liegt die Quote, also die Genauigkeit bei Drohnenangriffen, bei etwa 50:50. Man könnte auch sagen, es werden regelmäßig Münzen geworfen, und dann drückt jemand irgendwo auf einen Knopf und woanders werden Raketen auf Menschen gefeuert. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn die eingesetzten „Predator“-Drohnen der USA sind bestückt mit Hellfire-Raketen, die ausdrücklich dazu gebaut sind, ein Ziel möglichst grauenvoll zu verbrennen.
Diese Angriffe erfolgen ohne Gerichtsverhandlung, ohne Feststellung der Identität, ohne Urteil, ohne Beweisführung, ohne jegliche Möglichkeit der Verteidigung für den zum Tode durch Feuer Verurteilten.
Einzig eine Liste mit Telefonnummern dient als Orientierung, oder vage Hinweise auf Menschen, die eben so aussehen wie Menschen, die auf einer amerikanischen Terror-Liste gelandet sind. Oder Anti-Terror-Liste, kann auch sein.
Irgendwie scheint mir all das den universellen Werten zu widersprechen, die ein Präsident Obama so nebenbei anführt. Von so etwas wie fortgesetzter Folter rede ich da mal gar nicht, Stichwort Guantanamo.
Der mächtigste Mann der Welt beruft sich nach Paris auf Prinzipien, die sein eigenes Land schon lange für Verhandlungsmasse hält. Das ist zynisch.
Der Premierminister Großbritanniens, Mr Cameron, äußerte sich ebenfalls geschockt.
„I am shocked by events in Paris tonight. Our thoughts and prayers are with the French people. We will do whatever we can to help.“
Das Problem ist halt, daß England schon immer alles getan hat, um zu helfen. Zum Beispiel, als die USA unter George II. Dabbelbush in den souveränen Staat Irak einmarschierten, damals, 2003. England stand an der Seite seines Großen Bruders und bekam dafür auch die Quittung in Form von Anschlägen, damals noch nicht vom Islamischen Staat, sondern von der sogenannten Al-Quaida.
Diese Al-Quaida war damals geleitet von Osama war Laden, damals noch Osama bin Laden, weil noch nicht tot. Dies nur zur Erinnerung.
Das ist derselbe Herr, der in den 80er Jahren gegen die böse Sowjetunion gekämpft hat, in Afghanistan. Zusammen mit seinen Mudjaheddin, den Gotteskriegern. Diese wiederum hatten amerikanische Waffen und waren von amerikanischem Geld motiviert, für bin Laden in den Kampf zu ziehen. Hauptsächlicher Rekrutierungsort war Saudi-Arabien, das Land, in dem die USA die meisten Stützpunkte unterhalten und vor allem das Land, in dem eine wahabitische Terrormonarchie Menschen in Fußballstadien köpfen läßt, Frauen nicht mal Auto fahren dürfen, ausländische Arbeiter generell als ungläubige Sklaven behandelt werden und Blogger, die das mittelalterlich finden, auch mal ganz legal zu Tode geprügelt werden.
Übrigens auch das Land, aus dem die Attentäter kamen, die man mit 9/11 in Verbindung bringt. Aber als die USA und Großbritannien in den Irak einmarschierten, waren amerikanische Kampfbomber trotzdem dabei, Afghanistan zu bombardieren, nicht etwa Saudi-Arabien. Die haben halt auch das Öl.
Öl hat übrigens auch der Irak, weshalb ja schnell der Verdacht aufkam, es ginge den Amis nur darum. Natürlich hat die US-Administration das damals vehement abgestritten. War ja auch ein absurder Gedanke. Wer würde auf die Idee kommen, daß es einem alten Öl-Dynastie-Nachfahren wie einem George W. Bush um Öl gehen könnte? Oder einem Mann wie Donald Rumsfeld, ehemaliger Sonderbeauftragter der USA im Irak und Kumpel von Saddam Hussein. Oder einem integren Kerl wie Dick Cheney, dem Ex-CEO einer Firma namens Halliburton, einem der größten Hersteller von Bohrausrüstung in Sachen Öl und Gas auf der Welt. Dick Cheney war es übrigens auch, der einen Think Tank namens Project for the New American Century (PNAC) gründete, zusammen mit Rumsfeld. Ein Think Tank, dem auch Paul Wolfowitz angehörte, der stellvertretende Verteidigungsminister der USA von 2001 bis 2005, danach war der Mann Chef der Weltbank. Eine Gruppierung, die im September 2000 ein Programm, oder besser, eine Agenda veröffentlichte, die „Rebuilding America’s Defenses“ heißt und die jeder, der sich für solche Dinge interessiert, mal gelesen haben sollte. Jeder andere übrigens auch. Doch zurück ins Heute.
