Kulissenschieber

,,It’s the economy, stupid!“
Bill Clinton, Wahlkampfmotto 1992

Die wirklich wahre Wirklichkeit ist also in vielen Dingen fundamental anders gestaltet als die Mythen, die man uns von Kindesbeinen an erzählt und die wir dann einfach glauben. Menschen leben nicht im Realen, sie leben in Mythen.
Der Mythos des linearen Fortschritts ist nur einer davon. Ein anderer ist der von der Unermüdlichkeit des Fortschritts, angetrieben durch das immer weiter vergrößerte Wissen der Menschheit. Eine einzigartige Spezies auf dem Weg zu ihrer Bestimmung, das sind wir. Zumindest ist es das, was immer wieder verbreitet wird.

Was genau soll das überhaupt sein, dieser Fortschritt? Kennt den jemand persönlich?
Immer, wenn ich irgendwelche Wirtschafts“wissenschaftler“ reden höre über die Zukunft, wird da von Fortschritt und Technologie gesprochen.
Aber ich beginne weiter vorne, nämlich bei den Wissenschaftlern, die in Wirtschafts“wissenschaftlern“ enthalten sind und von mir ausdrücklich in Anführungszeichen gesetzt sind. Was ich auch grundsätzlich so beibehalten werde innerhalb dieses Blogs. Warum tue ich das?

Wissenschaft an sich beruht auf gewissen Prinzipien, die dazu dienen sollen, das Verständnis über die uns umgebende Welt zu vertiefen und so zu neuen Erkenntnissen zu führen, die man – man ahnt es bereits – vielleicht zu Fortschritt umwandeln kann. Wir kümmern uns in diesem Moment noch nicht darum, was genau dieser etwas mysteriöse Fortschritt eigentlich seinem Wesen nach sein soll oder sein kann.
Zur Natur der Wissenschaften gehört die Bildung einer Hypothese als Antwort auf eine Frage,  die sich normalerweise aus einer Beobachtung ergibt.

Warum geht die Sonne immer im Osten auf?
Warum bewegen sich die Sterne am Himmel so, wie sie es tun?
Was ist das für ein buntes Licht am Himmel bei einem Regenbogen, woher kommt das?
Die generell wichtigste Frage der Menschheit lautet also, seitdem wir vom Baum gefallen sind: Häh?
Mit Entwicklung subtilerer Sprachelemente wurde daraus dann die Frage, die wir als Kinder alle kennen, aber als Erwachsene gerne zu vergessen scheinen: Warum?

Der unvergessene Douglas Adams hat in seinem Anhalter einmal folgendes formuliert:

,,Die Geschichte jeder bedeutenderen galaktischen Zivilisation macht drei klar und deutlich voneinander getrennte Phasen durch – das bare Überleben, die Wissensgier und die letzte Verfeinerung, allgemein auch als Wie-, Warum- und Wo-Phasen bekannt.
Die erste Phase zum Beispiel ist durch die Frage gekennzeichnet: Wie kriegen wir was zu essen?, die zweite durch die Frage: Warum essen wir?, und die dritte durch die Frage: Wo kriegen wir die besten Wiener Schnitzel?“

Douglas Adams – Per Anhalter durch die Galaxis

Die Menschheit steckt – rein galaktisch gesehen – eindeutig in der ,,Warum?“-Phase ihrer Entwicklung, zumindest meiner Meinung nach. Das kann jetzt damit zusammenhängen, daß wir eben keine galaktische Zivilisation sind oder eben keine bedeutende Zivilisation, ich weiß es nicht so recht.
Auf jeden Fall ist die Frage nach dem Warum defintiv das, was uns Menschen seit ein paar tausend Jahren durch die Entwicklung begleitet hat.

Nachdem man also die Frage gestellt hat, kann man dann eine Hypothese entwickeln, die das Beobachtete erklärt.
Zum Beispiel, daß der Donner dadurch entsteht, daß die Wolken zusammenstoßen bei einem Unwetter. Eine Hypothese übrigens, die ich von einer Dreijährigen kenne und die ich sehr sympathisch finde.
Man kann auch davon ausgehen, daß ein Gott für den Donner verantwortlich ist, und da meistens ein Blitz vorausgeht, könnte man die Hypothese aufstellen, daß der Blitzgott auch für den Donner verantwortlich ist. Götter sind halt eine prima Sache, wenn man für irgendwas einen Schuldigen braucht.

