„Nichts Unwirkliches existiert.“
Erstes Gesetz der vulkanischen Metaphysik
Kiri kin-Tha
Und so traten Vernunft, Logik und Verstand ihre Herrschaft über die Erde an.
Oder auch nicht, zumindest habe ich da irgendwie den Eindruck.
Das Buch von Kopernikus – De Revolutionibus – durfte bis 1822 im Machtbereich der Römisch-Katholischen Kirche nur gedruckt werden, wenn in einem Vorwort oder Anhang explizit darauf hingewiesen wurde, daß das hier erklärte heliozentrische Weltbild eine reine Hypothese sei, die als mathematisches Hilfsmittel diene.
Ich fände es ja großartig, wenn in unseren Kulturkreisen sogenannte „Heilige Bücher“ auch mal mit einem Vorwort versehen würden, aus denen hervorgeht, daß es sich um lustige Sammlungen von Mythen, Sagen, Geschichten und anderem Firlefanz handelt, den man nicht gar zu ernst nehmen sollte.
Ich bin mir aber sicher, daß dagegen sehr viele Leute vehement protestieren würden.
Evangelikale Christen in den USA und anderswo benutzen dieses lächerliche Vorgehen heute noch, wenn sie behaupten, daß die sogenannte Schöpfungslehre dasselbe Gewicht haben müsse wie einige Jahrhunderte Forschung verschiedenster Bereiche, nur weil sie daran glauben wollen. Denn glauben ist immer einfacher als wissen. Evolutionstheorie wird von ihnen mit absurdesten Methoden bekämpft, unter anderem mit einer geradezu unglaublichen Arroganz und Stumpfsinnigkeit, die einen Menschen, der sein Hirn tatsächlich benutzt, in den Wahnsinn treiben kann.
Da wird dann gerne vorgebracht, Evolution sei ja „nur eine Theorie“ und insofern könne das ja nicht richtig sein. Das auch Gravitation nur eine Theorie ist, daß eine Theorie das höchste ist, was aus einer wissenschaftlichen Hypothese werden kann, weil es eben in den Wissenschaften keine absoluten Wahrheiten gibt, ist für diese Menschen zu hoch.
Das man dieses Argument exakt gleich auf die Behauptung anwenden kann, die Erde und alles auf ihr seien von einem Gott geschaffen, wird natürlich empört zurückgewiesen, denn schließlich stützt sich die Bibel, dieses Heilige Buch, ja auf das Wort Gottes. Wobei ich da gerne noch einmal die Frage in den Raum werfen möchte, wer denn gleich diese Ausgabe, mit der da rumgewedelt wird, übersetzt hat und aus welcher Sprache?
Immer wieder kommt auch die Behauptung auf, daß der Mensch nicht vom Affen abstammen könne, denn warum sollten dann alle anderen Affenarten heute noch Affen sein und keine Menschen?
Ganz einfach: Weil Darwin das nie gesagt hat. Nach Darwin haben Menschen und Affen einen gemeinsamen Vorfahren, sonst nichts. Die Behauptung, wir würden vom Affen abstammen, haben im 19. Jahrhundert Darwins Gegner in Umlauf gesetzt.
Eine kurze, griffige und natürlich völlig falsche Behauptung über etwas, über das sich dann die einfachen Leute trefflich aufregen können, denn wer möchte schon einen Affen als Uropa haben?
Wobei ich persönlich einen korrekten Orang-Utan in meiner Abstammungslinie einem religiösen Vollpfosten jederzeit vorziehen würde.
Solche Verunglimpfungstaktiken sind heute noch genau so aktuell wie vor einem Jahrhundert, ebenso die Reaktion gewisser, geistig meist eher funzelig ausgestatter Menschen. Das eben beschriebene Argument zeigt übrigens auch sehr schön, daß die meisten Vertreter der dogmatischen Schöpfungsdeppen Darwin niemals gelesen haben, denn sonst wüßten sie ja, was der Mann nicht geschrieben hat.
Die heimtückischeren Vertreter dieser speziellen Spezies des Homo idioticus vertreten heute das „intelligent design“.
