Das hellenische Syndrom

,,Politik ist nur der Spielraum, den
die Wirtschaft ihr läßt.“

Dieter Hildebrandt

Warum hatte ich eigentlich gehofft, daß die Politik sich in Sachen Griechenland mal irgendwie zu einer vernünftigen Entscheidung durchringen würde?
Es ist schon manchmal ein Kreuz, wenn man als alter Zyniker immer wieder daran erinnert wird, warum man manche Dinge eher zynisch betrachtet.
Aber nun ja – gib einer Frau Merkel was in die Hand und sie wird es noch spektakulärer runterrocken, als es selbst der größte Pessimist vermutet hätte.
Eigentlich bin ich gar nicht zynisch. Ich beobachte nur und kommentiere das Geschehen.

Statt also einen vernünftigen Plan vorzulegen, mit dem man Griechenland irgendwie wirtschaftlich auf die Beine helfen könnte, haben die europäischen Finanzminister letzten Montagmorgen eine Entscheidung getroffen, die man eigentlich nur als Versailles 2.0 bezeichnen kann.
Anstatt Griechenland etwas von seinen Schulden zu streichen – meiner Meinung nach wäre ein Erlaß der Schulden notwendig – hat man das einfach mal abgelehnt.
Klar, warum sollte man auch jemandem Schulden erlassen, von dem selbst einer der größten Gläubiger sagt, der kann das nie zurückzahlen. Wäre ja auch eine pragmatische und korrekte Lösung, warum sollte also ein Finanzminister, speziell ein deutscher, das irgendwie in Erwägung ziehen?

Dafür bekommt Griechenland aber mehr Steuern, weniger Renten und sowieso muß überall gespart werden. Die eigentlich ja linke Regierung hatte einen Teil dieses Pakets selber vorgeschlagen, im Grunde waren damit auch alle Beteiligten recht zufrieden, so klang es jedenfalls bis vorletzten Samstag. Bis dann dieser deutsche Finanzminister kam und altersstarrsinnig rumgrantelte.
Im Endeffekt bekam Griechenland noch mehr Sparmaßnahmen aufgebürdet. Man hat also exakt das Rezept benutzt, das in den letzten fünf Jahren maßgeblich zur Verarmung der Bevölkerung und zum Wegbrechen der Wirtschaftsleistung geführt hat. Ist ja auch logisch: Wenn ich Menschen noch mehr Steuern aufs Auge drücke, die keinen Job mehr haben, oder Rentnern, deren Rente um 40 Prozent gesunken ist, dann werden die bestimmt mit ihrem Konsum die Wirtschaft ankurbeln.
Also die Wirtschaft, die keine Leute mehr beschäftigt, sonst wäre ja die Arbeitslosigkeit nicht so hoch. So denkt der neoliberal geschulte Konservative europäischer Prägung. Wobei – „denken“ ist hier irgendwo das falsche Wort.

Zusätzlich hat man noch den alten Gassenhauer „Privatisierung“ aus der Versenkung geholt. Um ganz klarzumachen, daß Griechenland ein besetzter Staat ist, soll eine Art Treuhandanstalt Nationalvermögen im Werte von 50 Milliarden Euro verkaufen. Natürlich muß man das dafür erst einmal beschlagnahmen, wenn man so will. Insgesamt eine Maßnahme, die man früher bei Staaten anwandte, die gerade einen Krieg verloren haben, den sie vorher selber begonnen hatten.
Ich stelle mir vor, in Deutschland würde ein Laden gegründet, der den Hamburger Hafen beschlagnahmt, Schloß Neuschwanstein, die Berliner Museumsinsel und noch ein bißchen anderes Zeug und dann beginnt, das meistbietend zu verscherbeln.
Ob die deutsche BILDvölkerung© dann immer noch so begeistert wäre über den „Kompromiß von Brüssel“ wie aktuell, wage ich stark zu bezweifeln. Griechenland kommt also unter den Hammer. Akropolis bei eBay.
Wahrscheinlich kaufen die Amerikaner den ganzen Ramsch, die Simpsons wußten das nämlich schon vorher und Warren Buffett hat schon mal angefangen, Inseln zu kaufen, die sind grad günstig.