Egal, was wir lernen, wir dürfen niemals aufhören, die wichtigste Frage zu stellen: Warum?

Wissenschaft setzt aber voraus, daß man die einmal entwickelte Hypothese auch überprüfen muß bzw. das das überhaupt geht. Das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Gottes nachzuprüfen, fällt eindeutig nicht in diesen Bereich. Eine Hypothese muß also generell nachprüfbar sein. Wissenschaftlich nennt man das verifizierbar.

Zusätzlich muß sie zu den beobachteten Dingen passen. Wenn es nie blitzt, bevor es donnert, ergibt die Hypothese mit dem Blitz-und-Donner-Gott keinen Sinn. Wenn die Sterne am Himmel sich in einer bestimmten Art und Weise bewegen, muß meine Hypothese in der Lage sein, das zu erklären. Der Mars zum Beispiel macht am irdischen Himmel im Laufe eines Jahres eine seltsame Sache: Er beginnt, am Himmel rückwärts zu laufen. Nach einer schleifenförmigen Bewegung rückwärts nimmt er dann seinen alten Kurs wieder auf.

Das alte Bild der Welt, in der die Erde von der Sonne umkreist wird, entwickelte eine komplizierte Vorstellung, die Epizykeltheorie heißt und die dieses Verhalten erklären soll.
Damit haben wir also eine Beobachtung und eine Überlegung, die zu einer möglichen Erklärung führt. Auch eine Vorhersage der entsprechenden Bewegung war durch diese Epizykeltheorie möglich, wenn auch recht kompliziert. Somit war dieser Erklärungsversuch wissenschaftlich gesehen korrekt erstellt.
Und die Theorie blieb bis ins 17. Jahrhundert gültig, bis der schon einmal erwähnte Herr Kepler mit seiner Ausarbeitung der anderen Sicht der Welt auf den Markt kam, in der die Erde selber um die Sonne kreist.
Laut Kepler bewegt sich die Erde weiter innen als der Mars, weshalb nach Keplers Bewegungsgesetzen auch ihre Geschwindigkeit höher sein muß, was dazu führt, daß die Erde den Mars irgendwann im Laufe eines Jahres überholt. Was sie auch tatsächlich tut, wodurch sich die scheinbare Schleifenbewegung am Himmel ergibt.
Keplers Theorie hatte den Vorzug, daß sie wesentlich einfacher gestaltet war, was die Mathematik anging. Außerdem war sie nachprüfbar, denn zu dieser Zeit gab es bereits Teleskope, man konnte also die Beobachtung an sich deutlich verbessern, die man mit der Hypothese ja zu erklären versuchte.

Wir lernen daraus, daß Beobachtung auch in die Irre führen kann, denn es ist gar nicht der Mars, der rückwärts läuft. Es ist die Erde, die ihn überholt. Die Schleife ist gar keine, wir sehen sie nur als solche.
Zur Wissenschaft gehört also auch das beständige Prüfen der eigenen Annahmen auf ihre Stichhaltigkeit, quasi der eingebaute Realitätscheck.
Ist das, was wir da beobachten, wirklich so? Oder ist es nur eine Auswirkung, die von unserem Standpunkt abhängt, von unserer Perspektive in einem Gesamtsystem?
Wie man sieht, hat die Menschheit im Laufe ihrer Geschichte Hypothesen entwickelt, die einmal von Annahme A und das andere mal von Annahme B ausgegangen sind. Beide Hypothesen sind wissenschaftlich gesehen korrekt entstanden, aber eine geht eben von Dingen aus, die nicht real sind, nämlich der Annahme, daß die Erde stillsteht und sich alles andere bewegt.
Die Interpretation einer Beobachtung muß also letztlich auch der Wirklichkeit entsprechen.