In Wahrheit ist das nichts anderes als Richard Owen und seine teleologische Lehre, nach der eine Entwicklung immer einem Zweck und einem Ziel unterliegt. Natürlich muß das Ziel dann von einem Gott determiniert sein, denn wo kämen wir da hin, wenn Dinge bloß einfach so vor sich hin geschehen und es keine geheimnisvolle Kraft gäbe, die alles Geschehen auf Erden so lenkt. Undenkbar, sowas!
Hätte man eine flüchtige Ahnung von Quantenmechanik, würden diese Menschen so einen Unsinn niemals behaupten. Dinge müssen kein Ziel haben oder einem Zweck dienen, manchmal passieren sie einfach nur. Und meistens sind die Dinge an sich damit völlig zufrieden.
Überhaupt: Wer jemals Anatomieunterricht hatte und gesehen hat, wie Menschen von innen so aussehen, dürfte beim Gedanken an ein „intelligent design“ in hysterisches Kichern ausbrechen. Das sieht tatsächlich ein bißchen so aus wie ein Atomkraftwerk, das von einem Klempner gebaut wurde, entspricht also durchaus meinen persönlichen Erfahrungen mit Handwerkern. Aber muß es deshalb zwingend einen geben?
Wir sind gar nicht intelligenter als unsere Vorfahren. Wir halten uns nur dafür. Oft zu Unrecht.
Was kann man also aus all dem, was ich hier geschrieben habe, entnehmen?
Zum Beispiel, daß unsere Vorfahren vor 500 Jahren bei weitem keine Idioten waren.
Zum Beispiel, daß wir heute auch nicht unbedingt so viel schlauer sind oder besser denken könnten – man sehe sich nur den typischen Vertreter der deutschen BILDvölkerung © an, der jeden Tag wieder einen netten Hetzartikel über faule Griechen serviert kriegt. Eine besondere Entwicklung der Intelligenzleistung kann ich da nicht erkennen.
Menschen scheinen mit einer sehr erstaunlichen Beharrlichkeit darauf zu bestehen, daß Dinge irgendwie unveränderlich sind, und das aus dem einfachen Grund heraus, weil diese Menschen sich das so wünschen. Aber wie ich ja bereits andeutete, haben manche Leute kein Problem damit, ganze Bergketten aus Beweisen einfach mal wegzuignorieren, solange das eigene Weltbild stimmt.
Dieser ganze Vorgang findet statt, obwohl längst überall mehr als deutliche Hinweise darauf auftauchen, daß Dinge eben nicht unveränderlich sind, seien es jetzt Supernovae am Himmel, irgendwelche Leute, die behaupten, daß sich Arten in andere Arten verwandeln oder noch verrücktere Typen, die behaupten, daß sich sogar Kontinente bewegen, was natürlich völlig absurd ist.
Aber man kann dem Gesagten auch entnehmen, daß die Dinge sich eben trotzdem verändern, unabhängig davon, ob eine einflußreiche Gruppierung oder mehrere das wollen oder nicht.
Erweist sich eine Methode als praktisch überlegen oder einleuchtender – wie das heliozentrische Weltbild die Bewegung der Sterne und Planeten am Himmel wesentlich besser erfaßt und erklärt als das geozentrische – dann kann selbst die Kirche irgendwann nichts anderes tun, als sich hinter die Wassergräben und Burgmauern ihres dogmatischen Glaubens zurückzuziehen und unwillig über die Zinnen zu knurren, während das normale Leben außerhalb der Mauern dieses Knurren einfach vollkommen ignoriert und trotzdem Umlaufbahnen von Planeten berechnet, und zwar auf drei Stellen hinter dem Komma, damit die Priester sich auch so richtig ärgern.
Ein ganz spezieller Aspekt des Dogmas der Unveränderbarkeit ist allerdings immer noch in so ziemlich allen Köpfen vorhanden, denen man im normalen Leben so begegnen kann, was auch akademisch gebildete Köpfe mit mehreren Professorentiteln einschließt. Er lautet
„Das Morgen wird immer besser sein als heute.“
Manche Denker gestehen durchaus zu, daß sich die Zukunft sicher etwas anders entwickeln mag als erwartet, das ist die moderne Version von „das mit den 6000 Jahren darf man nicht so genau nehmen, immerhin geht es hier ja um Gott“.