Greece on eBay

Man kann die Zukunft nicht vorhersagen? Man kann!
Experte Homer J. Simpson hat genau gewußt, was mit Griechenland passieren würde.

Der Witz an der Sache ist dann auch noch, daß wir Deutschen ja prima Erfahrungen gemacht haben mit Treuhandanstalten – damals, als diese DDR auf dem Wühltisch landete.
Mit dem neuen Gebilde ist es ebenso: Die Deutschen regen sich noch drüber auf, daß das ja nichts bringt, denn der ganze Laden soll von Griechenland verwaltet werden. Das zeigt wieder einmal mehr, wie außergewöhnlich dämlich der Durchschnittsdeutsche auf politischer Ebene ist, denn in Wirklichkeit wird die Abwicklung der Geschäfte von Europa, also von Brüssel aus, genehmigt. Man hat die formelle Kontrolle in Athen gelassen, in Wahrheit kontrolliert Europa den Verkauf des Tafelsilbers. Das könnte man auch wissen, denn es ist kein Geheimnis, was da so alles beschlossen wurde.

In Wahrheit wird dieser geplante Verkauf nichts bringen, schon gar nicht die 50 Milliarden, die er erbringen soll.
Denn wenn jemand gezwungen ist, Haus und Hof zu verkaufen, macht er damit schlechte Preise. Außerdem soll das ganze sich über Jahrzehnte hinziehen, dieses nationale eBay ist also nur ein wenig Augenwischerei für diejenigen Politiker in Deutschland, denen diese Demütigung Griechenlands noch nicht weit genug geht.
Über die regt sich jetzt aber keiner auf in Deutschland.
Sogar die Welt – die WELT! – weint rum, das im Ausland ja eine Welle von Deutschenhaß durch die Gegend rolle. Wobei natürlich außer acht gelassen wird, daß man als Schmierfink bei diesem Blatt selber dazu beigetragen hat.*
Selbst hier schafft man es also, „die Griechen“ noch als undankbar hinzustellen. Wir haben es doch nur gut gemeint, aber echt jetzt!

Über die Abstimmung im Bundestag wurde auch viel Gewese gemacht in deutschen Medien, aber da war ich völlig tiefenentspannt.
Die ehemalige SPD würde niemals einen Bruch der Koalition riskieren, selbst dann nicht, wenn Schäuble eine präventive Bombardierung Griechenlands vorschlüge, damit die Regierung schneller „Reformen“ einleitet.
Witzigerweise haben ausgerechnet die Linken das neue „Hilfspaket“ abgelehnt, mangels darin enthaltener Hilfe. Korrektes Argument, trotzdem paradoxe Politik.

Das kommt nämlich auch noch dazu: Das griechische Parlament hatte den Auftrag, die ersten Sparauflagen bereits am Mittwoch abzustimmen. Man hat also aus Brüssel einer anderen Nationalregierung vorgeschrieben, welche Gesetze sie zu verabschieden hat.
In diesem „Kompromiß“ geht es sogar so weit, daß Griechenland eine Möglichkeit finden soll, das Rentenurteil von 2012 wieder rückgängig zu machen. Auf diplomatisch heißt das, „die Konsequenzen des Urteils zu kompensieren“.
Es handelt sich dabei um ein Urteil des griechischen Verfassungsgerichts(!), das einen gewissen Minimalstandard festlegt zwischen Höhe der versprochenen – und erarbeiteten – Rente und der dann ausgezahlten Höhe. Anders gesagt: Der Staat kann hier nicht endlos bescheißen und einfach weiter kürzen.