Zu Zeiten eines Leonardo da Vinci glaubten dessen Zeitgenossen zum Beispiel, daß Menschen Dinge sehen können, weil alles andere auf der Welt – der Vogel auf dem Baum, der Baum selbst, die Hauswand oder das Wasser im Fluß –  Strahlen aussenden würde wie der Mond sein Licht. Dieses Licht dringt ins menschliche Auge und deswegen sehen wir. So war also damals der Stand der Dinge, die Hypothese, wenn man so will.
Leonardo muß mehrfach in seinem Leben darüber nachgedacht haben, denn seine berühmten Skripte enthalten auch Skizzen zu Optik und Strahlengängen im Auge.
Sein Kerngedanke aber war folgender: Wenn man kein Licht in einem Raum hat, dann sieht man nichts. Nichts sendet Strahlen aus, es ist schlicht und einfach finster.
Der weitere Gedankengang geht etwa so: Öffnet ein Mensch bei Tageslicht die Augen, sieht er die Hauswand ebenso wie das Straßenpflaster und auch den Berg am Horizont, von dem man genau weiß, daß er drei Tagesreisen entfernt ist. Und zwar sofort und gleichzeitig.

Wenn aber diese Dinge Strahlen aussenden, die erst ins Auge fallen müssen, müßte man dann den Berg nicht viel später sehen als das Straßenpflaster oder die Hauswand?

Da all das offensichtlich nicht der Fall ist, brauchte Leonardo an einem ruhigen Nachmittag irgendwann im 15. Jahrhundert ungefähr 5 Minuten, um durch reine Beobachtung und Nachdenken herauszufinden, daß alles, was seine Mitmenschen an der Stelle so glaubten, wohl ziemlicher Blödsinn sein mußte.
Beobachtung und Interpretation stimmten hier nicht überein, somit war die Hypothese unhaltbar.

Eine Hypothese muß also Dinge im Rahmen korrekt interpretierter Beobachtung erklären und – das ist der Knackpunkt – auch vorhersagen können.
Ist die Umlaufbahn des Planeten erst einmal berechnet, kann ich sagen, wann und  wo eine Sonnenfinsternis auftreten wird, eine Mondfinsternis stattfindet, wann sich welcher Planet wo am Himmel befindet, auch wenn es erst in 100 Jahren sein wird. Ich kann in die Zukunft sehen, wenn man so will.
Tritt diese Zukunft dann ein, hat die Hypothese ihre Korrektheit bewiesen. Üblicherweise wird sie nach wissenschaftlichem Sprachgebrauch dann geadelt und zur Theorie erhoben. Deswegen ist Gravitationstheorie eine Theorie und Evolutionstheorie ebenfalls. Und mehr gibt es auch nicht, denn absolute Wahrheit ist schlicht nicht Gegenstand der Wissenschaft und war es auch niemals.

Wissenschaft ist eine Geschichte von Versuch und Irrtum. Was aber ständig irrt, kann nicht Wissenschaft sein.

Wirtschafts“wissenschaften“ haben nun das Problem, daß die ganzen lustigen Hypothesen, mit denen Ökonomen herummachen und ihre Nobelpreise abstauben, sich in der Praxis als beklagenswert unzulänglich erwiesen haben, um es mal diplomatisch auszudrücken.
Die Hypothese sagt also etwas voraus und es trifft nicht ein. Manchmal trifft sogar etwas völlig anderes ein, das laut Hypothese überhaupt nicht hätte passieren dürfen. Das nennt man dann Wirtschaftskrise und bedeutet viele Experten im Fernsehen, die uns erklären, warum es denn ausgerechnet diesmal völlig überraschenderweise wieder mal nicht mit der Vorhersage geklappt hat.
Um es kurz und bündig zusammenzufassen: Die Wirtschaftstheorien der letzten 100 Jahre waren in der Praxis bisher ungefähr so nützlich wie unzerbrechliche Hühnereier oder Rettungsringe aus Beton.

Dieser selbstberufene Zweig der Wissenschaften hat noch ein weiteres Problem.
Ein zusätzlicher Punkt in der wissenschaftlichen Methodik ist nämlich das Experiment. Man sollte Dinge nicht nur berechnen können, sondern sich auch etwas überlegen können, das man zusammenbastelt, um eine Hypothese zu überprüfen. Dieses Experiment muß auch so aufgebaut sein, daß andere es ebenfalls nachvollziehen können, die Ergebnisse müssen also reproduzierbar sein.