Aber so ziemlich alle gehen davon aus, daß diese Zukunft – in 20,30 oder 50 Jahren – der aktuellen Zeit in irgendeiner Form „voraus“ sein muß, mehr zu leisten vermag, Menschen es „besser“ haben werden.
Die Entwicklung der Menschheit ist also auch in diesen Köpfen immer eine Entwicklung nach vorn, und vorn heißt immer „besser“.
Wobei dieses seltsame „besser“ bei den Menschen, die ich so kennengelernt habe, irgendwie immer darauf hinauszulaufen scheint, mehr PS im Auto zu haben, mehr Geld auf dem Konto oder noch mehr Plastiknippes im Regal, der dann sinnlos zustaubt. Eine mir persönlich etwas schleierhafte Haltung. Wir werden uns also noch einmal über dieses „besser“ unterhalten müssen.
Allgemein kennt man das als „Fortschritt“.
Überall in unserer Gesellschaft spiegelt sich diese tiefe Überzeugung wider, daß eine Entwicklung in die Zukunft hinein immer Dinge mit sich bringen wird, die bisher unerreicht oder undenkbar waren.
Ob das smarte Häuser sind, KI-Systeme, die ganze Städte verwalten, eine bemannte Raumfahrt, die es sicherlich noch bis 2030 schaffen wird, Menschen auf den Mars zu bringen oder holographische Kommunikationssysteme und überlichtschnelle Raumschiffe, die im Dienste einer Planetenföderation durchs All zischen – die Zukunft erscheint immer als eine lineare Bewegung der Rasse Mensch nach oben.
Bis zu den Sternen, denn natürlich ist das unsere Bestimmung. Von all dem sind wir fest überzeugt, denn wie könnte man an seiner Bestimmung zweifeln?
Was ist aber, wenn diese grundlegende Annahme schlicht und einfach falsch ist?
Was ist, wenn die Entwicklung der Menschheit eben keine lineare Angelegenheit ist?
Die Tatsache, daß die Erde eine Kugel ist, ging für lange Zeit verloren. Ebenso die Tatsache, daß unser Planet um die Sonne kreist und nicht umgekehrt.
Die Straßen und Gebäude, die die Römer errichten konnten, waren den Architekten eines Karl des Großen unmöglich. Die Königspfalz Karls gilt heute als ein mittelalterliches Wunderwerk, ein Beweis für die Größe und Wichtigkeit dieses Mannes in der Geschichte.
Einem Architekten unter…sagen wir, Kaiser Trajan, zu Beginn des 2. Jahrhunderts ndZ, wäre dieses Bauwerk recht elend vorgekommen. Keine Gliederung der Fassade, mäßige Ästhetik, viel zu kleine Fenster – kurz und gut, unser Architekt hätte sich von diesem „Wunder“ wahrscheinlich mitleidig abgewandt und die Barbaren ob ihres Versuchs, die Größe Roms nachzuäffen, ausgelacht.
Das einzige Wunder an diesem Gebäude ist, daß es unter den damaligen, unglaublich beschränkten Bedingungen überhaupt errichtet worden ist.
Als im 15. Jahrhundert in Florenz ein Mann namens Filippo Brunelleschi mit seinem Entwurf zum Bau der Kuppel der Kathedrale einen Wettbewerb gewann, sollte diese Kuppel nichts weniger werden als die größte überhaupt in Europa. Bis dahin war das nämlich die Kuppel des Pantheon in Rom und die war zu diesem Zeitpunkt mehr als 1300 Jahre alt.
Allerdings wußte man zu Brunelleschis Zeiten überhaupt nicht mehr, wie man eine solche Kuppel überhaupt bauen konnte. Erst sein Studium antiker Schriften, die Übernahme des Rippengewölbes aus der Gotik Nordeuropas und eine Menge Eigeninnovation ermöglichten es überhaupt, den Bau erfolgreich zu Ende zu führen.
Brunelleschis Kuppelbau ist kunsthistorisch so bedeutsam, daß man mit seiner Fertigstellung bzw. dem Baubeginn ab 1420 die Renaissance beginnen läßt.
Einer Menge Computerspieler dürfte die Kuppel in Florenz recht gut bekannt sein, möglicherweise unbewußt.