Übersetzt hat Brüssel also gesagt: Ändert mal eure Verfassung. Denn anders kann man die Konsequenzen des Urteils nicht „kompensieren“.
Auch hier würde ich gerne mal die Reaktion der so begeisterten deutschen Öffentlichkeit sehen, wenn irgendwer so einen Zirkus mit unserem Land veranstalten würde.
Auf jeden Fall hat das Parlament in Athen diese Auflagen tatsächlich erfüllt und sie abgestimmt – wobei der Premierminister ohne eigene Mehrheit war und die Opposition die Gesetze verabschiedete, welche die Regierung eingereicht hatte. Dieselbe Regierung, die dann dagegen gestimmt hat. Auch in der griechischen Politik herrscht also im Moment heilloses Durcheinander. Aktuell ist von Neuwahlen die Rede, damit hätte Schäuble sein Ziel erreicht. Vielleicht. Kommt drauf an, was die Griechen wählen.

Trotz totaler Kapitulation und entsprechender Abstimmung wird Schäuble nicht müde, immer wieder seinen „Grexit auf Zeit“ in den Ring zu werfen, diese Lügenpackung, mit der er ja seit einer Woche gerne hausieren geht. Den Plan begründet er jetzt tatsächlich damit, daß das Sparpaket keinen Erfolg haben wird, was generell eine korrekte Erkenntnis ist. Aber nicht etwa, weil das Totsparen nichts bringt, sondern weil Herr Schäuble die griechische Regierung nicht für fähig und willens hält, dieses Sparpaket umzusetzen! Durchgedrückt hat er es aber trotzdem in Brüssel.
Ein starrsinniger alter Mann auf Rachefeldzug gegen eine ganze Nation. Aus psychologischer Hinsicht ließe sich hierüber sicherlich einiges sagen.

Nicht eine Sekunde würden wir Deutschen ertragen, was Griechenland als „Hilfe“ zugemutet wird.

Die Reaktion der Presse ist jedenfalls begeistert – in Deutschland. Während Deutschland federführend daran beteiligt ist, eine souveräne Nation in den Staub zu treten, finden deutsche Journalisten alle naselang Entschuldigungen dafür, warum das denn alles seine Richtigkeit haben soll.
Seltsamerweise findet sich im Ausland eigentlich keine Pressestimme, die das genauso sieht. Die meisten fragen sich ernsthaft, ob die deutsche Politik jetzt endgültig den Rest ihres mickrigen Verstandes verloren hat.
Der schon einmal zitierte Herr Habermaß sah sich gezwungen, dem englischen Guardian ein Interview zu geben und nicht etwa der deutschen Presse, weil das vermutlich ein sinnloses Unterfangen gewesen wäre. Ein Intellektueller, den man mit Politik aus der Heimat vertrieben hat.

Auf jeden Fall ist das alles so gelaufen, wie es schlimmer nicht sein könnte.
Griechenland soll weiter sparen, was natürlich seine Wirtschaft nicht in Schwung bringen wird. Eventuelle Erlöse aus dem Verkauf des Tafelsilbers sollen übrigens auch in den Abbau von Schulden fließen. Was gelogen ist, denn es dient nur den Zinszahlungen und außerdem zeigt es exakt die Prioritäten, die Schäuble und seine Kollegen gesetzt haben: Wir scheißen auf das Land, die Gläubiger müssen bedient werden.
Das Ganze hat man verbunden mit maximaler nationaler Demütigung und dabei etwa 50 Jahre diplomatischen Fortschritt in Europa sauber in die Tonne getreten – eine Einschätzung, die mir Herr Habermaß in seinem Interview freundlicherweise bestätigt.
Frau Merkel rumpelt durchs Porzellan im sprichwörtlichen Laden mit der Eleganz eines Brontosauriers beim Schuhplattler. Wo ich gerade dabei bin: Der Seehofer Horst, der Anführer dieser religiösen Radikalenpartei im deutschen Süden, hat sich zum Kompromiß dergestalt geäußert, daß er damit „sehr zufrieden“ sei.

Allein das würde mir in der politischen Arena nicht gefallen und mich dazu bringen, meinen Plan noch einmal gründlich zu revidieren. Wenn Vollhorst was für gut hält, kann da was nicht stimmen. Aber so sei es – unsere politische Führung hat also beschlossen, Europa zu töten und Griechenland ist das erste Opfer des Blutbades. Warum sollte ich die Weisheit dieses Entschlusses in Zweifel ziehen?
Zumindest habe ich diese Auftragskiller der europäischen Idee nicht gewählt, da muß ich mir keinen Vorwurf machen.