Man könnte zum Beispiel einen Ballon erfinden, um über den Wolken nach dem Gott des Donners zu suchen. Oder um zu schauen, ob Wolken vielleicht doch zusammenstoßen und dabei Krach machen.
Findet man keinen Hinweis auf solche Dinge, hat die Hypothese ein Problem.
Bei Göttern lautet die Erklärung dann meistens, sie seien ja selbstverständlich unsichtbar. Das ist zwar clever und hat Priestern lange Zeit zu einem guten Auskommen verholfen, aber es ist nicht wissenschaftlich.
Denn Unsichtbarkeit kann man nicht verifizieren oder eben falsifizieren und das verstößt gegen die Regeln.
Der Ausruf ,,Seht her und schaut den unsichtbaren Gott!“ mag also religiös gesehen durchaus erfolgreich sein, aber rein wissenschaftlich ist er nicht akzeptabel.

Im 19. Jahrhundert ging man davon aus, daß der Weltraum, in dem die Planeten kreisen, mit irgendwas gefüllt sein müsse. Denn, soviel war ja klar, das Licht der Sonne mußte ja durch den Weltraum zur Erde gelangen, also mußte es irgendein Medium geben, in dem es sich ausbreitet.
Dieses hypothetische Medium nannte man seit dem 17. Jahrhundert den Äther.
Eine durchaus logische Annahme, denn schließlich breiten sich auch Schallwellen in einem Medium wie Luft oder Wasser aus, was damals durchaus bereits bekannt war. Warum sollte das also mit dem Licht zwischen den Planeten anders sein?
Allerdings tauchten hier eine Menge Probleme auf. Einmal sollte sich dieses Medium bewegen, ein anderes Mal mußte es sich in Ruhe befinden, um damit bestimmte physikalische Phänomene zu erklären.
Einmal sollte er sich wie eine Flüssigkeit verhalten, bei anderen Gelegenheiten wie ein elastischer Festkörper.

Dieses Durcheinander veranlasste am Ende des 19. Jahrhunderts einen Herrn namens Albert E. Michelson zusammen mit seinem Kollegen, Edward W. Morley, ein Experiment durchzuführen, um den Äther endlich nachzuweisen.
Er ging dabei von der Annahme aus, daß der Äther ein ruhendes Medium sei und die Erde hierin ihre Bahnen zieht, so wie ein Boot im Wasser.
Im Experiment ging es um Lichtstrahlen in einem Spiegelsystem, von denen sich einige entgegen der Ätherrichtung bewegen sollten – also langsamer werden müßten – und andere sich senkrecht zum Äther ausbreiten sollten, also ungebremst bleiben. Um es kurz zu machen: Die ganze Geschichte endete in einem spektakulärem Fehlschlag.
Damit war die Sache klar. Es gab keinen Äther, das seltsame Medium, das den Weltraum erfüllen sollte, existierte schlicht nicht. Allein aus diesem Grund ist das Michelson-Morley-Experiment heute noch von großer Wichtigkeit.
Im gesamten 19. Jahrhundert hatten sich viele durchaus kluge Köpfe denselben zerbrochen, was denn die Eigenschaften des Äthers anging. Und dann war das verdammte Ding einfach nicht nachzuweisen. Die Physik stand also da, machte ein sehr langes Gesicht und wußte nicht, wie sie die Ausbreitung von Licht durchs All erklären sollte. Überhaupt stand die Physik im ausgehenden 19. Jahrhundert vor diversen Problemen mit ihrem Weltbild. Es sollte einem anderen überlassen sein, diese Probleme zu klären, aber das ist eine eigene Geschichte.