In Deutschland war ein Justizminister namens Heiko Maas wieder sehr schnell dabei, zu versichern, daß die Attentate von Paris die Demokratie nicht gefährden werden.
„Wir weichen nicht zurück. Demokratie und Freiheit sind stärker als jeder Terror.“
Fast möchte ich mir den Finger in den Hals schieben bei soviel Geschleime und wünschen, ich wäre nie geboren worden. Da ich aber clever bin, möchte ich eher meinen Finger in den Hals von Herrn Maas schieben und wünsche mir, er wäre nie geboren worden.
Ich erinnere daran, daß es sich hier um denselben Justizminister handelt, der noch im Januar dieses Jahres, nach den Anschlägen auf die Redaktion des Magazins Charlie Hebdo, sagte, Vorratsdatenspeicherung sei ja total unnötig und bringe auch nichts. Das ist dieselbe VDS, die dann auf Drängen des Justizministers neulich vom Bundestag durchgewinkt wurde. So ein Mann erzählt etwas von Freiheit und Demokratie, diese Dreistigkeit ist kaum noch zu überbieten.
Auch die Frau Bundeskanzlerin ließ sich in ihrer Beileidsadresse nicht lumpen:
„Wir weinen mit ihnen. Wir werden gemeinsam mit ihnen den Kampf gegen die führen, die ihnen so Unfassbares angetan haben.“ Merkel weiter: „Die Menschen in Paris müssen einen Albtraum von Gewalt, Terror und Angst durchleiden“, so die Kanzlerin. „Wir wissen, dass unser freies Leben stärker ist als jeder Terror.“
Dieser Albtraum von Angst, Gewalt und Terror ist exakt das, was Menschen in Ländern wie dem ehemaligen Irak schon sehr lange erdulden müssen, möchte ich der Bundeskanzlerin da zurufen. Aber sie würde mich ja ohnehin nicht hören.
Es ist exakt dieser Albtraum, vor dem die Menschen aus Syrien und dem Irak fliehen, die jetzt vor unseren Grenzen stehen, die ins Land kommen und dann mit Gewalt und Terror begrüßt werden, wenn Nazis ihre Asylbewerberheime anzünden. Ja, ich setze solche Menschen gleich mit anderen, die mit automatischen Waffen wahllos in eine Menschenmenge schießen. Das in Deutschland nicht noch mehr Menschen verletzt oder getötet worden sind bei den bisher mehr als 500 Anschlägen auf Asyl- und Hilfseinrichtungen in diesem Jahr, ist nur der Tatsache geschuldet, daß die für Asylbewerber vorgesehenen Gebäude zum Zeitpunkt der Anschläge meistens noch leere Gebäude waren.
Man gebe den Leuten, die nächsten Montag wieder bei Pegida mitmarschieren, die entsprechenden Waffen in die Hand und bringe sie zu einer Aufnahmestelle für Flüchtlinge. Ich wette, das Blutbad wäre nur eine Frage kurzer Zeit. Von der Hetze in der eigenen Denkblase bis zur Ausführung und Explosion von Gewalt ist es niemals besonders weit. Zwischen der Realitätsisolierung des Islamischen Staates und einer Gruppierung wie Pegida gibt es da keinen Unterschied.
Seit Jahrzehnten erzeugt eine von vornherein idiotische Politik der USA mehr und mehr organisierten Terror auf unserer Welt, da kann man bis in die 50er Jahre zurückgehen. Vor dem Sturz eines gewählten Oberhauptes names Mossadegh im Iran ist so etwas wie internationaler Terror heutiger Prägung eigentlich gar nicht existent. Der damalige Iran war übrigens eine säkulare konstitutionelle Monarchie.