But now to something completely different…eine kleine Einführung in energetische Ökonomie

Es gibt allerdings an dieser ganzen griechischen Geschichte Aspekte, an die hierzulande scheinbar noch niemand gedacht hat.
Was mir neulich so auffiel und auch schon einmal kurz von mir erwähnt wurde, ist die Tatsache, daß Griechenland sehr stark importabhängig ist. Das betrifft den Aspekt der Nahrungsmittel und auch die Energie.
Wie ich schon einmal zart angedeutet hatte, ist Geld eigentlich ein relativ bedeutungsloser Platzhalter unserer Wirtschaftsform für das eigentlich Wichtige, ohne daß nichts in einer Wirtschaft funktionieren kann: Energie.
Nein, Geld ist kein Tauschmitel und soll es auch niemandem ermöglichen, Zugriff auf Waren und Dienstleistungen zu erlangen. Das wird zwar an Unis noch immer gelehrt, ist aber trotzdem Blödsinn.

Jetzt ist es so, daß Griechenland einen enorm hohen Prozentsatz seiner Energie in Form von Erdöl oder Erdöläquivalenten importiert. Es gibt ein weiteres Land, dessen Schicksal hier in den europäischen Medien nur als Randbemerkung vorkommt und das einen ähnlich hohen Prozentsatz an Energie importieren muß: Puerto Rico.
Dieses Land hat auch eine weitere Gemeinsamkeit mit Griechenland, es ist nämlich pleite. So pleite, daß es wohl nicht zu retten ist.

Warum sollte das ein Problem sein?
Aus dem einfachen Grund, daß das Phänomen, das Ökonomen als „Wirtschaftswachstum“ bezeichnen, sehr eng verknüpft ist mit dem Energieverbrauch einer Nation.
Genauer gesagt hängt der gesamte Fortschritt der letzten Jahrhunderte damit zusammen, daß die globale Gesellschaft in der Lage war, einen immer höheren Netto-Energieüberschuß pro Kopf zu er„wirtschaften“. Als Mensch vom Holz zur Kohle wechselte, kam die industrielle Revolution in Gang. Die Energiesklaven nahmen ihre Arbeit auf. Etwas später wurde das Öl hinzugefügt – unsere heutige Welt konnte Form annehmen. In nur zwei Jahrhunderten haben wir uns vom Agrarplaneten zu Weltraumerforschern entwickelt.
Mit Daten, die bis in die 50er Jahre zurückreichen, läßt sich problemlos erkennen, daß eine Nation dann wirtschaftlich erfolgreich ist, wenn sie über viel Überschußenergie verfügt.

Das ist natürlich nur ein Faktor, denn in der Realwirtschaft drückt sich Energie auch immer irgendwo finanziell aus. Das wäre dann also beispielsweise die Kreditwürdigkeit einer Nation. Die hängt aber wiederum, seit der endgültigen Abschaffung eines Goldstandards, auch von der Wirtschaftsleistung ab, also solchen Zahlen wie dem BIP oder BSP. Und die Wirtschaftsleistung hängt an einem steten Zustrom billiger Energie, womit sich die berühmte Katze erfolgreich in den Schwanz beißt.
Es gibt da nur ein kleines Problem. Man benötigt nämlich einen immer größer werdenden Anteil an Energie, um dasselbe Wirtschaftswachstum zu erzeugen wie vorher.