Im bewußten Spiel, in dessen Vorspann diese Kuppel auftaucht, beginnt der Spieler im Jahre 4000 vdZ mit dem Aufbau seiner Zivilisation, man entwickelt sich von primitiven Keulenschnitzern über Ackerbau und Metallverarbeitung bis hin zu Schießpulver, Stahl, Raketentechnik und Kernfusion, während man die eigene Gruppe gegen die Konkurrenz zum Sieg führt, der in diesem Falle sowohl auf militärischem als auch nicht-militärischem Wege erfolgen kann.
Die Rede ist natürlich von Civilization, in diesem Falle dem 4ten Teil einer Reihe von Spielen, die seit Beginn der 90er Jahre einige Millionen Fans auf der Erde gewonnen hat. Offensichtlich ist das Spiel der Zivilisation durchaus ein faszinierendes.
Aber gerade hier – wie auch in anderen Spielen – zeigt sich dieser Grundgedanke der Linearität am stärksten. Man baut erst eine Basis, später Panzer. Oder gründet eine Hauptstadt und beginnt mit Landwirtschaft oder Bergbau, um dann später ins All zu fliegen. Oder man erbrütet als schleimiger Zerg ein erstes Hauptgebäude und schickt kleine, wenig gepanzerte und nicht besonders kampfstarke Zerglinge ins Rennen, die später von hausgroßen Einheiten abgelöst werden, mit denen man sowas wie lächerliche Panzer glatt in den Boden rammen kann – aber das ist ein anderes Spiel.
Fakt ist: Es geht immer nur vorwärts, und vorwärts bedeutet mehr Städte, mehr Technologien, mehr Gold, mehr Panzerung, mehr Klauen, mehr Feuerkraft, mehr Basisgebäude. Das Prinzip des linearen ,,mehr“, das gleichgesetzt wird mit „größer“ oder dem schon erwähnten „besser“ ist überall verankert, so tief, das überhaupt niemand mehr darüber nachzudenken scheint.
Keine Rede einer Bundeskanzlerin über Wirtschaftskrise oder Finanzquerelen ohne Hinweis auf die Zukunft, die natürlich aus „Wachstum und Arbeitsplätzen“ bestehen wird. Tatsächlich ist das 2014 der Wahlkampfslogan gewesen, der auf den CDU-Plakaten zur Europawahl zu finden war. Klingt sehr stark nach End-70ern, dieses Motto, bißchen angestaubt. Allein daran kann man erkennen, daß Veränderung auf der einen Seite allgegenwärtig ist, aber in der Politik nie so wirklich ankommt. Weil die Menschen, die andere Menschen regieren oder wirtschaftlich verwalten, an das bessere Morgen glauben wollen. Und sie gehen davon aus, daß es genau so sein wird wie das Heute.
Die seltsame Überzeugung des besseren Morgen basiert auf mangelndem Wissen. Und Selbsttäuschung.
In Wirklichkeit läuft Entwicklung in der Menschheitsgeschichte schlicht und einfach nicht geradeaus, sondern eiert mehr so besoffen durch die Gegend.
Kein Schwein weiß wirklich, wie die Ägypter die verdammten Pyramiden gebaut haben, man lasse sich da nichts anderes erzählen!
Klar gibt es etwa 97,3 lustige Theorien darüber, wie man denn vor 4500 Jahren diese 2 Millionen Steinblöcke übereinandergestapelt haben soll, aber keine von denen ist irgendwie stichhaltig.
Da wird von gigantischen Rampen fabuliert, auf denen dann Sklaven die Steinblöcke nach oben geknechtet haben sollen. Klingt einleuchtend, ist aber schon deswegen Blödsinn, weil eine derartige Rampe, die man auch benutzen kann, im Falle der sogenannten Cheops-Pyramide bis zum Dreifachen des Volumens der Pyramide selber haben müßte. Denn zu steil bauen kann man ja nicht, das ist eine Sache der Neigungswinkel und anderer Dinge.
Dummerweise hat man nie irgendwelche Reste dieser gigantischen Anlagen gefunden auf der Ebene von Gizeh.
Als ich ein Kind war und erste Bücher über dieses ganze Zeug gelesen habe, wurde neben den bunten Bildern von Rampen, Seilen und Sklaven sogar erklärt, daß die Ägypter keine Mathematik besessen hätten, zumindest keine Winkelmessung. Man mußte nicht älter sein als ich damals, also so etwa Zehn, um das nicht zu glauben.