Das ist keine Verschwörungstheorie, ebensowenig wie mein Hinweis auf den Irakkrieg und das Öl als Motivation. All diese Dinge sind längst bestätigt. Die Rekrutierung der Schergen für bin Laden gegen die Sowjets in Afghanistan wird von der CIA noch heute als einer ihrer größten Erfolge gerühmt. Das habe ich ebenfalls nicht erfunden oder unterstellt. All das ist faktisch problemlos nachvollziehbare Geschichte.
Aktuell bombardieren die USA das Öl, das sie eigentlich mal aus dem Irak rausholen wollten, und das jetzt dem IS gehört, der damit seinem Terrorkonto 40 Millionen US-Dollar pro Monat hinzufügen kann. Ein großartiges Ergebnis zielgerichteter Agenda-Politik.
Jetzt, mit Beginn des 21. Jahrhunderts, steht die sogenannte und von all unseren Medien auch jetzt wieder viel beschworene „westliche Wertegemeinschaft“ vor den Trümmern ihrer Existenz.
Menschen, die seit Jahrzehnten in den Ländern vor sich hinvegetieren, die wir für unseren beständigen Rohstoffzufluß ausbeuten, machen sich auf die Socken und kommen zu uns. Andere Menschen fliehen vor Bürgerkriegen, die ihr Land zerreißen oder gar ganz von der Landkarte haben verschwinden lassen, sie fliehen vor Bomben ihrer eigenen Staatsoberhäupter oder dem Zugriff der Rekrutierungstrupps des Islamischen Staates, der eigentlich weder islamisch ist noch ein Staat. Empfangen werden sie mit Haß, der von denen noch geschürt wird, die die Wohlstandsverteilung in unserer Gesellschaft kontrollieren, einer Machtelite aus Meinungsbildnern und Verwaltern des pseudodemokratischen Zentralismus in Berlin, in London, in Brüssel und – ja, auch in Paris.
Wir haben tatenlos zugesehen, wie die westlichen Demokratien ihre Werte verraten. Wir haben sogar applaudiert.
Friedensnobelpreisträger zeichnen Todeslisten ab und lassen Menschenleben per Knopfdruck auf der Fernsteuerung vernichten, während uns selbsternannte Medienexperten mit erhobenem Zeigefinger bei Anne Will oder Günther Jauch erzählen, Killerspiele gefährdeten unsere Kinder und provozierten Amokläufe.
Die größte kapitalistische Supermacht der Welt, die offiziell noch immer demokratischen USA, enthüllen sich selber als präfaschistischen Folterstaat und ziehen daraus keinerlei Konsequenzen. Sie werden auch nicht sanktioniert oder zu Konsequenzen aufgefordert, stattdessen geben sich unsere Politiker alle Mühe, diese unangenehme Tatsache möglichst schnell vergessen zu machen. Keine Anklagen gegen mögliche Kriegsverbrecher werden durch Generalbundesanwälte erhoben, weil diese ehemalige Präsidenten und Verteidigungsminister Amerikas sind.
Während unsere Politik unsere Gesellschaft als freiheitlich lobt, werden Überwachungsgesetze verschärft oder neu eingeführt, der Polizei mehr Macht gegeben, marodieren durchgeknallte Geheimdienste im Hintergrund tagtäglich als Staat im Staate gegen das eigene Volk und gegen alle, die offiziell Verbündete sein sollen, Frankreich eingeschlossen.
Während von Demokratie gesprochen wird, wird ein Land wie Griechenland mit brutaler fiskalischer Gewalt in den Staub getreten, damit eine Regierung, die angetreten und gewählt war, einen nachweislich volkswirtschaftlich unsinnigen und schädlichen Sparkurs zu verlassen, am Ende einem Maßnahmenkatalog zustimmt, der noch drakonischer ist als alles andere vorher.
Wenn man Menschen in einem solchen Staat jegliche Hoffnung nimmt auf eine Krankenversicherung, eine Berufsausübung, eine Ausbildung, jede Hoffnung, vielleicht einmal eine Familie gründen zu können oder sich mit den eigenen Händen etwas zu erarbeiten, das ein Stück weit einen persönlichen Traum verwirklicht – ist das nicht auch Terror?