Ende der 60er Jahre bedeutete eine Steigerung des Konsums von energetischen Produkten (also so ziemlich allem) um 1 Prozent für eine Volkswirtschaft ein Wachstum von 2,2 Prozent.
Heute würde man für dieselbe Steigerung des Konsums – und damit des Energieverbauchs – gerade mal noch etwas über 1 Prozent Wachstum bekommen.
Auch hier trifft Mensch also auf das unerbittliche Gesetz des Abnehmenden Ertrags.
Übertragen auf die Realwirtschaft müßte man also ein Wachstum haben, das sich in modernen Industriestaaten mehr und mehr abflacht, bis die Wachstumsraten, die man einmal hatte, längst Schnee von gestern sind und auch noch unerreichbarer Schnee von gestern.
Denn eine Erhöhung des Konsums bedeutet immer eine Erhöhung der verbrauchten Energiemenge , was wiederum in Konsequenz zu immer stärkeren ökologischen Folgen führen muß. Auch dieser Kreislauf ist, im Gegensatz zu den Annahmen der heutigen Ökonomen, nicht beliebig steigerbar, oder anders gesagt: Auch hier ist ewiges Wachstum unmöglich. In der Schlußfolgerung ergibt sich hier natürlich auch irgendwann ein Abflachen der Nachfrage nach Energie durch Industrie und Bevölkerung.

Ein Stagnieren der Wirtschaft oder sogar ein Absinken der Wirtschaftsleistung ist exakt das, was wir bereits seit einigen Jahren global sehen können. Auch die Nachfrage nach Energie stagniert oder geht zurück. Natürlich nicht global einheitlich, aber in unseren „entwickelten“ Ländern.
Zwar wird hier und da noch ein wenig Wachstum verkündet, aber das liegt oft in Bereichen von ± 1% und jeder, der ein bißchen Ahnung von Statistik hat, weiß genau, daß das im Bereich des Datenrauschens liegt.
Was soviel heißt wie: Ich kann hier sowohl ein Wachstum in die Daten hineininterpretieren als auch eine Schrumpfung, das kommt auf denjenigen an, der die Statistik lesen soll und dessen Auftraggeber. Wobei sich moderne Ökonomen ja vor dem Wort „Schrumpfung“ so sehr fürchten, daß man dafür das „Negativwachstum“ eingeführt hat, was ich für sehr negativ intelligent halte.

Das bißchen Wachstum, das die Weltwirtschaft noch generiert seit 2008, kommt üblicherweise aus Gegenden wie Indien, Brasilien oder eben China. Also den Weltregionen, in denen riesige Bevölkerungen noch darauf warten, ebenfalls am Rennen um den globalen Konsum teilzunehmen.
Was in einem Land wie China in den letzten Wochen übrigens zu erheblichen Börsenproblemen geführt hat, die einen Gegenwert von 3,2 Billionen Dollar vernichtet haben. Das habe ich jetzt nicht falsch übersetzt, hier sind tatsächlich Billionen gemeint. Zeitweise setzte die chinesische Regierung fast die Hälfte aller an der Börse notierten Firmen vom Handel aus, um die abstürzenden Kurse in den Griff zu kriegen. Was für den Moment auch gelungen ist, aber Chinas Regierung mußte dafür 440 Milliarden Euro an finanzieller Direkteinspritzung in den Aktienmarkt jagen, aktuell sind noch immer Hunderte Indices vom Handel ausgesetzt.
Für eine Exportnation wie Deutschland geht von so etwas viel mehr Gefahr aus als von Griechenland mit seinen 1,7 Prozent der Gesamtwirtschaft der EU19.

Der Zusammenhang von Energie und Wirtschaft bzw. deren Wachstum ist so offensichtlich, daß er von normalen Ökonomen üblicherweise vollkommen ignoriert wird. Was mir persönlich ein paar Sorgenfalten auf die Stirn treibt, wenn man sich einmal folgende Grafik anschaut:

2006-percent-energy-from-oil-inverted-order

Grafik 1: Zeigt die Abhängigkeit diverser Länder von Energieimporten in Öläquivalenten. Die Daten stammen absichtlich aus Vor-Krisenzeiten, haben sich aber prozentual nicht verändert, sondern nur in absoluten Zahlen.
Zur Erläuterung: Erdöl-Äquivalente heißt im Falle dieser Grafik auch importierte Nahrung ebenso wie Transportwesen und anderes – für alle diese Dinge ist Öl erforderlich.
basierend auf: Our Finite World, Gail Tverberg
CC BY SA 3.0

Wir erkennen einmal Zypern und wenn wir dann an finanzielle Unruhen denken, fällt einem zu diesem kleinen EU-Land vielleicht was ein. Es ist dasselbe Zypern, das seine Kapitalverkehrskontrollen erst unlängst aufgehoben hat, die 2013 verhängt wurden.
Dann haben wir unmittelbar danach Griechenland und was dann kommt, ist im Grunde exakt die Reihenfolge der nächsten Sorgenkinder und potentiellen Pleitekandidaten der Eurozone: Portugal, Italien, Spanien und Irland.