Wer in der Lage ist, tonnenschwere Steinblöcke so übereinanderzuschichten, daß sich die verdammten Dinger in 160 Metern Höhe perfekt zu einer Pyramidenspitze treffen, muß auch Winkel messen können. Schon deshalb, weil man so ein Gebäude auf einer völlig ebenen Fläche errichten sollte, damit der Plan klappt.
Nun, heute behauptet wohl niemand mehr in Kinderbüchern so einen Unsinn, zumindest hoffe ich das. Auch für die Rampen hat man inzwischen eine Hypothese entwickelt, die wesentlich eleganter klingt und die bisherigen Fakten berücksichtigen würde, aber die ist noch im Prüfstadium. Aber wie die Pyramiden gebaut worden sind, wissen wir immer noch nicht.
Ich denke auch nicht, daß geheimnisvolle Außerirdische mit Laserschneidern und Antigravitation die Pyramiden errichtet haben. Das ist eine Geschichte, die wiederum von anderen Menschen geglaubt wird, weil die bisherigen Bemühungen der Archäologie und Ägyptologie beklagenswert unzureichend sind.
Aber muß man deswegen Außerirdischen die Schuld in die Schuhe schieben? Womöglich tragen die gar keine, insofern ist das überaus unfair, wie ich finde.
Ich persönlich bin nicht einmal sonderlich davon überzeugt, daß tatsächlich die alten Ägypter was für die Pyramiden können. Vielleicht waren die schon da, bevor sich Ober- und Unterägypten zu einem Staatswesen vereinten?
Die Quellenlage zum direkten Nachweis des Bezugs Ägypter/Pyramiden ist extrem schwach bis nicht vorhanden, so weit ich das weiß.
Allerdings wird das Problem der Errichtung dieser Dinger dadurch nicht weniger anspruchsvoll, denn irgendwer muß sie gebaut haben, das kann man als Tatsache wohl festhalten.
Insgesamt aber ist die Lösung simpel: Wer immer das getan hat, wußte von Anfang an ziemlich genau, was er da tat und wie das fertige Dingsbums aussehen sollte. Und – ganz wichtig – er setzte dabei Methoden ein, die zur damaligen Zeit halt zum Handwerkszeug gehörten, die wir aber heute einfach nicht mehr kennen und auch nicht mehr nachvollziehen können.
Es gibt das schöne Sprichwort: „Wenn man nur einen Hammer hat, sieht jedes Problem aus wie ein Nagel.“
Ich möchte das etwas modifizieren: Wenn man um die Existenz von Bohrmaschinen weiß, sieht jede Wand so aus, als bräuchte sie eine Steckdose, wenn man ein Loch haben will.
Wir sind in unserem so fortschrittlichen Jahrhundert einfach nicht mehr in der Lage, den Bau der Pyramiden wirklich nachzuvollziehen, weil es uns an Wissen fehlt, nicht etwa, weil wir heute so viel mehr wissen als unsere Vorfahren.
Ich persönlich gehe einfach mal davon aus, daß die Ägypter – oder wer auch immer die Dinger verzapft hat – zu ihrer Zeit absolute Profis in Bezug auf Steinbearbeitung und -beförderung gewesen sind. Denn immerhin ist dieses Baumaterial diverse Jahrtausende der Geschichte hindurch das vorherrschende gewesen, zumindest, bis die Römer den Beton erfunden haben.
Auch den römischen Beton können wir übrigens heute nicht mehr so recht nachbasteln, und immerhin hat dieses Zeug Gebäude errichtet, die heute noch stehen.
Statt den weniger wasserhaltigen Beton der römischen Antike zu verwenden, benutzen wir heute Stahlbeton, der zwar durchaus recht haltbar ist, aber insgesamt gesehen gegen die Meisterleistungen der römischen Ingenieure keinen Stich macht.
Der wohl berühmteste Brunnen der Ewigen Stadt, der Trevi-Brunnen, wird heute noch von der Aqua Virgo versorgt, dem einzigen Aquädukt der Antike, das durchgehend in Betrieb ist und seit nunmehr 2034 Jahren zuverlässig Wasser in die Stadt bringt.
