– III –
Weltenfresser
„Die Menschen müssen begreifen, daß sie das gefährlichste Ungeziefer sind, das je die Erde bevölkert hat.“
Friedensreich Hundertwasser
Auf der einen Seite ist unsere Zivilisation nichts Besonderes auf diesem Planeten, es ist nicht so, als hätte es vor uns noch nie eine gegeben.
Auf der anderen Seite ist es sie es aber doch. Ich behaupte sogar, daß unsere Zivilisation etwas völlig Einzigartiges ist, also so besonders, wie nur etwas sein kann.
„Wie ist das möglich?“, fragt sich vielleicht jemand. Hatte ich nicht extra betont, daß wir eben keine Sonderstellung einnehmen, daß eben für uns dieselben Regeln gelten wie für andere Zivilisationen vor uns?
Wie auch in so vielen anderen Aspekten des 21. Jahrhunderts ergibt sich hier ein Paradoxon, ein „sowohl, als auch“.
Noch niemals hat Mensch eine Kopfstärke von aktuell 7,3 Milliarden Menschen hervorgebracht. Gerade ein Herr Malthus hätte so etwas für vollkommen absurd gehalten, denn nach seinen Erkenntnissen hätte uns auf dem Weg zu dieser Masse Mensch schon längst die Nahrung ausgehen müssen. Was jedoch nicht bedeutet, daß Malthus falschgelegen hätte.
Wir sind in Bereiche vorgedrungen, die einigen unserer Vorfahren des 19. Jahrhunderts etwa so magisch erscheinen dürften wie der Elektrik-Trick einem Mann namens Catweazle. Es gibt Bereiche heutiger Technologie, die mir allmählich wie Magie erscheinen und ich lebe hier und jetzt und habe die Entwicklungen mitverfolgt, soweit mir das möglich ist.
Aus Röntgenstrahlen mit verwaschenen Bildern sind dreidimensionale Bildgeber in Farbe geworden, aus knatternden Kisten aus Sperrholz und Spanndraht Jetliner, die jeden Tag global mehrere hunderttausend Flugbewegungen abwickeln und ebenso Millionen Menschen bewegen.
Mechanisch verschaltete Zahnraddingsbumse eines Herrn Babbage oder eines Konrad Zuse haben sich mit Erfindung des Mikrochips in eine Technologie verwandelt, die in den 70er Jahren Computer hervorbrachte, die so groß waren wie Schukartons statt so groß wie ein Wohnzimmer. Jetzt, ein knappes halbes Jahrhundert später, steuern die Dinger den ganzen Planeten.
Verkehrsüberwachung, Luftraumüberwachung, Börsenkalkulationen, Handelsabwicklung über den Globus, Kommunikation – nichts geht mehr ohne ein Heer aus digitalen Helferlein ab. Informationsverwaltung hat die Form eines globalen Computernetzwerks angenommen, in dem ich die Dinge veröffentlichen kann, die ich schreibe. Im „Wilden Westen“ des mittigen 19. Jahrhunderts wäre das eine wöchentliche Kolummne in einer eigenverlegten Zeitung gewesen. Gegen das Internet sieht selbst die Bibliothek von Alexandria ziemlich schlapp aus.
Satelliten schwirren in zunehmender Zahl über unseren Köpfen und beobachten jeden Aspekt unserer nahen und fernen Umgebung, von der Aktivität der Sonnenoberfläche bis zum Verhalten des arktischen und antarktischen Eises.
Noch vor hundert Jahren gab es Wissenschaftler, die fest davon ausgingen, daß das Projekt eines „Fluges in den Weltenraum“ wohl kurz vor dem Aussterben der Menschheit in einigen Millionen Jahren verwirklicht werden würde.
Was auf der einen Seite sehr optimistisch ist, wenn man bedenkt, daß Mensch ja schon 7 Milllionen Jahre gebraucht hatte, um solche Wissenschaftler hervorzubringen und auf dem Weg so mancher Zweig der Gattung Homo für immer ausstarb. Andererseits war das etwas pessimistisch, denn nur 40 Jahre später hüpfte Armstrong durch den Mondstaub, dorthin getragen von der stärksten chemischen Rakete, die Mensch jemals erbaut hat. Wie bescheuert muß man eigentlich sein, um sich auf eine Rakete zu setzen, die mit flüssigem Wasserstoff und Sauerstoff gefüllt ist und etwa 110 Meter hoch?