Hier wird mit Bankkonten und Arbeitsmarkt agiert statt Bomben und Waffen. Die einen sterben schnell, die anderen werden für marktkonforme Demokratie langsam ausgeblutet, damit irgendwo Banken gerettet und weiterhin Renditen gezahlt werden können. Die einen folgen fanatisch einer ins Absurde und Abstoßende verzerrten Variante einer ehemals aufgeklärten Religion. Die anderen folgen einem ins Absurde verzerrten, zum religiösen Dogma verkommenen Kapitalismus, dessen einziges Programm seine Selbsterhaltung geworden ist und die fortwährende Bereicherung seiner von ihm profitierenden Eliten.
Wenn in einem europäischem Land wie Portugal ein Präsident der gewählten Mehrheit im Parlament eine Regierungsbildung untersagt, weil er es vermeiden will „falsche Signale an die Finanzmärkte zu senden“ – was ist das noch für eine Auffassung von Demokratie?
Schon jetzt geifert eine CSU wieder herum, man müsse sofort alle Flüchtlinge in und auf dem Weg nach Deutschland kontrollieren oder an der Grenze abweisen. In Spanien brannte eine Moschee, ein Zusammenhang mit Paris wird nicht ausgeschlossen. In Calais brannte am Morgen ein Zeltlager mit Flüchtlingen. Der deutsche Innenminister de Maizière nährt die Angst, indem er davon spricht, daß Deutschland „weiterhin im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus steht„. Es wird gezielt auf uns, vermitteln diese Worte, und jederzeit könnte der Killer abdrücken. Das ist keine Deeskalation, die da betrieben wird.
Der IS, der sich zu den Anschlägen von gestern bekannt hat, betont ausdrücklich, es handle sich um eine „Vergeltung“ für das Engagement Frankreichs in Syrien bei der Bekämpfung des IS. Natürlich bombardiert Frankreich hier mit, weil es den IS gibt und den gibt es ja überhaupt nur, weil die USA damals in den Irak einmarschierten und…aber das hatten wir alles schon. Schon vor Jahrzehnten wurde der Wind gesät, der heute immer mehr als Sturm zurückkommt. Eine Spirale der Gewalt eskaliert immer so lange, bis eine Seite sagt „Aufhören!“
Aber niemand tut das. Stattdessen wir weiter aufgerüstet, verbal und real, wird weiterhin Angst gesät und gezüchtet. Wer Angst sät, will Macht ausüben. Dieses Prinzip ist uralt. Und es ist wirkungsvoll.
Ich rechtfertige nichts, was der IS in Paris getan hat, auf keinen Fall. Der lächerliche Kreuzzug-Islam in seiner steinzeitlichen Prägung, der von diesen Lebensvernichtern gepredigt wird, ist einer entwickelten Zivilisation unwürdig. Je eher man diese fanatischen Spinner von der Oberfläche der Erde verbannt, desto besser. Dann können sie sich in aller Ruhe mit ihrem Gott unterhalten, wobei ich stark bezweifle, daß der sie mit seiner Aufmerksamkeit beehren wird.
Aber unsere politischen Führer sind in meinen Augen unglaubwürdige Heuchler, nichts weiter. Ich glaube einer Frau Merkel und einem Francois Hollande, daß sie entsetzt sind über das Blutbad. Alles andere wäre zu furchtbar. Aber ich bezweifle von meiner Seite, daß diese Menschen die größeren Zusammenhänge verstehen oder auch nur im Blick haben.
Ich habe ein paar dünne persönliche Verbindungen zu Frankreich und bin heute ebenso erschüttert wie andere auch. Aber wir dürfen uns nicht weiter instrumentalisieren lassen von einer Politikerkaste, die immer ihrer eigenen Agenda folgt. Und es ist sicher, daß genau diese Versuche erfolgen werden.
Der NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat Frankreich bereits seine Unterstützung zugesichert, vom Bündnisfall ist die Rede, denn Präsident Hollande spricht auch von einem „Kriegsakt“. Es ist dieselbe NATO, die mit ihrer Politik nicht ganz unschuldig ist an der aktuellen Situation in einem Land wie der Ukraine oder in Libyen.