Natürlich wurde der Aquädukt in dieser Zeit gewartet und auch mal restauriert, aber er funktioniert einwandfrei.Wenn wir unsere Städte mal 2000 Jahre mehr oder weniger ohne Wartungsarbeiten rumstehen ließen, würde Berlin im Jahre 4015 aber wesentlich schlechter aussehen als das Kolosseum in Rom, da bin ich völlig sicher.
Das falsche Morgen behindert uns dabei, die richtige Zukunft zu sehen.
Im Mittelalter, lange Jahre nach dem Untergang Westroms im Jahre 476 ndZ, gab es in Europa keine Wasserleitungen in Städten mehr, weder ober- noch unterirdisch.
Die Bevölkerung einer Stadt holte sich Wasser aus Brunnen, Zisternen oder aus dem Fluß. Wasserträger war ein anerkannter Berufsstand.
Erst mit der Blüte der Renaissance wurde die alte Wasserwirtschaft wiederentdeckt und die hierzu nötigen Ingenieursfähigkeiten neu entwickelt, so daß man im 16. – 19. Jahrhundert wieder hier und da einige dieser Bauwerke errichtete, von denen wiederum noch einige heute in Betrieb sind, zum Beispiel bei der Wasserversorgung von Wien.
Ebenso wie man heute also keine Pyramiden mehr errichten kann, lassen sich auch heutige Gebäude gar keine 2000 Jahre instandhalten, da die Wartungskosten nach kurzer Zeit so hoch würden, daß ein Neubau wirtschaftlich vernünftiger ist. Selbst Wolkenkratzer werden im Grunde genommen als Wegwerfware geplant, wobei das natürlich auch mit den nicht gerade unerheblichen Kosten für den Baugrund zu tun hat. Von Ersatzteilproblematik oder der Frage, wo man nach 2000 Jahren noch einen Elektriker herkriegt, der sich mit den Leitungen auskennt, wollen wir da mal gar nicht reden.
Schauen wir also näher hin und vor allem länger und gründlicher, so zeigt sich sehr deutlich, daß die in unseren Köpfen verankerte Legende vom ewigen Fortschritt der Menschheit, diese Propaganda eines von Innovation und menschlicher Genialität getriebenen Prozesses der Weiterentwicklung zu einem stets besseren Morgen, exakt das ist: Eine Legende.
Und wie jede Legende mag auch diese zwar schön sein und möglicherweise einfach zu glauben, nur hat sie eben einen recht geringen Realitätsgehalt, um es diplomatisch auszudrücken.
Es gibt keinen vorherbestimmten Prozeß einer steten Höherentwicklung. Das zu Beginn dieses Textkomplexes beschriebene Jahr 2057 wird in der geschilderten Form niemals existieren.
Wenn wir nur auf die Legenden in unserem Kopf hören, an die wir glauben, weil man sie uns erzählt und weil wir an sie glauben wollen, wird es nicht möglich sein, ein brauchbares Bild der Zukunft zu erhalten. Stattdessen erhalten wir einen Wunschtraum, ein Zerrbild, das uns gezwungenermaßen in die Irre führen muß.
Wir bestellen eine Zukunft, die dann nicht eintritt und sind darüber auch noch völlig überrascht, wenn der Prozeß unserer Selbsttäuschung hinreichend fortgeschritten ist.
Wollen wir uns also von der Zukunft nicht völlig überraschen lassen, muß das falsche Morgen aus unseren Köpfen verschwinden.
Naja, ohne Wunschtraum kein Bestreben sich diesem Wunsch auch anzunähern.
Aber ja, das Gesellschaften nie stabil sind sondern eher fragile Gebilde sind ist allerdings vielen Mitbürgern eher nicht so bewusst. Sobald die destruktiven Resultate der Peter- & Parkinson Prinzipien überhand nehmen und damit Bürokratie und Wahnsinn überhand nehmen (gern auch kombiniert) war es das halt. Auch die gesellschaftliche Entwicklung unterliegt der Evolution.
Wunschträume haben nur eben das Problem, das sie auf Wünschen beruhen. Die wiederum weisen sehr häufig wenig Kontakt zur Realität auf. In diesem Paradoxon verheddern sich Gesellschaften auf Dauer immer.