Wenn bei diesem Unternehmen auch nur eine Kleinigkeit schiefgeht, braucht man sich nur an den Chemieunterricht erinnern und den Knall des wasserstoffgefüllten Luftballons ungefähr mit einer Billion multiplizieren. Aber die Wahnsinnigen sind trotzdem geflogen, erfolgreich auch noch.
Der Koloss von Rhodos, die sagenhaften Hängenden Gärten, der Leuchtturm von Pharos vor Alexandria, die Zeus-Statue des Phideas in Olympia, das Artemision von Ephesos, die Pyramiden auf der Ebene von Gizeh – die Welt war schon in der Antike voller Wunder.
Aber was ist das schon gegen eine Freiheitsstatue, einen Eiffelturm, gegen einen Burj Khalifa oder überhaupt gegen unsere Städte, deren Häuser weiter in den Himmel ragen als alles, was unsere Ahnen jemals erschaffen haben?
Leuchtende Monumente unserer Großartigkeit, angefüllt mit mehr menschlichem Leben als früher auf ganzen Kontinenten existierte.
In einem urbanen Großraum wie Tokyo leben heute 35 Millionen Menschen, das ist knapp doppelt soviel, wie Japan Anfang des 17. Jahrhunderts mit Beginn der Edo-Periode aufgewiesen hat. Die Weltbevölkerung betrug zu diesem Zeitpunkt etwa eine halbe Milliarde.
Gegenden, die früher unbewohnbar waren, sind heute besiedelt. Florida zum Beispiel. Kein Mensch käme auf die Idee, im Süden der USA unter Stechmücken, Alligatoren, Sumpf und widerwärtiger Luftfeuchtigkeit zu leben ohne eine Klimaanlage. Der „Old South“ der Amerikaner, der gerne historisch so verklärt wird, wurde erst dann richtig bewohnbar, als Klimaanlagen erfunden wurden und man die in ein Auto einbauen konnte. Überhaupt machen die „Southerner“ heute nichts anderes, als von ihren gut gekühlten Häusern in gut gekühlte Autos zu steigen um von da aus an gut gekühlte Arbeitsplätze zu fahren. Man könnte in diesen Gegenden nicht leben ohne Klimatisierung.
In einem Land wie Saudi-Arabien übrigens auch nicht, schon gar nicht in 800 Meter hohen Wolkenkratzern, neben denen der Turm von Babel aussehen würde wie ein Strohhälmchen.
Mensch ist heute einfach überall, von der schmelzenden Eiskappe des Nordpols bis zu den bröselnden Eisschelfen der Antarktis. Kein Dschungelvolk ist heute noch davor sicher, von einem spähenden Satellitenauge geknipst und an die Weltpresse weitergegeben zu werden. Ich weiß nicht, ob Satelliten schon alleine twittern können, aber beim nächsten Modell bauen die das bestimmt ein.
Menschliche Raumsonden haben den Mars besucht, die Venus, das Jupiter-System, den Saturn, selbst Pluto haben wir nicht unbelästigt gelassen.
Die Neugier des Menschen richtet seine Aufmerksamkeit in ungeahnte Entfernungen.
Vor 20 Jahren gingen Didier Queloz und sein Kollege Michel Mayor, beide schweizer Astronomen, von der Idee aus, daß Planeten an ihren Sonnen gravimetrisch zerren müssen, wenn sie diese umkreisen. Diese winzigen Schwankungen sollte man mit einem Spektrographen messen können, wenn denn das Sonnensystem in Sichtlinie liegt, man also sozusagen direkt draufschauen kann. Was die beiden dann taten, und das erfolgreich. 51Pegasi wurde offiziell die erste Welt außerhalb des Sonnensystems, der US-Astronmom Geoffrey Marcy bestätigte die Entdeckung seiner beiden Kollegen. Die Weltpresse war hingerissen.
Das ist nicht ganz fair, denn eigentlich hatte man vorher bereits Planeten entdeckt, aber die umkreisten Pulsare und keine Sonnen. Niemand möchte etwas über Planeten wissen, die alle paar Minuten von massiver Röntgenstrahlung sterilisiert werden.