Alles Länder – besonders Spanien – von denen unsere Regierung und auch die Medien behaupten, sie hätten sich erfolgreich aus der Krise gespart. Als jemand, der die aktuellen Zahlen auch mal gelesen hat, erlaube ich mir, an dieser überaus optimistischen Interpretation der Verhältnisse Zweifel zu äußern.
Spanien steht mit seiner Gesamtentwicklung, besonders den Arbeitslosenzahlen, genauso beschissen da wie das kleine Hellas. Mit dem Unterschied, daß es sich hier bereits um runde 11 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU19 handelt. Sollte Spanien also weiterhin im Abwärtstaumel verharren, sieht es auch für diese Volkswirtschaft nicht gut aus.
Ein Land, das nicht in der Grafik auftaucht, ist Puerto Rico, denn das liegt nicht in Europa. Allerdings wollte Herr Schäuble es neulich im Scherz schon für Griechenland eintauschen.
Ich weiß nicht, ob er da ein besonders gutes Geschäft gemacht hätte, denn Puerto Rico würde in der Grafik exakt zwischen Zypern und Griechenland auftauchen. Man könnte so sagen, die Reihenfolge der bisherigen Staatspleiten ist mit der Energieabhängigkeit, die hier aufgeführt wird, bemerkenswert kompatibel.

Trotz der Ölpreise, die aktuell ja als „niedrig“ eingestuft werden, bedeutet die Abhängigkeit besonders von Erdöl für bestimmte Staaten offensichtlich ein noch größeres Problem als für andere. Dazu muß man sich vor Augen führen, daß niedrige Energiepreise heute noch immer mehr als doppelt so hoch sind wie in Vorkrisen-Zeiten.
Ganz besonders, wenn man bedenkt, daß ja die Infrastruktur dieser Länder zu einer Zeit aufgebaut wurde, als Öl billiger war als Wasser. Wer also heute noch viel Erdöl- oder -äquivalent in seinem nationalen Energiemix hat, steht nicht gut da. So wie Griechenland zum Beispiel, wo offensichtlich sogar in der Hauptstadt noch mit Öl geheizt wird.

Meine Schwester lebt in Athen, und wenn ich sie besuche, schäme ich mich, weil im ganzen Haus mit seinen zwölf Parteien niemand die Wohnung heizen kann, wegen der neuen Steuer auf Öl.

Das Zitat stammt übrigens aus diesem höchst lesenswerten Artikel bei der ZEIT. Ich sage dazu nichts weiter als – lesen!
Der eindeutige Zusammenhang zwischen Energie und Ökonomie wird noch einmal deutlich, wenn man sich folgende Bilder betrachtet:

greece-energy-consumption-by-fuel

Grafik 2: Zeigt den Rückgang des Energieverbrauchs in Griechenland, bedingt durch die Krise.
BP Statistical Review of World Energy 2015
basierend auf: Our Finite World, Gail Tverberg

Die Kurve sieht der von Rußland in den 90er Jahren zum Verwechseln ähnlich. Woraus ich schließe, daß dem Land ähnliches Ungemach bevorsteht wie den Russen auch. Betrachtet man dagegen China…

china-energy-consumption-by-fuel-2014

Grafik 3: Zeigt im Vergleich Chinas ansteigenden Energieverbrauch über alle Energiearten. Offensichtlicher kann der Zusammenhang zwischen billiger Energie und Wirtschafts,,wachstum“ kaum sein.
BP Statistical Review of World Energy 2015
basierend auf: Our Finite World, Gail Tverberg

…wird klar ersichtlich, woher der Smog kommt, für den Beijing inzwischen so berühmt ist und wie stark Wachstum vom Zustrom billiger Energie abhängig ist.
Wer Produkte herstellen will, die international konkurrenzfähig sind, benötigt dafür eben billige Energiesklaven. Und die Zeit der billigen fossilen Brennstoffe ist eindeutig vorbei. Weshalb ja heute auch Wal-Marts in den USA aus China befüllt werden, denn dort führt die Menge an verfügbaren menschlichen Sklaven zu niedrigen Löhnen – und ökonomischer Überhitzung, wie bereits erwähnt.