Zurück zu den Wirtschaftsbändigern unserer Tage.
Da sich Wirtschaft irgendwie mit Menschen beschäftigt, müßte man Experimente durchführen, die eben auch mit Menschen zu tun haben und dazu müßte man mit Menschen experimentieren. Dem sind aber schon durch gewisse ethische und moralische Regeln enge Grenzen gesetzt.
Das generelle Experiment, mit dem man Dinge beweisen oder widerlegen kann, bleibt den Wirtschafts“wissenschaften“ also üblicherweise verschlossen.

Keine Nachvollziehbarkeit der Realität, kein wiederholbares Experiment, generelles Scheitern der eigenen Vorhersagen trotz ausgefuchster mathematischer Modelle. Die sogenannten Wirtschaftswissenschaften sind eine Versagerdisziplin auf ganzer Linie, man kann es wirklich nicht anders sagen.

Hypothesen, die sich als falsch erweisen, sind kein Problem. Den Fehler nicht anzuerkennen, ist eins.

Dazu gibt es eben echte Wissenschaften, die sehr wohl mit Menschen experimentieren können und die im Bereich der Neurologie, der Psychologie, der Soziologie und anderer -ologien längst herausgefunden haben, daß Menschen sich einfach oft nicht so verhalten, wie Wirtschaftler das in ihren Modellen annehmen.
Erschreckenderweise deutet alles darauf hin, daß Menschen dazu neigen, sich wie Menschen zu verhalten. Und das bedeutet vor allem: Nichtlinear.
Da Wirtschaftler aber sowas nicht berechnen können, taugen ihre ganzen Modelle eben nicht besonders viel, denn die gehen davon aus, daß Menschen sich wie Modelle verhalten.

Natürlich kämpfen andere Disziplinen des Denkens mit denselben Problemen.
Wie die geschilderte Sache mit dem Michelson-Morley-Experiment. Immerhin waren die Herren angetreten, die Theorie des Äthers zu beweisen, aber die Sache ging gründlich schief.

Anfang des 20. Jahrhunderts berechnete ein Mediziner, daß ein Mann niemals eine Meile (gemeint ist die imperiale Landmeile, also 1.609 Meter) in weniger als vier Minuten würde laufen können. Meßwerte, Beobachtungen zur Körpergröße von Männern, Muskelmasse – all diese Dinge waren mit einbezogen worden und sorgfältig ins Verhältnis gesetzt.
Und tatsächlich sah es so aus, als würde es dabei bleiben. Kein einziger Läufer, der sich an der Meile versuchte, schaffte es in die Nähe dieser Zeit, alle blieben deutlich darüber.
Bis zum 6. Mai 1954, als ein junger Medizinstudent in Oxford es dann doch schaffte. Roger Bannister lief seine Meile in 3:59,4 Minuten und damit war die sorgfältige Untersuchung seines Kollegen aus den vorherigen Jahrzehnten plötzlich Makulatur.
Der Rekord stand damals übrigens bei 4:01,04 Minuten und stammte aus dem Jahr 1945, war also schon dicht dran. Aber eben nicht unter der berechneten Marke.
Bannisters Rekord hielt bezeichnenderweise nur wenige Wochen und wurde bereits im Juni des selben Jahres unterboten.
Bannister trat dann wiederum einige Wochen später gegen den neuen Weltrekordhalter an und siegte in einem Finale, dem man sogar ein Denkmal gesetzt hat, diesmal in 3:58,8. Witzigerweise blieb auch sein Kontrahent, der Australier Landy, in diesem Rennen unter der 4-Minuten-Marke.

Bannister and Landy

John Landy (AUS) blickt über seine Schulter, während er von Roger Bannister (GBR) bei den Commonwealth Games 1954 in Vancouver (Kanada) überholt wird. Das Rennen ging als ,,Miracle Mile“ in die Sportgeschichte ein.
Statue: Jack Harman Foto: Paul Joseph CC-BY 2.0 Quelle: Wikipedia