Was der IS getan hat, ist – im Gegensatz zu den Worten Obamas – kein Verbrechen gegen die Menschheit. Das ist Unsinn. Was der IS getan hat, ist ein Verbrechen wider die Menschlichkeit. Das ist ein Unterschied, den unsere Lenker und Beweger nicht zu verstehen scheinen oder aber nicht verstehen wollen. Sie wollen auch nicht, daß andere diesen Unterschied bemerken oder begreifen und dank massiver Propaganda in der letzten Zeit fällt es Menschen auch zunehmend schwer, hier weiter aufmerksam zu sein oder zu bleiben.
IS-Terror in Paris ist aber auch nicht mehr ein Verbrechen als all die Dinge, die wir als Bevölkerungen der Staaten des Westens seit Jahren in steigendem Maß hinnehmen. Wir zucken mit den Schultern und sagen uns „Na ja“, wenn es ein irakischer Marktplatz ist, auf dem 100 Menschen sterben und kein französisches Theater. Wir blenden aus, was unser Urlaub in 10.000 km Entfernung an Sprit verbraucht, der ja irgendwo herkommen muß. Wir hinterfragen die Quellen unseres Wohlstands nicht, den wir uns nach eigener Legende komplett selbst erarbeitet haben. Wir verschließen die Augen vor der Wahrheit wie Kinder, die glauben, daß das Monster unter dem Bett sie dann nicht sehen kann.
Wir schließen die Augen, weil wir zuviel Angst haben, im Spiegel unser Gesicht zu erblicken. Es könnte blutverschmiert sein.
Wir finden es nicht erstaunlich, wenn eine EU einen Friedensnobelpreis bekommt, die in Sachen Flüchtlingspolitik nicht seit Wochen, sondern bereits seit Jahren systemisch versagt, und das auch ganz bewußt. Schon vor dem Bürgerkrieg in Syrien wurden tote Afrikaner an den Stränden der Kanaren aufgefunden oder auf Malta oder Lesbos. Dieser Bürgerkrieg selbst geht inzwischen in sein fünftes Jahr. Die „Krise“ in ihrer reinen Definition als ein „plötzliches, unerwartetes Ereignis“ ist gar keine solche.
Unsere permanente Gleichgültigkeit, unser Unwille, uns mit dem Gesamtbild auseinanderzusetzen, macht uns am Ende alle zu Tätern, und sei es auch nur aus purer Ignoranz und Bequemlichkeit. Immer mehr haben wir uns entfernt von den hehren Prinzipien, auf denen unsere Zivilisation gegründet sein sollte und es ist den meisten von uns egal.
Immer wieder haben wir uns in den letzten Jahren und Jahrzehnten ein Stück Menschlichkeit aus der Hand nehmen lassen von einer Politik, die verspricht, das gegen ein Stückchen Sicherheit einzutauschen. Für einen Preis, versteht sich.
Wir sollten nicht länger bereit sein, diesen Preis zu bezahlen. Ob demnächst in Frankreich Marine le Pen oder hier in Deutschland die AfD härteres Vorgehen gegen Flüchtlinge verlangen wird, ob in anderen Ländern die Grenzen geschlossen werden oder Zäune gebaut und Grenzkontrollen wieder eingeführt werden – es ist letztlich unser eigenes Spiegelbild, das uns entgegenstarrt. Ob es uns gefällt oder nicht.
Sie werden wieder alle Muslime verdammen oder alle Ausländer, sie werden sich überschlagen beim Gesetze verschärfen, bei den Forderungen nach mehr Sicherheit, nach mehr Überwachung, nach weniger Freiheit. Sie werden wieder ihre Stimme erheben und uns Angst einjagen vor dem Morgen, vor der unsicheren Zukunft, die sie mit ihrer eigenen Blindheit selber herbeigeführt haben und weiter herbeiführen.
Ich werde ihnen nicht glauben, trotz all meiner Erschütterung und trotz all des geflossenen Blutes. Ich werde nicht aufhören, mir das klar zu machen. Ich werde nicht aufhören, Fragen zu stellen, um das ganze Bild zu sehen. Denn der Terror der Anderen ist auch immer der Terror in meinem Spiegel.