Marcy, selber Planetenjäger, entdeckte seinerseits im Laufe der Zeit mehr als 70 Exoplaneten. Nach aktuellem Stand der Dinge hat man 5.591 Exoplaneten in etwa 2.000 Sonnensytemen gezählt, davon sind bisher etwa 1.887 Entdeckungen bestätigt. Noch in diesem Jahrzehnt rechnet man damit, den ersten Erdzwilling zu entdecken draußen im All, nicht nur ,,erdähnliche“ Welten, was ja bei Astronomen immer etwas anderes bedeutet als bei Normalmenschen. Der bisher beste Kandidat ist Kepler 452-b.
Nunmehr wird ihnen nichts unmöglich sein, was immer sie sich vornehmen.
Selbst die Ozeane sind nicht vor unserer Neugier verschont geblieben. Tauchte man noch vor 50 Jahren mühselig erstmals zum tiefsten Punkt der Erde im Marianengraben ab, wissen wir heute eine Menge über Korallenriffe, haben den Boden der Ozeane kartographiert, wissen Bescheid über das gigantische Strömungssystem, das sich rund um unseren Planeten zieht und Energie verteilt in Größenordnungen, gegen die alle menschlichen Kraftwerke ein Streichholz vor dem Waldbrand sind.
Wir verstehen den Regenwald und seine Bedeutung ebenso wie die Wanderung von Fischschwärmen im Ozean, denn auch die entgehen unseren Satelliten und Sensoren nicht länger. Militärische und nichtmilitärische Ohren im Ozean können über 90 Prozent dieses gigantischen Raums abhören. Wann immer die Wale sich unterhalten – Mensch hört mit.
Auch im Kleinen und Kleinsten sind die Fortschritte nahezu unglaublich. Inzwischen kann Mensch einzelne Atome manipulieren, was ein Werner Heisenberg vermutlich für unmöglich gehalten hätte. Wir bauen Maschinen aus Atomen, die Arbeit verrichten. Nanoroboter, die man programmieren kann und die so klein sind, daß sie in eine Zelle eindringen können, ohne großartig aufzufallen. Gentherapien, bei denen tatsächlich kleine Maschinen beschädigte DNA mit Ersatzteilen reparieren, rücken in den Bereich des Möglichen.
Wir sind die bei weitem größte, leistungsfähigste und mit Wissen gesegnete Zivilisation, die Mensch jemals hervorgebracht hat. Unser Arm reicht überall hin, in sämtlichen Sprachen der Welt sind in den letzten hundert Jahren unzählige neue Worte aufgetaucht, die allesamt mit dem technologischen Fortschritt und seinem Einfluß auf das menschliche Leben zu tun haben, sei es nun Mikrowelle, Raumanzug, Vorratsdatenspeicherung oder der Vergleich der Bundeskanzlerin mit einer teflonbeschichteten Pfanne.
Das kleine Problem an der Sache ist, wir sind auch die einzige Zivilisation, die all diese Dinge jemals wird tun können. Denn wir sind es, denen der größte Schatz des Planeten in einem Umfang zur Verfügung gestellt wird, wie wir ihn niemals wieder erreichen werden. Erdöl und Erdgas, dieses in Millionen von Jahren von der Natur freiwillig und kostenfrei zur Verfügung gestellte Energiepaket, ist exakt das, was unsere Zivilisation einzigartig macht.
Die Menschen haben sich, wie ich bereits erwähnte, nicht besonders verändert. Aber unsere Lebensumstände haben es.
Wie man der obenstehenden Grafik entnehmen kann, setzt das, was einige Wissenschaftler inzwischen das Anthropozän nennen, also das Erdzeitalter des Menschen, ziemlich genau zu dem Zeitpunkt ein, an dem man historisch die 1. Industrielle Revolution verortet.
Das wäre also die beginnende massive Nutzung von Kohle statt Holz für die auch noch nicht so lange erfundene Dampfmaschine. Beides bedingt einander, denn man brauchte das leistungsfähigere Modell der Dampfmaschine von Watt, um die Kohlegruben in England wasserfrei zu halten, um tiefer graben zu können, um damit mehr Kohle aus dem Boden zu holen – für noch mehr Dampfmaschinen.