Selbst wenn sich hier aus den neuesten politischen Entwicklungen eine Entspannung zeigen sollte – wenn also iranisches Öl in größerer Menge die Preise auf $40 oder gar $30 sinken ließe – ist das nur ein eher kurzfristiges Vergnügen. Denn bereits jetzt haben die niedrigen Ölpreise den Tod der amerikanischen Frackingindustrie eingeleitet, das Jahr 2014 dürfte wohl auch „Peak Fracking“ bedeuten. Spätestens im Herbst werden die USA den Rückgang der Fördermenge nicht mehr wegdiskutieren können.
Mit dem Faktor, daß das gesamte Wachstum der weltweiten Ölfördermenge seit 2008 ausschließlich auf Fracking oder Teersande zurückzuführen ist, also sehr teure Methoden der Energiegewinnung, dürfte selbst iranisches Öl nicht für einen langfristig niedrigen Preis fossiler Brennstoffe genügen. Es könnte allerdings dazu führen, daß in den Ländern, die in der Grafik 1 aufgeführt sind, tatsächlich ein Wirtschaftsaufschwung einsetzt.

Die Grenzen des Wachstums bremsen die globale Wirtschaft aus. Griechenland ist nur ein Symptom.

Aber das bleibt abzuwarten. Denn aktuell ist es global gesehen so, daß erstmals in der Geschichte der Ölpreis massiv gefallen ist, aber sich die Weltwirtschaft trotzdem nicht nennenswert erholt. Mensch dümpelt auf der Stelle, könnte man sagen.

Für Griechenland ist auch die Aussicht auf eventuell sinkende Preise bei Energie wenig hoffnungsvoll. Die industrielle Struktur dieses Landes gibt eben keine weltmarktfähigen Produkte her, da können unsere Politiker noch so lange was von Wiederherstellung der „Wettbewerbsfähigkeit“ erzählen. Griechenland besteht im Wesentlichen aus Fischerei, Reederei, Olivenhainen und Tourismus. So wie vor 2000 Jahren auch schon.
Den Ziegenkäse lasse ich ausdrücklich weg, denn wer versuchen sollte, Griechenland weiter in den Ruin zu treiben, indem er keine griechischen Produkte mehr kauft, dürfte da ein kleines Problem bekommen.
Übrigens besteht Griechenland auch aus sehr vielen Inseln, ebenso wie Puerto Rico eine Insel ist. Für derartige Länder war ein hoher Anteil an Öl im Energiemix bisher auch sehr bequem. Wie wollte man die Inseln der Ägäis mit anderer Energie versorgen? Gastanker sind keine Alternative und eine Pipeline zu jeder Insel auch nicht. Auch Zypern ist übrigens ein Inselstaat.

Insgesamt ist aber deutlich, daß das hellenische Syndrom nicht nur auf Griechenland beschränkt ist bzw. bleiben wird. Je nach Entwicklung des Energieflusses weltweit werden sich auch wieder Wirtschaftsprobleme ergeben, die sich in unserer Wirtschaftsform natürlich als fiskalische Probleme niederschlagen werden. Griechenland ist hier nur das schwächste Mitglied in einer Kette schwindsüchtiger Dominosteine.
Kassandra sagt: Früher oder später wird Griechenland überall sein.


*Wie immer verlinke ich nicht auf die Springer-Presse. Man google nach ,,Deutschenhaß“ und ,,Europa“

Das Titelbild entstammt der Feder von Clay Bennett und erschien in der Chattanooga Times Free Press.

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