Wissenschaften korrigieren sich also, wenn sie etwas falsch machen.
Entweder, indem die Realität ihnen eine lange Nase dreht und eben doch einer – oder sogar gleich zwei – die Meile unter vier Minuten läuft.
Oder indem sich jemand einen Versuchsaufbau ausdenkt, um die Existenz des Äthers zu beweisen, um dann aber aus seinen Ergebnissen den Schluß ziehen zu müssen, daß dieses Dingsbums doch nicht existiert.
Diese Korrekturen erfolgen nicht immer reibungslos, so wie beim Meilenlauf. Denn nachdem die Schallmauer erst einmal durchbrochen war, gab es ja an dieser Tatsache nichts mehr zu rütteln. Manchmal kann diese Veränderung der Perspektive auch lange dauern und wird von wissenschaftlichen Grabenkämpfen begleitet.
So waren Dinosaurier in den Büchern meiner Kindheit noch relativ dämliche, plumpe und vor allem kaltblütige Echsen. Heute sind sie warmblütige, durchaus bewegliche, stellenweise gar nicht so dämliche Lebewesen, die womöglich sogar Sozialverhalten und ähnliche Dinge aufwiesen. Jahrzehntelang haben auf Paläontologen-Konferenzen irgendwelche Professoren nicht mit anderen geredet, weil man eben anderer Meinung war. Wenn man schon zehn Bücher über ein Thema geschrieben hat und sich dann alles nach und nach als falsch herausstellt, neigen manche Akademiker zu einem gewissen Starrsinn bei der Verteidigung ihrer Hypothesen.

Wirtschaftswissenschaften fällt so etwas überhaupt nicht ein, diese Disziplin neigt nicht zur Selbstkorrektur.
Es gibt verschiedene Schulen, von denen jede behauptet, die Weisheit für sich gepachtet zu haben,  aber jede bleibt den tatsächlichen Nachweis dann schuldig. Wen das irgendwie an Religion erinnert, die in Dogmatik erstarrt ist – diese Ähnlichkeiten sind nicht zufällig.
Ein Typ  wie Milton Friedman – das ist einer von diesen Nobelpreisträgern – hatte sogar mal in einem Interview die Frechheit, zu behaupten, daß an der gerade besprochenen Modellvorstellung alles richtig sei und sich die Menschen nur anders verhalten würden, weil sie das Modell eben nicht verstünden.
Das grob geschätzt 99,3% der Menschheit sich noch nie mit mathematischen Modellen von Ökonomen auseinandergesetzt haben, schien Friedman nicht im geringsten zu stören.

Die Hohepriester der Wirtschaftsreligion steigen in ihren Ballon und suchen ihren Gott über den Wolken, und wenn sie ihn nicht finden können, behaupten sie, er sei unsichtbar.

Auch in punkto Fähigkeit zur Selbstkorrektur, so schwerfällig sie auch manchmal sein mag, fallen die Wirtschafts“wissenschaften“ also durch das Definitionsraster der wissenschaftlichen Methodik.
Es bleibt somit die Tatsache festzuhalten, daß wir – das bedeutet derzeit 7,3 Milliarden Exemplare der Spezies Mensch – schlicht und einfach keine umfassende und funktionierende Wirtschaftstheorie haben in diesem aktuellen Jahr 2015. Wirtschafts“wissenschaften“ existieren im strengen Sinne überhaupt nicht. Deswegen schreibe ich sie in Anführungszeichen. The economy is stupid.

Man könnte jetzt auf die Idee kommen, daß dann ja auch alle Wirtschaftswissenschaftler nicht existieren und zu beweisen versuchen, daß Schwarz gleich Weiß ist, aber so weit würde ich dann doch nicht gehen, denn dann wird man auf dem nächsten Zebrastreifen überfahren, wie wir alle wissen.

Aber wenn solche Leute von ,,Fortschritt“ und ,,Innovation“ und ,,Technologie“ reden – wie kann man denen einfach glauben?
Man kann es nicht und – als denkender Mensch – sollte es auch nicht. Denn ebenso wie die Ballonfahrer, die über den Wolken nach dem Donnergott suchen, hat das, was diese Menschen von sich geben, leider extrem wenig Realitätsbezug.
Wir werden also zuerst einmal klären müssen, was sich hinter den so häufig  genannten Begriffen wie ,,Fortschritt“ oder ,,Wachstum“ verbirgt.

Nicht in den Köpfen irgendwelcher Wirtschafts“wissenschaftler“, sondern eben in der wirklich wahren Wirklichkeit.

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