Und so fütterte sich die Kohlerevolution selbst, Mensch hatte seinen ersten fossilen Brennstoff entdeckt und war dabei, die ersten Heerscharen der Energiesklaven einzustellen. Bis heute haben wir es dabei belassen.
Alle Kurven der Grafik zeigen eine exponentielle Form, besonders deutlich ist der massive Anstieg aller Werte ab den 1950er Jahren, die beschriebene Große Beschleunigung. Die Erklärung hierfür ist bei kurzer Überlegung simpel. Natürlich brauchen die Folgen des menschlichen Handelns eine Weile, um sich im System der irdischen Ökosphäre sichtbar auszuwirken. Und im Jahr 1950 gab es genau eine Nation auf dem Planeten, die in größerer Menge Erdöl pro Kopf verbraucht hat, die USA nämlich. Deutschland war vom Krieg zerstört oder – wie Großbritannien und Frankreich – massiv überschuldet. Japan sah nicht besser aus. Stalins Sowjetunion war ebenfalls noch dabei, sich aus den Kriegstrümmern zu befreien. China war damit beschäftigt, den letzten Nationalchinesen nachzuwinken, die nach dem Bürgerkrieg vom Festland flohen und Taiwan gründeten. Maos Rotchina war im Grunde eine primitive Agrarnation. Von Indien und Brasilien reden wir mal nicht.
Innerhalb der nächsten 20 Jahre sollte sich dieses Bild gewaltig verändern, zumindest, was Europa und im asiatischen Raum speziell Japan betraf.
Der Zusammenhang zwischen Energieverbrauch pro Kopf und Wirtschaftswachstum wird hier so offensichtlich wie selten. Auch die Verzögerung der ökologischen Auswirkungen ist den Kurven gut zu entnehmen.
Mit der Verfügbarkeit der fossilen Brennstoffe Erdöl und Erdgas wurde Mensch auf diesem Planeten endgültig übermächtig. Was die Natur in Millionen Jahren an gesammelten Sonnenlicht gespeichert hatte, wurde plötzlich wieder verfügbar. Energie floß in die menschliche Zivilisation in einer kompakten, leicht transportablen, einfach zu handhabenden Form.
Plötzlich versetzte nicht länger Glaube irgendwelche Berge, sondern Dynamit. Kaum waren Telegraphenmasten eine Alltäglichkeit, schwang Mensch sich in die Lüfte, asphaltierte Straßen für das neue Automobil, zertrümmerte die langkettigen Kohlenwasserstoffe des Erdöls in hunderte nützlicher Dinge, die man auf Felder sprühte, auf Obstbäume spritzte, dem Wasser beigab. Die Flüssigkeit Erdöl betrieb Pumpen, die eine weitere wichtige Flüssigkeit förderten – Wasser. Bewässerungssysteme breiteten sich aus. Die Medizin lernte die Viren kennen und erfand das Antibiotikum. Ärzte wuschen sich die Hände und begannen Lungen und Herzen zu operieren. Auf immer mehr Gebieten drang Mensch in Bereiche vor, die noch eine Dekade zuvor undenkbar gewesen waren. Der Fortschritt selbst schien sich exponential zu beschleunigen, der grenzenlose technologische Optimismus dieser Zeit ist in den Science-Fiction-Romanen der 50er und 60er Jahre klar zu erkennen.
Die scheinbar endlose Verfügbarkeit an billiger, hochkonzentrierter Energie, die sich aus dem größten Lottogewinn aller Zeiten ergab, gebar eine Wirtschaftsphilosophie, die fundamental auf dem Gedanken beruhte und beruht, daß nichts unmöglich ist, daß keine Grenzen existieren, daß man immer eine Möglichkeit finden wird, um Probleme zu lösen.
Immer mehr Menschen leben heute auf der Erde, davon immer mehr in Städten. Inzwischen sind es über 50 Prozent der Erdbevölkerung.
Wir brauchen immer mehr Energie, die Eindämmung von Flüssen, die Anzahl von Kohlekraftwerken, die von Atomkraftwerken – all das stieg und stieg.
Immer mehr steigt auch die Konzentration von CO2 in der Erdatmosphäre an. Die Konzentrationen von Stickoxiden und Methan steigen ebenfalls, beides sind Treibhausgase, die wesentlich stärker wirken als das Kohlendioxid. Ein wärmer werdendes Klima führt zu mehr Verdunstung, die mehr Wolken hervorbringt. Auch Wasserdampf ist ein sehr effektives Klimagas. Das ist nur einer von vielen Regelkreisläufen.
Ein völlig neues Bild ergab sich im Laufe der Zeit. Im 16. Jahrhundert konnte Mensch das relativ leere Amerika besiedeln, der Doppelkontinent spülte eine ungeahnte Menge an Ressourcen nach Europa. Ein Pool an Ressourcen, der den Reichtum Europas in ungeahnte Höhen schraubte und die Herrschaft des Kontinents über einen großen Teil der Welt besiegelte. Zumindest für eine Weile.
Im 19. Jahrhundert konnten Amerikaner, frisch vom englischen Mutterland wegrevoltiert, sich nach Westen begeben, um neues Land zu erschließen und so ihr Leben zu bestreiten. Bis der Pazifik auch hier der Expansion Grenzen setzte.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts ändert sich die Vorgehensweise. Mensch beginnt ganz massiv damit, andere Lebensformen zur Seite zu drängen, um sich selber mehr Raum zu verschaffen. Das hat er schon immer in gewissen Rahmen getan, aber zu diesem Zeitpunkt nimmt die Sache völlig andere Dimensionen an. Unzählige Tierarten erlitten und erleiden heute das Schicksal der Wale im 19. Jahrhundert, die Viecher sterben schneller aus, als wir sie entdecken können.
Die Meere werden mit Plastik verseucht, inzwischen sind Trümmer der äußerst langlebigen Kunststoffe rund um den Globus im Ozean zu finden. Selbst arktischer Krill ist vor den Mikropartikeln nicht mehr sicher.
Der nordatlantische Kabeljau hat sich vom Zusammenbruch seiner Bestände nie mehr erholt, obwohl Kanada Anfang der 90er Jahre ein komplettes Moratorium für den Fischfang erlassen hat. Aus meiner Kindheit kenne ich den Kabeljau als Arme-Leute-Fisch. Heute wird er in Feinschmeckerrestaurants zu Preisen aufgerufen, die man selbst mit Geld nicht mehr bezahlen möchte.
Über 90 Prozent aller Fischarten in den irdischen Ozeanen gelten als überfischt, ein großer Teil von ihnen wird zusammenbrechen, wenn wir den Fang nicht sofort einstellen. Was aber nicht passieren wird, da Fisch noch immer eine der wichtigsten Proteinquellen der Menschheit ist.
Noch heute beschweren sich spanische oder portugiesische Fischer immer wieder über Fangquoten und bringen das Argument vor, diese gefährdeten ja Arbeitsplätze. Sie sollten sich vielleicht mal mit ihren kanadischen Kollegen unterhalten, die keine Arbeit mehr haben und auch nie wieder welche finden werden, jedenfalls nicht in kanadischen Gewässern. In der Zwischenzeit umgeht man das Problem der Quoten, indem man einfach vor Westafrika anderen Menschen ihre Ressourcen wegfischt. Eine Ressource, die eigentlich unendlich verfügbar sein sollte, denn im Gegensatz zu anderen Dingen vermehren sich Fische ja.
Statt anzuhalten, beschleunigt Mensch auf der eingeschlagenen Bahn immer weiter.
Mensch verbraucht immer mehr Wasser und stellt genetisch gezüchtete Pflanzen auf seine Felder, um steigende Erntequoten zu garantieren. Trotzdem nehmen die Weltgetreidevorräte ab. Das scheinbare Paradoxon erklärt sich damit, daß diese eben gerade einen Höchststand erreicht haben. Trotzdem sinkt die Pro-Kopf-Quote an Getreide seit einiger Zeit, da die Weltbevölkerung weiter wächst. Immer mehr Getreide wandert als Agrarsprit in den Tank oder als Futter in den Trog, denn auch der Fleischkonsum weltweit steigt an. Für neue Felder wird alter Wald geopfert, im Amazonasgebiet wie anderswo. Langsamer abholzen ist da auch keine Lösung. Durch zunehmende Bewässerung fallen weltweit die Grundwasserspiegel in erschreckendem Maß. Und das, was wir ernten, wird immer giftiger, da die genetisch hochgezüchteten Pflanzen nicht immun sind gegen Schädlinge, sondern gegen die Gifte, die auf sie gesprüht werden. Diese Gifte werden hergestellt von denselben Firmen, denen das genetisch patentierte Saatgut gehört.
Immer mehr Dünger wird verbraucht, entweder in Form natürlicher Phosphate oder in Form von Stickstoffdünger, für dessen Gewinnung im Haber-Bosch-Verfahren Erdgas als Wasserstoffquelle dient. Wir streuen also fossile Rohstoffe auf unsere Felder, mit wachsender Begeisterung. Die vorgeschlagenen Lösungen laufen meist darauf hinaus, so weiterzumachen wie bisher, nur eben noch intensiver.
Immer mehr Menschen fliegen an immer entlegenere Orte, um irgendwelchen seltenen Tieren beim Aussterben zuzusehen. Ihre komfortablen, zum Großteil aus modernsten Kunststoffen bestehenden Düsenflieger durchziehen einen Himmel, der immer dichter zugeschraubt wird und hinterlassen dabei eine Spur der Vernichtung aus CO2.
Immer mehr, immer schneller, immer weiter, immer überallhin und jederzeit.
Mensch hat sich von einem Planetenbewohner unter vielen zum größten und gefährlichsten Raubtier entwickelt, das jemals auf der Erde wandelte.
In biologischen Todeszonen an den Küsten, die immer dichter von menschlichen Städten besiedelt werden, blühen Milliarden Quallen. Ein Zeichen, daß es dem entsprechenden Ökosystem nicht gut geht. Es sind so viele, daß sie sogar küstennahe Kernkraftwerke lahmlegen können.
Trillionen von Algen blühen in den Meeren und nehmen dabei den Raum ganzer Länder ein.
Wenn derartige Massenvermehrungen vorkommen, spricht man üblicherweise von einer Plage. Ob es Quallen sind, Algen, Heuschrecken oder Maikäfer. Nur beim Menschen tut man das seltsamerweise nicht. Aber es ist die Wahrheit und es hat keinen Sinn, davor länger die Augen zu verschließen: Mensch hat sich zu einer Plage für den Planeten entwickelt, für alles, das außer unserer Spezies hier lebt.
Mit unseren großartigen Errungenschaften und Fähigkeiten sollten wir Bewahrer der Natur sein, Gartenpfleger, die den Planeten verwalten, auf das sein Blühen auch unsere Kinder noch ernähre und seine Bäume auch unseren Enkeln noch Schatten gewähren.
Doch selbst naturgemäß endlose Ressourcen wie Fische und Pflanzen, Pilze und Tiere gehen uns aus, wir verwandeln kostbaren Ackerboden in toten Staub, der von Wind und Regen fortgetragen wird, während die Flüsse den überschüssigen Dünger in den Ozean tragen und mit Algenblüten Todeszonen erschaffen oder Trinkwasser verseuchen.
Mensch hat sich offensichtlich entschlossen, den Garten zu verwüsten. Wir bewahren nicht, wir fressen die Welt auf. Jeden Tag, rund um die Uhr. Unermüdlich werden Gruben gegraben, Wälder abgeholzt, Energie wird verschwendet. In einer Art kollektivem Wahn hat Mensch sich daran gemacht, den Planeten zu fressen, beseelt vom festen Glauben daran, daß man ja jederzeit einen neuen erschaffen könne. Die Technologie wird es schon richten. Der Markt erfordert es.
Wie ein Schläfer mit schlechtem Gewissen sich ruhelos auf seinen Kissen wälzt, geplagt von Albträumen, so wälzt sich Mensch über den Planeten.
Der Unterschied zwischen Tag und Nacht ist hierbei unerheblich. Wo nachts keine Wälder fallen, zersetzen hell erleuchtete Raffinerien das Blut, das wir der Erde ausgesaugt haben, in mehr tödliche Chemie, mehr Benzin, mehr Kerosin, mehr Düngemittel. Der Parasit schläft niemals, ruhelos nagt er an der Substanz der Welt.
Mehr und mehr wird offensichtlich, daß Mensch vor einigen Jahrzehnten falsch abgebogen ist. Die Dinge laufen aus dem Ruder.
Das ist die Beziehung, in der die Menschheit tatsächlich einzigartig ist. Als einzige Art dieser Welt sind wir, angetrieben von den Fluten fossiler Energie, in der Lage, die Grenzen der Ökologie an allen Stellen zu dehnen, zu umgehen und sie zu überschreiten.
In unserer grenzenlosen Arroganz lassen wir dabei außer acht, daß eine derartige Überschreitung der Grenzen Folgen haben wird, Folgen haben muß.
Wir sind angetrieben von einer Wirtschaftsphilosophie, die auf falschen Fundamenten ruht. Wir werden von Politikern und Eliten der Meinungsbildung verwaltet, deren Versuche, ihre eigene Machtbasis zu erhalten, den Status Quo auf keinen Fall zu gefährden, einen zunehmend verzweifelten Eindruck machen.
Wir folgen einer Wissenschaft, die mehr und mehr im finanziellen Rahmen zum Erfüllungsgehilfen von wirtschaftlichen und politischen Wunschträumen degradiert wird, aber Wunschträume sind eben keine wissenschaftlich haltbare Agenda.
Von Propaganda berieselt, die uns zu Konsumenten degradiert, folgen die meisten von uns willig den Einflüsterungen einer kapitalistischen Marktwirtschaft und lauschen verzückt dem Dogma des Ewigen Wachstums, dem gebetsmühlenartig wiederholten Versprechen des besseren Morgen, das von allen Seiten immer wieder rezitiert wird wie eine Litanei durch Weihrauchschwaden hindurch.
Eine Firma wie Apple hat keine Kunden, sie hat Jünger. Denkende Menschen zelten nicht auf dem Asphalt vor einem Laden in einer Innenstadt, um ein verdammtes Telephon zu kaufen. Schon gar nicht in Revision 1.0, da muß man kein ausgesprochener Nerd sein, um das zu erkennen.
Der Unterschied zu bekloppten Esoterikern, die im Jahr 2000 auf Berge steigen, um hier von den herbeigebeteten Aliens abgeholt zu werden, damit man dem Weltuntergang entgeht, ist genau Null. Schon deshalb, weil nicht mal die Jahreszahl stimmt, wenn man das blöde Nicht-so-Smart-Phone mal auf den jüdischen Kalender umstellt oder so was.
Statt sich also einfach mal von seiner Hysterie zu erholen und nicht weiter mit hektisch ausgreifendem Schritt und Schaum vor dem Mund auf den Abgrund zuzurasen, ohne nach links oder rechts zu schauen, sieht sich Mensch umgeben von weiteren Horden an Lemmingen, die allesamt in die gleiche Richtung drängen und denkt sich in seinem dumpfen Primatengehirn: „Dann ist ja alles gut. Wir sind auf dem richtigen Weg.“
Hätten wir innerhalb der letzten hundert Jahre nur annähernd soviel Mühe aufgewendet, uns geistig weiterzuentwickeln, wie wir darauf verschwendet haben, uns gegenseitig umzubringen – all diese Dinge müßten hier nicht geschrieben werden. Aber wir haben es nicht. Noch immer ist Mensch beklagenswert unvorbereitet für das, was die nicht allzu ferne Zukunft bereithält. Die Bibliothek von Alexandria hatte übrigens mehrere Jahrhunderte Bestand, bevor sie dem Brand des Palastviertels zum Opfer fiel. Das heutige Wissen der Welt, im Internet gespeichert, ist unempfindlich gegen lokale Brände. Aber wehe, es fällt einmal etwas länger der Strom aus.
Während wir Weltenfresser noch glauben, die größten und mächtigsten Herrscher der Erde zu sein, sind die Paradoxien unseres Erfolges dabei, einen perfekten Sturm zu formen.
Das ist so ziemlich das Stärkste, was ich bisher gelesen habe.
Mein Respekt an den Autor!
Öhmmm…Danke 🙂